Der Tag in Estellencs könnte idyllischer kaum sein. Der Himmel strahlend blau, die Temperaturen beinahe schon sommerlich, Vögel singen, ein paar Urlauber sind zu Fuß oder auf dem Rad unterwegs. Wenig deutet darauf hin, dass das an der steilen Westküste gelegene Dorf gespalten ist. Dieser Tage vor allem aufgrund eines neuen Raumordnungsplans, nach Meinung einiger Einheimischer aber schon seit eh und je. In der 300-Seelen-Gemeinde am Fuße der Serra de Tramuntana ist ein enormes Misstrauen gegenüber dem Rathaus zu spüren. Dort regiert Bürgermeister Tolo Jover (Volkspartei PP) seit inzwischen 18 Jahren die Geschicke von Estellencs.

Der aktuelle Streit hat sich rund um einen neuen Raumordnungsplan entzündet, der dem pittoresken Estellencs gleich mehrere größere Bauprojekte bescheren könnte. Noch handelt es sich zwar um einen Entwurf des Inselrats, dessen Sachverständige den Plan für das Rathaus in Estellencs entworfen haben, weil es dort keine Sachbearbeiter auf diesem Feld gibt. Doch so mancher Einwohner des Dorfes befürchtet, dass Tolo Jover und seine Mehrheit im Rathaus den Plan durchdrücken könnten, ohne auf die Sorgen und Nöte der Bewohner zu hören. Und nach all dem, was man so vernimmt, wäre es nicht das erste Mal, dass Jover es mit der Bürger­beteiligung im Ort nicht so genau nimmt. Er setze meist seinen Kopf durch, ohne an einem Konsens interessiert zu sein, berichten mehrere Bürger.

Worum geht es genau? Zum einen tauchen vier neue Parkplätze in der Planung auf. Dazu eine neue Straßenverbindung im unteren ­Bereich des Ortes, die die im Sommer häufig verstopfte Hauptstraße entlasten und unter anderem hinunter zum Meer führen soll. Und schließlich sind mehrere Wohnungen an der nördlichen Ortseinfahrt Richtung Banyalbufar vorgesehen.

Alles in allem also für einen 300-Einwohner-Ort ganz schön viele Bauvorhaben. Viele sehen das so im Dorf, wie die MZ bei einem Besuch feststellte. „Ich bin gegen solche riesigen Veränderungen. Estellencs soll bleiben, wie es ist", schimpft eine ältere Dame, die auf der Dorfstraße unterwegs ist. „Aber schreiben Sie bloß nichts Unschönes über Estellencs, wir brauchen die Urlauber", gibt sie dem Reporter noch mit auf den Weg. Ihren Namen will sie lieber nicht nennen.

So wie alle, die sich über die Situation im Ort äußern, beispielsweise die Inhaberin eines kleinen Lebensmittelladens. Sie ist zugezogen, lebt allerdings bereits seit rund 20 Jahren im Ort. Sie erklärt der MZ, dass es mit der Debattenkultur in Estellencs nicht weit her sei. „In der Öffentlichkeit redet man hier nicht über Politik, nur im kleinen Kreis."

1.600 Unterschriften

Auch der Raumordnungsplan ist keine transparente Angelegenheit. Niemand im Ort habe gewusst, dass ein solcher vorgestellt werden solle, berichten Einwohner, die die MZ auf der Straße trifft. Erst durch eine Unterschriftenkampagne auf einer Online-Plattform seien viele auf das Thema aufmerksam geworden. In den vergangenen drei Wochen kamen rund 1.600 Unterschriften gegen den Plan zusammen. Getrommelt hatten unter anderem die neu gegründete Associació Defensa dels Paisatges d'Estellencs und die Umweltschutz­organisation Gob. Die Unterschriften gegen den Plan kommen dementsprechend von der ­ganzen Insel, aber auch von Mallorca-Fans aus Italien, Deutschland, den Niederlanden und anderen Ländern.

Nicht allen gefiel die Aktion. „Hier hat man maßlos übertrieben", sagt die Laden­inhaberin. „Die Kampagne wurde quasi unter dem Motto verkauft: Wir müssen die Serra de Tramuntana retten, das Welterbe ist in Gefahr." Das sei dann doch zu dick aufgetragen. Trotzdem hegen viele Einheimische Bedenken gegen die möglichen Vorhaben. Ihrer Meinung nach begünstigen die Bauvorhaben nur einige wenige Einwohner und sind vor allem dafür gedacht, mehr Urlauber und wohlhabende Zweithausbesitzer anzulocken. „Die neuen Wohnungen sind keineswegs, so wie es der Bürgermeister sagt, für junge Leute geplant, sondern für guiris", sagt die Ladeninhaberin und benutzt bewusst das etwas abschätzige Wort für Ausländer. Die Wohnungen würden viel zu teuer für junge Leute, die der Bürgermeister angeblich in Estellencs halten wolle. „Um zu verhindern, dass junge Menschen wegziehen, müsste man vor allem die Kultur fördern und mehr Angebote für junge Familien machen", wirft eine Sprecherin von Defensa dels Paisatges d'Estellencs ein, die ebenfalls ihren Namen nicht nennen will. Estellencs sei klein, lautet immer wieder die Entschuldigung für die Anonymität.

Besonders laut gegen die Pläne aus dem Rathaus schimpfen die Bürger, die durch mögliche Enteignungen für die Bauvorhaben direkt betroffen sind. So etwa ein Anwohner im oberen Teil des Ortes, der mehrere Ländereien rund um das Dorf ­besitzt. Er kommt gleich richtig in Fahrt. Man werde, wenn man sich nicht der Meinung des Bürgermeisters unterordnet, regelrecht gegängelt in Estellencs. Seit Jahrzehnten hätten einige wenige Familien im Ort das Sagen, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Interessen durchsetzten. Drei seiner Grundstücke sollen enteignet werden, für den Bau der Straße und der Parkplätze. „Ich weiß schon, was wir da an Entschädigungen bekommen: 'nen Appel und 'n Ei."

Der Bürgermeister des Ortes, Tolo Jover, sieht die Sache naturgemäß völlig anders. Er will sich kein mangelndes Demokratieverständnis vorwerfen lassen und verweist auf die Website der Gemeinde, wo die Pläne für jedermann einsehbar seien. Auch eine Umfrage gibt es dort, bei der die Bürger ihre Meinung kundtun können. Und am 14. Juni lud das Rathaus gemeinsam mit dem Inselrat zu einer Bürgerversammlung ein.

Seine Gegner werfen Jover vor, diese Schritte erst unternommen zu haben, als die Unterschriften bereits gesammelt waren. „Das stimmt nicht, die Versammlung war geplant und musste noch einmal verschoben werden, weil die Leute vom Inselrat nicht konnten", verteidigt sich der konservative Politiker gegenüber der MZ. Er sagt zu den Plänen: „Vor allem brauchen wir Parkplätze." 412 registrierte Fahrzeuge gebe es in Estellencs, aber nur 135 Stellplätze. Dazu noch die Mietwagen der Urlauber. Und die Einwohner müssten keine Angst ­haben: Von den vier im Raumordnungsplan eingezeichneten Parkplätzen würden nur ein bis zwei ­gebaut, es handle sich schließlich um eine Diskussionsgrundlage.

„Auch das ist wieder typisch", schimpft die Sprecherin der Initiative für Landschaftsschutz. „Wie kann er denn jetzt schon sagen, was gebaut wird und was nicht? Es ist ja angeblich noch nichts entschieden." Zumindest brachte die Versammlung am Montag zwei wichtige Erkenntnisse für die Gegner des Plans: Zum einen dürfen die Bürger nun bis zum 12. September statt bis zum 30. Juni Vorschläge einreichen, bevor die Beschlussvorlage in den Gemeinderat geht, um verabschiedet zu werden. Zum anderen versprachen sowohl Inselrat als auch Rathaus, vor Ablauf der sich daran anschließenden Einspruchsfrist die Bürger noch einmal nach ihrer Meinung zu befragen.