Ein Jahr nach der Flut: MZ-Redakteurin erzählt, wie sie die Katastrophe in Valencia erlebte
Im Oktober 2024 traf ein Jahrhundertregen die Region Valencia mit voller Wucht: Dörfer wurden weggespült, mehr als 220 Menschen starben. MZ-Redakteurin Sarah López war damals vor Ort – und erinnert sich an Zerstörung, Solidarität und die kollektive Angst vor dem Regen

War als Freiwillige vor einem Jahr im Flutkatastrophengebiet in Valencia unterwegs: MZ-Redakteurin Sarah López. / privat
Der 29. Oktober 2024 hat sich in das kollektive Gedächtnis Valencias eingebrannt. Innerhalb weniger Stunden fiel so viel Regen wie sonst in einem ganzen Jahr. Das Wasser riss ganze Dörfer mit sich, zerstörte Straßen, Häuser, Leben. Mehr als 220 Menschen kamen ums Leben. Ein Jahr später sind viele noch immer obdachlos, die wirtschaftlichen Schäden liegen bei bis zu 18 Milliarden Euro. MZ-Redakteurin und Valencianerin Sarah López lebte damals in Valencia und war vor Ort. Ein Rückblick auf diese dunkle Zeit.
Ich wachte am 29. Oktober vom leisen Prasseln der Regentropfen an den Fenstern auf. Nichts, was auf das Unheil hindeutete, das noch kommen sollte. Etwa eine Stunde später klingelte das Telefon. Meine Mutter war am Apparat, sie sagte aufgeregt: "Geh bloß nicht aus dem Haus!" Sie erzählte von ihrer Höllenfahrt zur Arbeit im strömenden Regen, der so dicht fiel, dass sie kaum noch etwas erkennen konnte. Ihr Arbeitsplatz liegt in der Nähe von dem Ort Utiel, einem Dorf, in dem innerhalb weniger Stunden 130 Liter Regen pro Quadratmeter fielen.
In unserem Haus im Großraum Valencia blieb es zum Glück trocken, doch draußen wurde die Lage immer bedrohlicher. Im Laufe des Tages kursierten in den sozialen Netzwerken die ersten Videos von überfüllten Sturzbächen und überfluteten Straßen.
Abends wurde es plötzlich still. Kein Strom, kein Internet, kein Empfang. Ich saß am Tisch, spielte ein Brettspiel im Kerzenlicht und wartete auf den nächsten Morgen, der vielleicht ein wenig Klarheit bringen würde.
Strahlender Himmel nach der Apokalypse
Der Morgen des 30. Oktober 2024, nach der Flutkatastrophe in Valencia, fühlte sich postapokalyptisch an. Nach einer stürmischen Nacht war der Himmel plötzlich strahlend blau. Erst jetzte wurde mir das ganze Ausmaß des Horrors bewusst, der meine Heimat heimgesucht hatte: Im Laufe des Tages erfuhr ich immer mehr über die Situation. Der Regionalsender À Punt berichtete in Dauerschleife. Ein Reporter war in Paiporta, dem Ort, in dem die meisten Menschen starben. Die Bewohner schaufelten Schlamm, viele standen völlig verzweifelt vor den Trümmern ihres Lebens. Ich fühlte mich schuldig und ohnmächtig zugleich. Im Minutentakt kamen neue Schreckensmeldungen: Strommasten waren durch einen Tornado umgefallen – ganze Orte, darunter das Dorf meiner Großeltern, würden tagelang ohne Strom bleiben. Die U-Bahn sollte mindestens einen Monat lang nicht fahren, weil ganze Strecken zerstört worden waren. Autobahnabschnitte waren gesperrt. Die Bilder im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken wirkten surreal, fast wie aus einem Katastrophenfilm.
Die Regierung appellierte an die Menschen, zu Hause zu bleiben und nur bei absoluter Notwendigkeit hinauszugehen. Freiwillige in den Flutgebieten würden sich selbst in Gefahr bringen. Nach einem Tag ununterbrochener Nachrichten hatten meine Familie und ich genug. Wir schalteten den Fernseher aus, packten Schaufeln und Schubkarren ins Auto und fuhren nach Picanya – ein Dorf im Auge des Sturms. In der Nähe des Barranco del Pollo, eines überfluteten Sturzbachs, halfen wir in einem Kindergarten. Wir schaufelten Schlamm und Schutt; die Schulranzen der Kinder hingen noch an den Wänden, und eine dicke Schlammschicht zeigte, wie hoch das Wasser in jener Nacht gestanden hatte. In all dem Unglück war es tröstlich zu sehen, wie viele Menschen freiwillig halfen. Auch zwei deutsche Erasmus-Studenten packten mit an.

Tausende Menschen halfen bei den Aufräumarbeiten mit, darunter MZ-Redakteurin Sarah López (vor rechts). / Privat
Jeden Tag flossen die Tränen
Der Kindergarten war nur der erste von vielen Orten, an denen ich in den folgenden Wochen mithalf. Danach ging es zum Haus einer alten Frau, in dem das Wasser die Trennwand zum Nachbarhaus herausgerissen hatte, zu einer Wohnung mit durchnässten Pelzmänteln in den schlammigen Schränken oder einer Lagerhalle mit Bootsteilen. Der Anblick war herzzerreißend – doch das Leid der Menschen vor Ort noch viel mehr. Ich erinnere mich an keinen Tag ohne Tränen. Weil der Leichenwagen vorbeifuhr. Aus Frust. Aus Erschöpfung. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass der materielle Verlust mehr Frust als Trauer auslöste. Viele taten sich schwer, ihr Eigentum zu sortieren, und warfen alles weg – selbst Dinge, die man hätte retten können.
Das Schlimmste aber war der Verlust von Menschenleben. „Der schwerste Teil des Tages kommt jetzt“, sagte mir eine Bekannte, als sie sich beim Schlammschippen verabschiedete, um einen Freund zu beerdigen.
Häuser stehen wieder, Seelen noch in Trümmern
Eines ist klar: Häuser, Geschäfte und Infrastruktur hätten kaum gerettet werden können. Doch viele der rund 220 Todesopfer hätte man durch eine frühzeitige Evakuierung verhindern können. Nach und nach sieht es heute, ein Jahr später, wieder besser aus – das Leben ist in weiten Teilen zur Normalität zurückgekehrt. Was jedoch nicht sichtbar ist, sind die seelischen Wunden, die die Menschen noch immer mit sich tragen. Bis das Trauma dieser Nacht verarbeitet ist, wird es noch lange dauern – die Schreie, die unvorstellbaren Wassermassen, der Verlust geliebter Menschen.
Selbst meine Beziehung zum Regen hat sich verändert – und dabei wurde weder mein Zuhause überflutet, noch habe ich jemanden verloren. Trotzdem bin ich bei Regen angespannt. Und immer, wenn in Valencia eine Warnstufe ausgegeben wird, blinken die Nachrichten in unserer Familien-WhatsApp-Gruppe – um sicherzugehen, dass wir alle in Sicherheit sind.
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