Mallorca Zeitung

Mallorca Zeitung

Polizeigewalt wie bei George Floyd? Tod eines Briten auf Mallorca wirft viele Fragen auf

Polizisten und Sicherheitskräfte sicherten den 35-Jährigen nach seinem Rauswurf aus einer Diskothek am Boden. Der Familienvater starb Tage später. Die Familie erhebt schwere Vorwürfe. Der Fall erinnert an den Tod des US-Amerikaners

Der Fall Tobias White-Sansom: die Videoaufnahmen

Der Fall Tobias White-Sansom: die Videoaufnahmen DM

Para ver este vídeo regístrate en Mallorca Zeitung o inicia sesión si ya estás registrado.

Der Fall Tobias White-Sansom: die Videoaufnahmen Patrick Schirmer Sastre

Es sind die letzten Minuten, die Tobias White-Sansom in seinem Leben bei Bewusstsein verbringt. Mehrere Beamte der Guardia Civil hieven im Nachtclub Boomerang in Magaluf den sichtlich benommenen 35-Jährigen die Treppe hoch auf die Straße. Dort drücken sie den mit Handschellen gefesselten Mann auf den Boden. Es sieht so aus, als wollten sie ihm ein weiteres Paar anlegen. Dann treten andere Personen im Video vor das Bild. Die nächsten Aufnahmen zeigen, wie Notärzte versuchen, White-Sansom wiederzubeleben.

Es ist noch schwer nachzuvollziehen, was da am 26. Juli in den frühen Morgenstunden an der Punta Ballena wirklich passiert ist. Laut Angaben der Guardia Civil wurden Beamte zum Nachtclub gerufen, weil ein britischer Gast ausgerastet war. Das Sicherheitspersonal habe ihn gebeten, sein T-Shirt wieder anzuziehen. Daraufhin habe der unter Drogeneinfluss stehende Mann einem der Sicherheitsleute eine Kopfnuss verpasst. Bis zum Eintreffen der Polizei wurde er gefesselt.

Immer wieder habe sich der bullige Mann gewehrt und mit dem Kopf gegen den Boden geschlagen. Schließlich hätten ihm die eingetroffenen Rettungskräfte ein Beruhigungsmittel verpasst. Dies habe in Verbindung mit dem Drogencocktail aus Kokain, Cannabis und Amphetaminen zum Herzstillstand geführt. Nach einigen Tagen im künstlichen Koma sei White-Sansom am 31. Juli im Krankenhaus Son Llàtzer gestorben.

Erstickt wie einst Geoge Floyd

Die Familie des Verstorbenen sieht das ganz anders – allen voran Tobias’ Bruder Maximilian. Der 42-Jährige ist Millionär, wenn nicht sogar Milliardär, hat sein Vermögen mit dem Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken gemacht. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte vor Ort, die Guardia Civil und das Krankenhaus. Sein Bruder sei ermordet worden. Erstickt, so wie einst George Floyd. Der 46-Jährige starb 2020 in Minneapolis (USA), als ein Polizist sich minutenlang auf seinen Hals kniete. Der Fall erregte weltweit Aufsehen.

Laut Maximilian White, der an dem Abend nicht vor Ort war, hat sich die Geschichte so zugetragen. Tobias habe den Club nur kurz verlassen. Als er wieder reinging wurde er darüber informiert, dass sein VIP-Tisch an andere Gäste vergeben wurde. Tobias bat daraufhin darum, dass man ihm seine Sachen bringe, die noch im Club waren, darunter auch sein T-Shirt. Währenddessen habe er einen Drink an der Bar genommen. Das verstanden die Sicherheitsleute offenbar als Affront.

Blut weggewischt, während zugeschlagen wurde

Tobias wurde demnach von hinten attackiert und zu Boden gerissen. Minutenlang habe man auf ihm gekniet und mit mehreren Personen auf ihn eingeschlagen. „Ich kann nicht atmen“, habe er mehrfach herausgepresst – genau wie damals George Floyd. „Während sie ihn noch schlugen, wischte jemand das Blut weg“, sagt Maximilian White. „Die wussten schon, was sie machen.“

Als die Guardia Civil kam, sei die Gewalt weitergegangen. Auch die Beamten hätten sich auf ihn gekniet. 40 Minuten soll er auf der Straße gelegen, dabei einen ersten Herzstillstand erlitten haben. Rettungssanitäter reanimierten ihn. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er ans Bett gefesselt wurde. Eine Hirnblutung wurde nicht erkannt. Die Familie sei drei Tage lang nicht zum Patienten gelassen worden. Am vierten Tag habe sie einen Zettel zur Unterschrift vorgelegt bekommen. Es war die Haftentlassung. „Sie wollten nicht, dass er unter Aufsicht der Guardia Civil stirbt, das hätte eine internationale Untersuchung ausgelöst“, meint sein Bruder.

Kampagne ins Rollen gebracht

Sowohl die Behörden als auch Maximilian White haben in den vergangenen Tagen erklärt, Aussagen von Augenzeugen zu haben, die ihre jeweilige These stützen. White hat ein eigenes Team aus Experten zusammengestellt, um den Fall auf eigene Faust aufzuklären. Ein eigens aus Mexiko eingeflogener Mediziner veröffentlichte ein Statement, nachdem man in Son Llàtzer Fehler bei der Behandlung des Schwerverletzten gemacht habe. Diese hätten zum Tod geführt. Während die Guardia Civil sich in dem Fall bedeckt hält, hat White eine Kampagne gestartet. Dem Instagram-Account „@justice.for.toby“ folgen Stand Mittwoch (10.8.) über 250.000 Menschen. „Toby wurde von der Mallorca-Polizei umgebracht, weil er kein T-Shirt trug“, lautet dort die Botschaft.

Beweisvideos aus dem Club

Auf der Website schildert die Familie ihre Sicht auf den Tod von Tobias. In zahlreichen Bildern würdigt sie das Leben des jungen Familienvaters, der zwei Kinder, ein- und vierjährig hinterlässt. In einem passwortgeschützten Bereich auf der Seite präsentiert die Familie Videos von Augenzeugen des Vorfalls. Auf den meisten ist nicht wirklich viel zu erkennen. Sie wurden im Club aufgenommen. Die Schreie und Gesprächsfetzen sind bei der lauten Musik kaum zu verstehen. In einem Video allerdings sieht es so aus, als ob ein Sicherheitsmann auf dem Hals von White-Sansom kniet – mindestens 20 Sekunden.

Von Boulevardblättern wie „The Mirror“ bis hin zur BBC haben zahlreiche britische Medien über den Tod des jungen Mannes berichtet. Auch das zeigt Wirkung: Wie die MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“ berichtet, haben zahlreiche DJs ihre Engagements im Boomerang für die kommenden Wochen abgesagt. Vom Club selbst gab es bislang kein Statement. Derweil tauchen auf White’s Instagram-Kanälen immer mehr Berichte auf, die suggerieren, dass das Sicherheitspersonal des Clubs nicht zum ersten Mal brutal zugeschlagen hat. Sollte White einen möglichen Prozess gewinnen, will er den Schadensersatz in mehr Sicherheitskameras an der Partymeile Punta Ballena investieren. Damit man in Zukunft nicht auf Handyvideos angewiesen ist.

Artikel teilen

stats