Entrevista | Carlos Moreno

Weniger Distanzen, mehr Lebensqualität: Könnte Palma de Mallorca zur 15-Minuten-Stadt werden?

Ja, glaubt Experte Carlos Moreno. Im Interview spricht er auch über die Sinnhaftigkeit von Fußgängerzonen, von E-Rollern und E-Autos

Carlos Moreno bei seinem Vortrag in Palma de Mallorca.

Carlos Moreno bei seinem Vortrag in Palma de Mallorca. / B. Ramón

Jaume Bauzà

Carlos Moreno wurde in Kolumbien geboren und lebt seit 40 Jahren n Frankreich. Am Freitag (13.1.) hielt der international anerkannte Experte für Smart-Cities und Professor an der Sorbonne-Universität in Paris in Palma de Mallorca einen Vortrag über die "Revolution der Nähe" und stellte dort auch sein Konzept der "15-Minuten-Stadt" vor - einem Ort, an dem die Einwohner jegliche für den Alltag wichtige Infrastruktur innerhalb von maximal 15 Gehminuten erreichen können. Im Interview mit MZ-Schwesterzeitung "Diario de Mallorca" redet er über den Sinn von Fußgängerzonen und die Sinnhaftigkeit von E-Rollern und E-Autos.

Was genau bedeutet das Konzept der "15-Minuten-Stadt"?

Es ist ein Vorschlag, der dazu beitragen soll, unser Leben in den Städten zu ändern, gegen den Klimawandel anzukämpfen, mehr lokale Wirtschaftsunternehmen zu unterstützen und den sozialen Austausch zu fördern. Sowohl in der 15-Minuten-Stadt als auch in "Halbe-Stunde-Gebieten" in Gegenden mit weniger Einwohnerdichte soll jeder Zugang zu den grundlegenden Dienstleistungen haben und diese auf kurze Distanz erreichen können. Dazu gehört der eigene Arbeitsplatz, als auch die Möglichkeit, in örtlichen Geschäften einkaufen gehen zu können, eine bessere Gesundheitsversorgung vor Ort zu haben, genau wie Bildungseinrichtungen, Kultur, Freizeitangebote und öffentlicher, qualitativ hochwertiger Raum.

Es geht also darum, nicht mehr aus seinem Stadtviertel herauszumüssen?

Es geht darum, die örtliche Wirtschaft anzukurbeln, mehr soziale Interaktion zu schaffen und Lebensqualität zu gewinnen. Nicht darum, dass man sich nicht weiter als 15 Minuten entfernen darf, sondern, dass es in der ganzen Stadt mehr öffentliche Einrichtungen, Lokale, Dienstleister und Angebote gibt. Und dass es dadurch deutlich angenehmer wird, in der Stadt zu leben.

Palma ist bestimmt durch Autos. Wo muss man da ansetzen?

Indem die Leute sich bewusst machen, dass unsere aktuelle Lebensweise in einer Katastrophe enden wird. Und Mallorca als Mittelmeerinsel ist dafür beispielhaft, denn hier steigt die Meerestemperatur, die Trockenperioden und die extremen Wetterphänomene. So, wie hier gelebt wird, ist es nicht nachhaltig, und wenn wir so weiter machen, dann sehen wir die Katastrophe in 20 oder 30 Jahren umso deutlicher. Dieses durch Autos bestimmte Leben impliziert große Entfernungen und wir müssen uns fragen, warum wir uns so viel fortbewegen. Die Antwort ist, zu studieren, wie man dieses notwendige Fortbewegen im Auto reduzieren kann. Die 15-Minuten-Stadt beinhaltet dies.

Reicht es, eine Stadt fußgängerfreundlicher zu machen, um sie auch nachhaltig zu gestalten?

Nein. Es wird viel Zeit damit verbracht, über Fußgängerzonen zu diskutieren. Aber man darf das nicht mit dem Ziel verwechseln, mehr Lebensqualität zu generieren. Wenn man eine Straße für den motorisierten Verkehr sperrt, dann sinkt die Kontaminierung durch die Fahrzeuge und das ist sehr gut. Aber wenn man dann in dieser Straße nur Franchise-Unternehmen großer Ketten findet, die aus China importierte Produkte zu hohen Preisen verkaufen, dann treibt diese Fußgängerzone nicht die Lebensqualität der Stadt voran. Solche Läden bringen keinen Mehrwert, im Gegenteil. Denken wir zunächst darüber nach, was Lebensqualität bedeutet: Ein würdiges Heim zu haben, eine Arbeit, die es mir ermöglicht, mich so wenig wie möglich fortbewegen zu müssen, lokale Produkte im Umkreis kaufen zu können und schnell Zugang zu Gesundheits-, Kultur- und Bildungseinrichtungen zu haben. Dann kann auch die Fußgängerzone ins Spiel kommen, aber sie allein kann nicht das Ziel sein.

Wenn in Palma eine Straße verkehrsberuhigt wird, dann wird sie in der Regel von den Außenbereichen der gastronomischen Lokale bevölkert. Passiert das in Paris auch?

Das ist nicht üblich. Auf den Balearen geschieht dies vermutlich wegen der Suche nach touristischer Wirtschaftlichkeit, die auch ihre Schattenseiten hat. Bei der Errichtung einer Fußgängerzone darf es Restaurants geben, aber es braucht auch kulturelle Aktivität, Start-ups und Gesundheitseinrichtungen. Sie muss einen übergreifenden Nutzen haben und den erreicht man durch politische Regulierungen des öffentlichen Raums. Man sollte keine Angst vor dem Wort regulieren haben.

Verhalte ich mich nachhaltiger, wenn ich mit einem Elektroauto durch die Stadt fahre?

Wenn es dafür ist, eine kurze Strecke zurückzulegen, dann nicht. Fährst du alleine? Ob du mehr oder weniger nachhaltig unterwegs bist, hängt davon ab, wie du dein Auto im sozialen und städtebaulichen Kontext nutzt.

Sind E-Roller nur ein geringeres Übel?

Sie sind eine technologische Entwicklung. Und wie mit allen dieser Entwicklungen sehen wir uns fehlender Rücksicht gegenüber, wenn die Fahrer über die Bürgersteige oder Plätze heizen und sich im Zickzack an den Autos vorbeischlängeln. Die Frage ist, wie man regulieren sollte, damit die Menschen sich rücksichtsvoller verhalten, denn sonst stören diese Gefährte die Harmonie der Stadt. Wenn sie nicht einfach kreuz und quer parken und keine Menschen umfahren, dann werden auch die E-Roller ihren Platz in der Stadt einnehmen. /somo

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