Von der Straße in die WG: neue Obdachlosenhilfe auf Mallorca

Mallorcas Sozialbehörde strebt einen Kurswechsel im Umgang mit Wohnungslosen an – und sucht dafür dringend Wohnraum

Nicht nur in Deutschland ist die Winterzeit für obdachlose Menschen besonders hart.

Nicht nur in Deutschland ist die Winterzeit für obdachlose Menschen besonders hart. / Ralf Hirschberger / dpa

Sophie Mono

Sophie Mono

In Hauseingängen, auf Parkbänken, in den Vorräumen der Banken – gerade im Winter sind Obdachlose in Palmas Stadtbild wieder präsenter als in den warmen Monaten. Rund 150 Wohnungslose leben auf Mallorca offiziellen Schätzungen zufolge auf der Straße, die meisten von ihnen in der Inselhauptstadt, weitere 600 hausen in Verschlägen, Autos, Ruinen. Eine Zahl, die zu Corona-Hochzeiten deutlich höher lag, nun aber wieder leicht zurückgegangen ist, sagt Guillermo Montero, Leiter des Dezernats für soziale Inklusion der Sozialbehörde IMAS. Hier will er nun einen Richtungswechsel im Umgang mit Menschen einleiten, die kein Dach über dem Kopf haben. Es soll persönlicher werden, menschlicher. Und dafür wird nicht zuletzt auch die Unterstützung von Wohnungseigentümern benötigt.

„Wir müssen an das Thema Wohnungslosigkeit anders herangehen“, findet Montero. „Bisher wurden die Obdachlosen erst einmal mit Bedingungen konfrontiert, wenn sie um Aufnahme in einer der Herbergen baten.“ Abstinenz von Suchtmitteln, Einhaltung vorgegebener Verhaltensweisen, aktives Bemühen um die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Auch, wenn die Betroffenen in diesem Moment noch gar nicht so weit waren. Nicht selten scheitern die Wohnungslosen an den Vorgaben, werden von Institution zu Institution weitergereicht – und landen dann doch wieder auf der Straße. „Je nach Situation ist es ihnen einfach nicht möglich, gewisse Schritte zu tun. Statt sie deswegen indirekt zu beschuldigen, müssen wir umdenken“, sagt Montero.

Drei Pilot-Projekte

Auf die Probe gestellt wird die neue Herangehensweise in drei Pilotprojekten. „Wir wollen weg von strikten Vorgaben und hin zu einer individualisierten Begleitung“, sagt Montero. Die Wohnungslosen selbst sollen entscheiden können, inwieweit sie welche Hilfsmaßnahmen annehmen möchten, welche Ziele sie sich stecken wollen und in welchem Zeitrahmen sie diese erreichen möchten – auch, um ihnen Unabhängigkeit und Würde zu bewahren. „Häufig wird bisher an einigen Stellen zu hart in die Persönlichkeitsrechte der Obdachlosen eingegriffen, viel mehr, als dies bei anderen Menschen geschieht“, so Montero.

Um möglichst individualisierte Betreuung anbieten zu können, sind die neuen Projekte auf verschiedene Zielgruppen ausgerichtet: „H4Y Futuro“ ist für junge Leute zwischen 18 und 25 Jahren gedacht. „Ja, auch diese Altersgruppe ist von Wohnungslosigkeit betroffen, das haben unsere Studien ergeben“, betont Montero. 30 junge Menschen sind bereits auserwählt, um bei dem Projekt mitzumachen. Gemeinsam sollen nicht nur eine dauerhafte Bleibe, sondern auch Wege in den Arbeitsmarkt gefunden werden – aber eben entsprechend dem Tempo eines jeden Einzelnen.

„Derecho a la Vivienda“, das zweite Projekt, richtet sich an zahlreiche Menschen, die erst vor weniger als sechs Monaten ihren festen Wohnsitz verloren haben. Sie brächten ganz andere Voraussetzungen mit sich als diejenigen, die schon jahrelang auf der Straße leben. „Beide Projekte sind Initiativen, die auch in anderen Regionen Spaniens angelaufen sind.“ Sie sind zunächst über drei Jahre angelegt und werden ständig evaluiert. Sollte sich herausstellen, dass die Hilfsmaßnahmen erfolgreich sind, wolle man langfristig das gesamte System entsprechend anpassen.

Ein weiteres Programm für rund ein Dutzend Wohnungslose ab 65 Jahren, das ebenfalls auf Mallorca angelaufen ist, ist spanienweit bisher einzigartig. „Es wendet sich an Menschen, für die ein Seniorenheim nicht der richtige Ort wäre, da sie noch allein zurechtkommen“, so Montero.

Wohnraum gesucht

Für die erfolgreiche Umsetzung aller drei Projekte sei es unumgänglich, die Teilnehmer nicht nur von der Straße, sondern auch aus den Sammelunterkünften herauszuholen. Stattdessen sollen sie in Wohnungen unterkommen, die das IMAS zur Verfügung stellen will. „Einzelwohnungen für jeden sind nicht realisierbar, wohl aber Wohngemeinschaften“, sagt Montero.

Geld, um Wohnungen anzumieten und die Betreuung zu gewährleisten ist vorhanden: Dem IMAS stehen dafür 3,8 Millionen Euro zur Verfügung, sie stammen aus dem EU-Fonds Next Generation. Dennoch fehlt es noch an Immobilien und Unterbringungsmöglichkeiten. Eigentümer können sich beim IMAS melden, das die Angebote wiederum an die Hilfsorganisationen „Provivienda“ und „Hogar Sí“ weiterleiten, die mit der Umsetzung der Projekte betraut sind. „Sie werden auch die Mieter sein. Die Eigentümer können sich also sicher sein, ihr Geld pünktlich und zuverlässig zu bekommen.