Nahaufnahme vom Prozess gegen Frank Hanebuth und die Hells Angels: Der Boss will das durchziehen

Zehn Jahre nach der Festnahme der Rockerbande auf Mallorca sucht Frank Hanebuth vor Gericht den Freispruch. Eindrücke von einem Mammutprozess, der schon jetzt keiner mehr ist

Frank Hanebuth wartet am Montag (23.1.) auf den Prozessbeginn am Nationalen Gerichtshof in San Fernando de Henares.

Frank Hanebuth wartet am Montag (23.1.) auf den Prozessbeginn am Nationalen Gerichtshof in San Fernando de Henares. / SUSANA VERA/REUTERS

Johannes Krayer

Johannes Krayer

Es gibt heimeligere Orte als das Gewerbegebiet von San Fernando de Henares, einer gesichtslosen Vorstadt von Madrid. Heruntergekommene Fabrikanlagen, kleine und größere Betriebe, die sich hinter unansehnlichen grauen Toren oder Zäunen verstecken. An den breiten Straßen stehen Unterschlupfe für herumstreunende Katzen. Und mittendrin liegt eine der Niederlassungen des Nationalen Gerichtshofs von Spanien, der Audiencia Nacional. Hier kümmert man sich um die besonders schweren Delikte, um Bandenkriminalität oder Korruption etwa.

Der Verhandlungssaal 2 ist der Schauplatz des Prozesses gegen 49 Angeklagte aus dem Umfeld der Hells Angels. Viele von ihnen waren bei einer Razzia auf Mallorca im Juli 2013 festgenommen worden. Jetzt wird ihnen der Prozess gemacht. Darunter auch Frank Hanebuth, der wohl bekannteste Hells Angel in Deutschland. Passenderweise heißt eine der an die Audiencia Nacional angrenzenden Straßen „Calle del Mar Mediterráneo“ – Mittelmeer-Straße.

K. Y. nach seinem Deal mit dem Staatsanwalt. | FOTO: EP

Alberto Ortega/EP / K. Y. nach seinem Deal mit dem Staatsanwalt.

„Froh, dass es endlich losgeht“

Hanebuths erster Auftritt am Montag (23.1.) zu Prozessbeginn ist gut inszeniert. Ein lockeres Lächeln auf den Lippen, auf der Nase eine blau verspiegelte Sonnenbrille, weitgehend ohne Ränder. Sicher, mit der Justiz hat der 58-jährige Hannoveraner nicht das erste Mal in seinem Leben zu tun. Erst im November 2022 stand der ehemalige Präsident des mittlerweile aufgelösten Hannover-Charters wegen Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung in einem minder schweren Fall in Deutschland vor Gericht .

„Ich bin froh, dass es endlich losgeht“, sagt Hanebuth der MZ. Er sei optimistisch, das sei er ohnehin immer. Viel mehr will er der Presse nicht erzählen. Nicht am Morgen vor dem Prozess und auch nicht an den folgenden Tagen. Außer dass er auf Mallorca nach seiner Rückkehr nach Deutschland 2017 nur hin und wieder im Urlaub vorbeigeschaut habe.

An der Audiencia Nacional geht es richtiggehend gemütlich zu. Ein paar Nationalpolizisten stehen bereit, am Eingang wird man wie bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen durchleuchtet. Das wird man in Spanien allerdings auch im Finanzamt. Von besonderen Sicherheitsvorkehrungen keine Spur.

34 Angeklagte schließen Deals

Der Prozessbeginn am Montag verzögert sich fast vier Stunden. Die Anwältinnen und Anwälte der Angeklagten suchen einer nach dem anderen das Büro der beiden Staatsanwälte auf, um Deals für ihre Mandanten auszuhandeln. Und diese Einigungen haben es in sich. Die Staatsanwaltschaft weicht darin weit von ihren ursprünglichen Forderungen ab. So muss der Hauptangeklagte K. Y., dem die Staatsanwaltschaft zehn Straftaten zur Last legt, nach dem Deal nicht einmal ins Gefängnis.

Seine Haftforderung von 38 Jahren und sechs Monaten, unter anderem für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche, Prostitution und vor allem Freiheitsberaubung, wird auf etwas mehr als zwölf Jahre abgesenkt. Die Haft kann K. Y. aber mit der Zahlung einer mittleren fünfstelligen Geldstrafe umgehen. Mit einem Victory-Zeichen verlässt K. Y. nach seinem Deal das Gerichtsgebäude.

Auch 33 weitere Angeklagte lassen sich auf Einigungen mit der Staatsanwaltschaft ein, mehrere von ihnen waren ausschließlich wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt gewesen. Für sie gibt es nur geringe Geldstrafen. Sie müssen auch der Verhandlung nicht mehr folgen.

Hanebuth sieht keinen Grund für einen Deal

Aussitzen will den Prozess dagegen Frank Hanebuth. Er gibt sich von seiner Unschuld überzeugt. Auch seine Anwältin Ana Madera sieht keinen Grund für einen Deal. Sie ist sich sicher, dass der Staatsanwalt gegen ihren Mandanten nichts in der Hand hat. Im Falle einer Verurteilung hätte Hanebuth hoch gepokert. Die Staatsanwaltschaft fordert 13 Jahre Haft für ihn. Zur Last gelegt werden ihm die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Bedrohung, Geldwäsche und illegaler Waffenbesitz.

Dass der Niedersachse bei den Hells Angels einiges zu melden hat, wird auch außerhalb des Verhandlungssaals klar. Meist steht Hanebuth mit mehreren der Angeklagten zusammen, oft führt er das Wort, die anderen lachen über seine Witze oder pflichten ihm bei. Ebenso in den Mittagspausen. Da geht es zum einzigen Lokal weit und breit, der Bar San Blas rund 500 Meter entfernt. Ein Mittagsmenü für elf Euro, da sagen auch die Hells Angels nicht Nein. Hanebuth setzt sich mit einigen weiteren Angeklagten an einen Tisch und schert sich keinen Deut um seine kaum vorhandenen Spanisch-Kenntnisse. „Hast du Mayonnaise?“, ruft er dem Kellner auf Deutsch hinterher. Auf den Tellern liegen Rinderfilet und Kartoffelecken, keiner der Angeklagten trinkt Wein oder Bier. „Ich bin allergisch auf Alkohol“, raunzt Hanebuth und nippt an seiner Cola.

Hanebuths entspannter Auftritt

Am zweiten Verhandlungstag nachmittags wird Hanebuth dann befragt. Er erhebt sich von seinem Stuhl, die Vorsitzende Richterin fragt ihn auf Spanisch, ob er Spanisch spreche. „Nada“, sagt Hanebuth und zieht mit beiden Händen eine horizontale Linie. „Wie versteht er mich dann?“, fragt sich die Richterin leise.

Aussagen wolle er nicht. „Ich antworte auf Fragen meiner Anwältin“, sagt Hanebuth und zeigt in Richtung Ana Madera. Er dürfe sich dazu hinsetzen, sagt die Vorsitzende Richterin. „Ich stehe lieber“, erklärt Hanebuth. „Ich komm ja nicht mehr hoch so schnell.“ Der 58-Jährige hatte im Sommer 2022 eine Hüft-OP.

Der Auftritt wird zu einer entspannten Angelegenheit für Hanebuth, Anwältin Madera stellt keine unangenehmen Fragen, wie auch. Ob er sich daran erinnere, wann das Hells-Angels-Charter auf Mallorca gegründet und wann es aufgelöst wurde? Hanebuth hat sich die Zeitpunkte offensichtlich auf seine Handinnenfläche geschrieben. Er schaut drauf und sagt: „Das Charter, mit dem wir nichts zu tun haben, wurde geöffnet 7.11.2009 und geschlossen 19.2.2011.“

Er sei nicht der Eigentümer der Finca Son Paraíso, sagt Hanebuth

Madera und Hanebuth wollen offensichtlich damit unterstreichen, dass ihrer Darstellung nach in dem fraglichen Zeitraum zwischen 2011 und 2013, in dem die Straftaten begangen worden sein sollen, gar kein Charter auf Mallorca existierte. Ein vorheriger Ableger des Rockerclubs, von dem Hanebuth spricht, war tatsächlich aufgelöst worden.

Wie oft er zwischen 2011 und 2013 auf Mallorca gewesen sei? „Jedes Mal in den Sommerferien und zu P.E.s Geburtstag.“ P.E., das ist der Freund, der laut Staatsanwaltschaft gemeinsam mit Hanebuth der Eigentümer der Finca Son Paraíso in Lloret de Vistalegre ist. Dort waren beide 2013 festgenommen worden. Die beiden sollen die Finca mit Einnahmen aus kriminellen Aktivitäten finanziert haben. Eine geschäftliche Beziehung habe er mit keinem der Angeklagten, erklärt Hanebuth dann.

Was er beruflich in Deutschland mache, will die Anwältin wissen. „Ich berate mehrere Gesellschaften, hatte ne Security-Firma und habe viel Gastronomie“, sagt Hanebuth. Was für Gesellschaften das seien, fragt die Anwältin nicht. Ob er Eigentümer eines Teils der Finca Son Paraíso gewesen sei? Ein resolutes „Nein“ schallt durch den Raum. Er habe keinerlei Eigentum in Spanien. Ermittlungen wegen Geldwäsche seien gegen ihn in Deutschland nicht geführt worden, mit der Steuerbehörde habe er einmal Schwierigkeiten gehabt, doch das sei 20 Jahre her. „Und da gab es eine Einigung.“ Hanebuth darf sich wieder setzen.

Kriminelle Vereinigung - Ja oder Nein?

Eines der zentralen Themen der ersten Verhandlungstage ist die Frage, inwiefern die Eingangsbehauptung der Staatsanwaltschaft, bei den Hells Angels handele es sich um eine „kriminelle Vereinigung“, überhaupt der Wahrheit entspricht. Die Anwälte argumentieren in ihren Eingaben, dass es in Spanien 20 legal eingeschriebene Hells-Angels-Charter gebe. Insofern könne keine Rede von einer kriminellen Vereinigung sein. Doch der Staatsanwalt José Grinda hat, sicherlich auch im Hinblick auf die Einigungen mit den anderen Angeklagten, vorgebaut: Das mit der „kriminellen Vereinigung“ beziehe sich nur auf das Charter der Hells Angels auf Mallorca.

Die Staatsanwaltschaft würde tatsächlich in ernste Schwierigkeiten kommen, wenn der Vorwurf einer kriminellen Vereinigung nicht gegeben wäre. Denn dann wären die vielen Stunden abgehörter Telefongespräche, auf die sich im Prinzip die gesamte Anklage stützt, nicht zu gebrauchen. Die Abhöraktionen wurden damals unter der Voraussetzung initiiert, dass eine kriminelle Vereinigung vorliegt.

Vorsitzende Richterin bläst Prozess nicht ab

Darauf gründet sich denn auch die Strategie an den ersten beiden Tagen der Verteidigung. Die Anwälte versuchen nachzuweisen, dass die gesamten Ermittlungsergebnisse nichtig sind, weil das Anzapfen der Telefone die Grundrechte der Angeklagten verletzt habe. Die Vorsitzende Richterin sieht das anders und denkt nicht daran, den Prozess abzublasen.

Schließlich gibt es noch viel aufzuarbeiten. Die in den vielen Tausend Seiten der Ermittlungsakte beschriebenen Beziehungen zwischen den 49 Angeklagten sind komplex. Welche Rolle spielte Hanebuth in dem mutmaßlichen Versuch der Hells Angels, das Nachtleben an der Playa de Palma zu kontrollieren? Laut der Polizei waren seine Statthalter die Brüder K. Y. und A. Y. Der eine ist raus aus dem Prozess, der andere will ebenfalls einen Freispruch. Bei der Befragung weist A. Y. sämtliche Vorwürfe zurück.

Ortspolizist mit ausführlicher Aussage

Dafür geht seine Anwältin einen anderen Angeklagten hart an: Ortspolizist C. V., der seiner Aussage nach als verdeckter Ermittler die Hells Angels beobachten sollte, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sie aber mit polizeiinternen Informationen versorgte. Seine Aussage ist für eine weitere wichtige Straftat in diesem Prozess zentral: Er befreite drei Frauen, die von den Brüdern Y. und weiteren Hells Angels festgehalten worden sein sollen, um sie zur Prostitution zu zwingen.

C. V. ist nicht der einzige angeklagte Polizist: Auch ein weiterer Ortspolizist sowie ein Guardia Civil sitzen auf der Anklagebank. Ihre abgehörten Telefonate hatten damals die Ermittlungen gegen den Megapark-Besitzer Tolo Cursach ins Rollen gebracht. Der ist Ende des Jahres freigesprochen worden.

Schlechte Organisation

Zehn Prozesstage sind angesetzt, nach einer Woche Pause ab Freitag (27.1.) soll es im Februar weitergehen. Vielleicht ist bis dahin auch Gelegenheit, den Prozess etwas besser zu organisieren. Viele der Angeklagten verstehen kein oder wenig Spanisch. Die Vorsitzende Richterin und einige der Anwälte nuscheln am Mikrofon vorbei. Eine Übersetzung findet selten oder unvollständig statt. „So etwas würde es in Deutschland nicht geben“, raunt einer der Angeklagten am ersten Prozesstag in den Raum.

Auch bei den Deals mit dem Staatsanwalt ist so manchem Angeklagten nicht klar, auf was er sich da eingelassen hat. „Ich habe Ja gesagt, weil mein Anwalt mir den erhobenen Daumen gezeigt hat“, sagt einer und verlässt kurz darauf den Raum.

Frank Hanebuth bleibt erst einmal sitzen – und das mindestens bis Prozessende.

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