Ukrainer auf Mallorca: Ausharren, bangen, nach vorne schauen

Seit einem Jahr ist Krieg in der Ukraine. Von Geflüchteten

im Schwebezustand, der schwierigen Wohnungsfrage sowie

den Erfahrungen mallorquinischer und deutscher Helfer

In der ukrainischen Gemeinde von Pfarrer Ivan Milian an der Playa de Palma wird weiter die Hilfe koordiniert und der Gefallenen gedacht. Re.: Gemeindehelferin Alina.  | FOTO: NELE BENDGENS

In der ukrainischen Gemeinde von Pfarrer Ivan Milian an der Playa de Palma wird weiter die Hilfe koordiniert und der Gefallenen gedacht. Re.: Gemeindehelferin Alina. | FOTO: NELE BENDGENS / Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Zum Schluss flossen noch einmal die Tränen. Die Deutsche aus Bunyola und ihre zwei ukrainischen Gäste nahmen sich zum Abschied fest in die Arme. Nach fünf Monaten war der Zeitpunkt gekommen, um auszuziehen. Die beiden Ukrainerinnen, Mutter und Tochter, die lediglich mit zwei Rollkoffern aus dem Kriegsland Richtung Mallorca abgereist waren, hatten inzwischen zwei Autoladungen voll mit Hab und Gut angesammelt. Kleiderspenden, Konserven – wer Verlust und Krieg erlebt, neigt zum Horten und schmeißt so schnell nichts weg.

Auch wenn die Frauen nun nicht weit entfernt in Bunyola wohnen, sehe man sich nur ab und zu, etwa beim Busfahren, berichtet die Deutsche. Das reicht aber auch – denn Mutter und Tochter sind inzwischen ganz gut in die Dorfgemeinschaft integriert. Die Mutter kümmert sich um ein knappes Dutzend Hühner auf einer Gemeinschaftsparzelle, bekommt als Tierfutter Küchenabfälle von Nachbarn, wird zu Dorffesten eingeladen. Die elfjährige Tochter geht längst zur Schule, erhält Nachhilfe in Katalanisch und spielt im Volleyballteam.

An diesem Freitag (24.2.) ist es genau ein Jahr her, dass russische Truppen die Ukraine überfallen und eine Flüchtlingswelle ausgelöst haben, die auch Mallorca erreichte. Glaubten viele zunächst an eine Art Blitzkrieg, ähnlich wie im Fall der Krim im Jahr 2014, erwies sich der Widerstand der ukrainischen Armee und der Zivilbevölkerung als beträchtlich, zumal das Land schon bald neben der Solidarität der EU-Länder auch Waffenlieferungen erhielt. Auch nach einem Jahr Krieg lässt sich nicht absehen, wann und wie er ausgehen wird.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer auf Mallorca machten drei Phasen durch

Und die Ukrainer auf Mallorca? Es lassen sich drei Phasen bei der Aufnahme der Geflüchteten unterscheiden. Am Anfang habe die Notfall-Phase gestanden, in der es darum ging, schnell und unkompliziert Hilfe zu leisten, Unterkünfte zu organisieren und sich um das Nötigste zu kümmern, erklärt Xavier Pozo, Sprecher des Roten Kreuzes auf den Balearen. In einer zweiten Phase kehrte allmählich ein gewisser Alltag ein – aber es stellte sich auch immer lauter die Frage, wie es weitergehen würde. Es folgte schließlich die dritte Phase, die auch jetzt, ein Jahr nach Kriegsausbruch, andauert. Eine Gruppe der Geflüchteten versucht, auf eigenen Beinen zu stehen, bis es wieder zurückgeht. Eine zweite Gruppe aber baut sich eine neue Zukunft hier auf der Insel auf.

„Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass der Krieg so lange dauern würde“, sagt Alla Perenesii, die die MZ im April vergangenen Jahres auf einer Finca bei Inca besucht hatte, wo sie untergekommen war. Inzwischen lebt sie mit ihrer Tochter in einer Wohnung in Palma. Verdienen kann sie sich ein wenig mit Näharbeiten, ihre Tochter arbeitet als Personal Trainerin. „Wir leben in ständiger Anspannung. Jeden Morgen lese ich die Nachrichten. Das Schicksal der Ukraine und der Menschen tut mir in der Seele weh“, so Perenesii. Ihr Sohn lebt in Saporischschja, im Südosten der Ukraine, arbeitet als Programmierer. „Er sagt, es geht ihm gut, er versucht, mich nicht zu ängstigen. Aber ich weiß, dass er täglich sechs Stunden ohne Strom und Heizung ist.“

Vor fast einem Jahr hat die Ukrainerin ihre Heimat verlasen. Aber wirklich angekommen auf der Insel ist sie auch nicht.

„Ständige Anspannung“: Alla Perenesii in ihrer Wohnung bei Näharbeiten.  | FOTO: BENDGENS

„Ständige Anspannung“: Alla Perenesii in ihrer Wohnung bei Näharbeiten. / Foto: Nele Bendgens

Wie viele Geflüchtete derzeit auf den Balearen leben, lässt sich nicht genau beziffern, ein Anhaltspunkt ist aber das Hilfsprogramm der spanischen Regierung. Nach Kriegsausbruch beschloss Madrid rechtliche Ausnahmeregelungen zur Einreise. Auf Antrag erhielten die Ukrainer in Spanien sogenannte temporäre Hilfe – ein zunächst auf ein Jahr begrenztes Aufenthalts- und Arbeitsrecht. Sie wurden in die staatliche Gesundheitsversorgung aufgenommen, die Kinder konnten eingeschult werden. Die Zahl der eingegangenen Anträge, die die Vertretung der Zentralregierung auf den Balearen für die Inseln ausweist, ist während des Kriegsjahrs kontinuierlich gestiegen – von 1.800 im April über 2.700 im Juli vergangenen Jahres bis auf jetzt knapp 3.200.

Ob und wie viele Ukrainer während des Kriegsjahres in ihre Heimat zurückkehrten, lässt sich schwer sagen: Das würde voraussetzen, dass sich Heimkehrer offiziell abmelden, sagt eine Regierungssprecherin. Das überprüft aber in der Praxis niemand. Verlässlicher ist eine andere Zahl: Knapp 300 ukrainische Mädchen und Jungen sind balearenweit eingeschult. Die Geflüchteten auf Mallorca, das sind vor allem Frauen und Kinder.

Wo die Geflüchteten auf Mallorca untergekommen sind

Auf Mallorca kamen sie – soweit nicht genügend eigene Mittel zur Verfügung standen – bei Gastfamilien sowie auch in staatlich vermittelten Apartments unter. Hier wohnten zu Spitzenzeiten 283 Ukrainer, wie Rot-Kreuz-Sprecher Pozo sagt. Neben einem Hotel an der Playa de Palma standen zeitweise auch Unterkünfte am Hospital Sant Joan de Deu und an der Schule La Salle zur Verfügung. Derzeit zähle man noch 120 Bewohner, die nun allesamt in Apartments einer Hotelkette an der Playa de Palma untergebracht seien, sagt Pozo. 19 Geflüchtete habe man in andere Zentren auf dem Festland vermittelt, die restlichen Menschen haben sich inzwischen eine eigene Bleibe gesucht und stehen mehr oder weniger auf eigenen Beinen – die dritte Phase des Hilfsprogramms.

„Wenn sie nicht mehr bei uns wohnen, heißt das aber nicht, dass wir sie nicht weiterhin betreuen“, stellt Pozo klar. Die Geflüchteten kämen zu regelmäßigen Beratungsgesprächen oder erhielten finanzielle Hilfen – mehr als tausend Ukrainern habe man bislang auf die eine oder andere Weise betreut. Dieses Hilfsangebot bleibe bestehen, aber die Wohnungen brauche man zunehmend stärker für Menschen aus anderen Ländern.

Im Fall der Gastfamilien haben viele von Anfang an ein zeitliches Limit gesetzt, das irgendwann ablief. So auch im Fall einer Deutschen in Santa Ponça, die drei Ukrainerinnen aufgenommen hatte, Großmutter, Mutter und Tochter. Die bereitgestellte Ferienwohnung wurde zum Sommer 2022 wieder an Urlauber vermietet. Die Großmutter kam bei Verwandten unter, Mutter und Tochter erhielten von der Deutschen finanzielle Hilfe für die Miete, bis Ende vergangenen Jahres. Die Familie habe inzwischen ein eigenes Auskommen – die Tochter arbeite schwarz als Nageldesignerin.

Auch im Fall der beiden Ukrainerinnen in Bunyola gab es ein Limit. „Wir hatten von Beginn an sechs Monate vereinbart“, so die deutsche Gastgeberin. Zum Auszug kam es nach fünf Monaten, auch dank eines Programms der Gemeinde: Das Rathaus greift den beiden Ukrainerinnen bei der Miete der Wohnung unter die Arme, in der sie jetzt leben.

Die Wohnungsnot auf den Balearen macht die Suche nach einer neuen Bleibe nicht einfacher. Um zwischen Vermietern einerseits und Geflüchteten andererseits zu vermitteln, haben die Hilfsorganisationen Convive Fundación Cepaim und United Way España das Programm „La Comunidad“ aufgelegt. Wohnungseigentümer können sich auf einem Portal (lacomunidad.cepaim.org) registrieren, die Initiatoren versprechen Hilfe bei der kulturellen Mediation sowie bei Behördengängen und Anträgen auf finanzielle Hilfen. So zahlt die Landesregierung Vermietern 200 Euro pro Monat, bei zwei aufgenommenen Geflüchteten 300 Euro sowie 50 Euro für jede weitere Person.

Eine wichtige Anlaufstelle für die Geflüchteten auf Mallorca ist die Kirche der ukrainischen Gemeinde an der Playa de Palma. Hier findet neben dem sonntäglichen Gottesdienst jeden Samstag eine Messe für Kriegsgefallene statt. Mehrere Dutzend Personen kämen jede Woche zusammen, berichtet Gemeindehelferin Alina.

Solidarität und Missstimmung

War zu Kriegsbeginn Enttäuschung darüber spürbar, dass Deutschland und andere Länder mit militärischer Hilfe zögerten, spricht die Ukrainerin jetzt von den Leopard-Panzern, die geliefert werden sollen. „Wir sind traurig, gleichzeitig aber voller Hoffnung, dass der Krieg mit der Hilfe der ganzen Welt bald vorüber sein wird“, sagt Alina. „Das Frühjahr wird entscheidend.“ Die Solidarität habe zwar nachgelassen, man helfe sich jetzt aber stärker innerhalb der Community. Und man erhalte weiterhin Spenden. „Ich möchte speziell den Deutschen auf Mallorca herzlich danken, vor allem Gudrun hat uns sehr geholfen.“

Gemeint ist die Musicalsängerin Gudrun Schade, sie hatte im April für ein Benefizkonzert im Teatre d’Artà Sänger und Musiker versammelt, der Erlös wurde der ukrainischen Kirche auf Mallorca gespendet. Die Künstlerin schwärmt noch immer von der Welle der Solidarität rund um das Event. Aber so etwas noch einmal auf die Beine zu stellen, dürfte schwierig sein, meint Schade – nach einem Jahr Krieg sei die Hilfsbereitschaft gesunken, man habe ihr geraten, bei der nächsten Aktion für etwas anderes zu spenden. Dabei sei die Lage weiter dramatisch. Das erlebe sie derzeit täglich in ihrem Umfeld: Der Anruf der MZ erwischt sie auf einem Kreuzfahrtschiff vor Chile, auf dem sie auftritt und auf dem auch viele Ukrainer arbeiten. „Wenn ich sie auf den Krieg anspreche, fangen sie an zu weinen und drehen sich weg.“

Wenn auch weniger prominent, gehen die Hilfsaktionen weiter, für die Menschen auf der Insel und in der Ukraine. So beteiligte sich zuletzt die Gemeinde Calvià an den Kosten für eine Biomasseheizung, die an ein Waisenhaus in der Region Charkiw geliefert wurde. Das balearische Gesundheitsministerium überließ der Wohltätigkeitsvereinigung Amar Ucrania rund 200 Betten aus dem früheren Krankenhaus Son Dureta. Und weiterhin werden auf Mallorca wöchentlich gespendete Lebensmittel an ukrainische Familien ausgegeben.

Trotz der Solidarität auf der einen Seite und der Dankbarkeit auf der anderen Seite kam es in dem Jahr aber auch zu Missstimmungen. Etwa, als ukrainische Familien vom früheren Corona-Hotel Palma Bellver, das zunächst als Unterkunft diente, im April in andere Wohnungen verlegt wurden. Die Betroffenen beklagten mangelnde Kommunikation, per Zettel unter der Tür habe man sie informiert, sich bereitzuhalten. Eine Rolle spielten in solchen Situationen auch Verunsicherung und Nervosität, meint Rot-Kreuz-Sprecher Pozo. „Manche haben Angst, aus dem Hilfsprogramm zu fallen.“

Manche Helfer wiederum klingen ernüchtert, auch etwas Enttäuschung ist herauszuhören. Zumindest ein Dankeschön hätte sie sich im Nachhinein erwartet, meint die Deutsche aus Santa Ponça. Sie habe gern geholfen, hätte aber mehr Engagement erwartet, um auf eigenen Beinen zu stehen, die Sprache zu lernen, einen Job zu suchen. Auch bei der Gastgeberin in Bunyola gab es solche Momente, aber „ich bin ja nicht ihre Managerin“, so die Deutsche. Ihr Engagement verstehe sie als Starthilfe, die sie jederzeit wieder leisten würde. Jetzt müsse die Ukrainerin ihren eigenen Weg gehen.

Bleiben oder zurück?

Ob dieser Weg zurück in die Ukraine führt oder in ein neues Leben auf der Insel mündet, ist bei vielen noch in der Schwebe. Was als Provisorium gedacht war, hat weiter kein Enddatum. „Wir vermissen unsere Familie und unsere Art zu leben, aber leider können wir noch nicht zurück“, sagt etwa Elena Smaga, ukrainische Anwältin. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass ihr Aufenthalt auf Mallorca länger als September dauert. Mit ihren Eltern und zwei Töchtern wohnte sie in Sant Joan, dann in Santa Ponça, jetzt in Palma. Ihre Kinder sind nun hier eingeschult, nehmen aber weiter am Online-Unterricht in der Ukraine teil.

Zu Beginn seien zwar einige Ukrainer zurückgekehrt, so Alina. Aber das seien vor allem solche aus dem westlichen und nördlichen Teil des Landes gewesen, wo der Krieg nicht unmittelbar vor der Haustür stattfindet. Die überwiegende Mehrheit wolle nach Kriegsende wieder in die Heimat, wo man Ehepartner, Angehörige und Freunde zurückgelassen habe. Und vielen sei es auch wichtig, am künftigen Wiederaufbau teilzuhaben.

Auch Alla Perenesii will zurück, sobald der Krieg vorbei sei. „Ich vermisse meinen Sohn, meinen Hund, mein Zuhause“, sagt die Ukrainerin. „Egal wie gut das Leben hier ist – ich möchte zu Hause in der Ukraine leben und dann im Urlaub nach Mallorca kommen.“

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