Wer mit Miguel Ángel Vadell über das Stellwerk in Son Rullán im Nordosten von Palma de Mallorca schlendert, der bekommt schnell einen Eindruck davon, dass so einiges schiefläuft bei der mallorquinischen Eisenbahngesellschaft SFM. Auch wenn Vadell Mitglied des Betriebsrates bei SFM und strammer Gewerkschafter der Comisiones Obreras ist und man seine Worte deshalb auf die Goldwaage legen sollte. Aber manche Argumente sind nicht von der Hand zu weisen.

„Siehst du diese Straßenbahnen hier?“, fragt der 44-Jährige. Über das Stellwerk verteilt stehen acht Züge, die man auf dem Schienennetz der Insel nicht zu sehen bekommt. „Aus zwei ganz einfachen Gründen: zum einen weil sie nicht für die Bahnsteige geeignet sind, die wir auf Mallorca haben. Und zum anderen, weil sie sich bei höheren Geschwindigkeiten aufgrund einer ungünstigen Konstruktionsweise aufschaukeln“, erklärt Vadell.

Protest der SFM-Angestellten vor dem Balearen-Parlament. | FOTO: B. RAMON

Gut 36 Millionen Euro wurden unter der Ägide des sozialistischen Ministerpräsidenten Francesc Antich vor rund 15 Jahren für die Züge ausgegeben. Sie sollten auf dem Teilstück von Manacor nach Artà eingesetzt werden – Pläne, die unter der auf Antich folgenden Landesregierung der konservativen Volkspartei (PP) wieder eingestampft wurden. Jetzt werden die Züge im Depot hin- und herbewegt, damit sie nicht einrosten.

Zu wenige mitarbeiter

In den Schlagzeilen ist die Eisenbahngesellschaft in diesen Tagen nicht wegen dieser Geldverschwendung, sondern wegen immer neuer Arbeitskämpfe und Streiktage. Im Januar legten die Angestellten bereits an sieben Tagen zumindest für eine Zeit lang die Arbeit nieder. Das chronische Problem seit Jahren: Dem Betrieb fehlen Mitarbeiter an allen Ecken und Enden. Verbindungen mussten sogar schon ausfallen, weil kein Zugführer zur Verfügung stand – und das nicht, weil gestreikt wurde. Zuletzt am Mittwoch (18.1.) konnten vier Metro-Verbindungen zwischen Marratxí und Palma nicht bedient werden.

Ein weiteres Problem, das den Angestellten von SFM – sie sind so etwas wie Beamten – Kopfzerbrechen bereitet: die zunehmende Privatisierung des Unternehmens. Mehrere Bereiche wie etwa die Lautsprecheransagen, die Anzeigetafeln oder auch die Zugwerkstatt wurden bereits zu großen Teilen outgesourct.

Miguel Ángel Vadell nimmt den Reporter mit in die benachbarte Werkstatt. Ein Waggon, der normalerweise auf der Strecke nach Sa Pobla oder Manacor im Einsatz sein sollte, steht aufgebockt auf einer Hebebühne. Von arbeitenden Menschen weit und breit keine Spur. „Früher haben hier 30 SFM-Angestellte gewerkelt. Heute sind es noch drei, und dazu kommen etwa sieben Mechaniker, die outgesourct wurden und mit einem privaten Vertrag arbeiten. Seitdem häufen sich die Reparaturen an den Zügen“, meint Vadell. Kurz darauf kommen die Arbeiter in der Gruppe zurück. „Die waren bestimmt schon wieder frühstücken“, sagt Vadell. Man grüßt sich demonstrativ nicht, die miese Stimmung ist förmlich mit Händen zu greifen.

Die nächsten Ausstände der SFM-Angestellten stehen bereits fest: Am Montag (24.1.) soll in 20-Minuten-Fenstern vormittags und nachmittags insgesamt zwei Stunden lang die Arbeit niedergelegt werden. Miguel Ángel Vadell sieht keine Alternative zu den Streiks. „Wir können nicht anders auf unsere Situation aufmerksam machen. Wir hoffen, dass die Bevölkerung versteht, worum es uns geht, und uns unterstützt.“

Sabotage bei den Streiks?

Für die Betroffenen, die praktisch täglich auf die Eisenbahn angewiesen sind, spricht die Vereinigung der Zugnutzer auf Mallorca. Mit der Unterstützung in der Bevölkerung sei es nicht weit her, sagt Präsident Guillem Ramis. „Das ist allerdings in unseren Augen eher die Schuld der Eisenbahngesellschaft SFM als die der Angestellten“, sagt Ramis im Gespräch mit der MZ. „Wir haben das Gefühl, die Verantwortlichen arbeiten gegen die Angestellten, wenn diese streiken.“ So würden etwa bei Ausständen absichtlich kleinere Züge eingesetzt, obwohl sich an den Bahnsteigen die Menschen drängelten, weil bereits Züge ausgefallen seien. Außerdem sei es auffällig, dass gerade an Streiktagen die Lautsprecherdurchsagen fehlten oder auch die Bildschirme schwarz blieben oder mit falschen Angaben bespielt würden – eigentlich ausgelagerte Bereiche, die nicht bestreikt werden. „Die SFM-Verantwortlichen wollen die Bevölkerung gegen die Angestellten aufbringen“, meint Fahrgast-Sprecher Ramis.

Die Situation bei dem öffentlichen Betrieb ist verfahren. Das Grundproblem sieht Vadell darin, dass seit Jahren keine neuen Mitarbeiter mehr eingestellt würden. „Gleichzeitig haben wir aber in den vergangenen zehn Jahren 70 Kollegen verloren, die meisten sind in den Ruhestand gegangen.“ Übrig sind jetzt noch gut 170 Mitarbeiter. Gut zehn Jahre vorher, kurz nach der Krise, gab es 243 Kollegen.

Abhilfe ist nicht in Sicht, selbst wenn neues Personal eingestellt würde. Dem Geschäftsführer, der von der Balearen-Regierung eingesetzt wird, sind die Hände gebunden. Schuld daran ist die sogenannte Ley Montoro, ein Gesetz, das zu Zeiten der Finanzkrise verabschiedet wurde und eine Verschlankung der öffentlichen Verwaltung vorsah. Neue Leute durften von da an nicht mehr eingestellt werden. Weil aber kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes zahlreiche Kollegen aus dem Dienst ausgeschieden waren, gilt SFM heute als vollbesetzt. Es dürfen also nur Mitarbeiter eingestellt werden, wenn andere in Ruhestand gehen.

Die Arbeit werde also unter weniger Kollegen aufgeteilt, was zwangsläufig dazu führe, dass einige Überstunden machen müssten. 15 Prozent der Angestellten hätten sich dazu bereit erklärt, und die könnten sich damit eine goldene Nase verdienen. Denn Überstunden würden, so der Gewerkschafter, dank einer geschickten Verhandlungsrunde vor einigen Jahren mit 300 Prozent einer normalen Stunde berechnet. „Da kommt man auf rund 200 Euro pro Stunde, und das führt dazu, dass ein Lokführer auch mal 6.000 Euro im Monat verdienen kann. Sofort hieß es vonseiten der Regierung, wir sollten uns nicht beschweren.“ Doch über ihren Verdienst beklagen sich die Angestellten bei SFM ja gar nicht. „Wir verdienen gut, nicht übermäßig, aber wir können uns wirklich nicht beklagen“, räumt Vadell ein, der bereits seit 20 Jahren dabei ist.

Er nimmt den Reporter mit an seinen angestammten Arbeitsplatz, das Kontrollzentrum in der Estació Intermodal unterhalb der Plaça d’Espanya im Zentrum von Palma. Im benachbarten Aufenthaltsraum sitzen vier Lokführer im Pausenraum und wollen erst nicht reden. Einer erzählt dann aber doch. Er sei einer der letzten Lokführer gewesen, die der Betrieb einstellte. Das war 2007. Seither sei die Arbeit mit jedem Jahr stressiger geworden. „Wir haben kaum noch Pausen und bekommen kurz vor Dienstbeginn häufig gesagt: Du musst in deiner Pausenzeit noch einen Metro-Dienst nach Marratxí oder zur UIB übernehmen.“ Überstunden mache er keine, das sehe er nicht ein.

Derzeit kein Dialog

Der Dialog mit der Landesregierung und den SFM-Verantwortlichen ist seit mehreren Monaten quasi zum Erliegen gekommen. Die Eisenbahner haben die Geduld verloren. Vadell sagt: „Wenn die Regierung wollte, könnte sie in Madrid Druck gegen die Ley Montoro machen und sehr wohl Möglichkeiten finden, neues Personal einzustellen.“ Doch da scheitere es wohl am politischen Willen.

Außerdem ärgert sich der Betriebsrat über Manöver der Landesregierung. So gibt es Pläne, den Betrieb der Straßenbahn, die nun mit Hilfe der EU-Fonds Realität werden soll, an ein privates Unternehmen zu vergeben. Von der Landesregierung vermissen die Streikenden eine klare Zusage, dass die Tram in öffentlicher Hand bleiben wird.

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Und die Landesregierung? Sie äußert sich nicht zum Thema. Eine Sprecherin des Verkehrsministeriums erklärt der MZ, dass man derzeit keine Stellungnahmen abgebe. Das Verhalten der SFM-Geschäftsführung hänge vor allem von der Frage ab, ob die Angestellten ihre Streiks aussetzen würden. „Dann gilt nach wie vor das Angebot der Landesregierung, dass man sich zu Verhandlungen an einen Tisch setzen kann“, sagt die Sprecherin. Aber danach sieht es derzeit nicht aus.

Die Pläne für die seit Langem geplante Straßenbahn von Palma zur Playa de Palma nehmen durch die Next-Generation-Fonds der Europäischen Union wieder Fahrt auf. Die Balearen-Regierung hat die Planungen vorangetrieben, seit feststeht, dass es EU-Gelder für das Projekt geben wird. Wie viel Geld aus Brüssel allerdings genau in das Projekt fließen wird, ist bislang noch nicht klar. Ministerpräsidentin Francina Armengol hatte im September angekündigt, dass die Subventionen aus den Fonds der EU zumindest die erste Phase der Bauarbeiten abdecken. Allein diese soll bereits rund 250 Millionen Euro kosten. Ob es weitere Gelder für die weiteren zwei Bauphasen geben wird, ist derzeit noch unklar.