Jaume Cladera, Ex-Tourismusminister der Balearen

Die Parteien und ihre Kandidaten: Mir scheint, es gibt keinen herausragenden Kandidaten. Laschet wirkt wie ein sehr gemächlicher Politiker, der auf mich den Eindruck macht, als stecke er irgendwo im Mittelmaß fest. Scholz wirkt nicht gerade so, dass man ihm große soziale Reformen zutrauen würde, und die Grünen haben zwar in den vergangenen Jahren einen großen Verdienst daran gehabt, dass der Klimaschutz in die Agenda fast aller Parteien gekommen ist, damit haben sie sich aber auch selbst ein bisschen überflüssig gemacht. Denn das war nun einmal ihr Kernthema. Die politischen Diskurse der Parteien in der Mitte ähneln sich inzwischen ziemlich stark, sowohl in Spanien als auch in Deutschland.

Die Aussichten: Der Beste möge gewinnen! Wobei ich schon glaube, dass Olaf Scholz und die SPD die besten Karten haben, auch wenn die Zeiten vorbei sind, in denen die Volksparteien 40 Prozent bekommen haben. Die SPD wird mit 20 Prozent plus x zufrieden sein müssen. Und sie wird in eine Koalition gehen müssen, was ganz und gar nichts Schlechtes ist. Es wird Zeit, dass wir uns in Spanien auch daran gewöhnen. Denn in einer Koalition tragen alle ihre Ideen bei, was für die Gesellschaft meist ein Gewinn ist.

Jorge Dezcallar, Spansicher Botschafter a.D.

Die Parteien und ihre Kandidaten: Wir haben es mit drei äußerst langweiligen Kandidaten ohne jegliche Ausstrahlung zu tun. Aber offensichtlich ist das in Deutschland sicherer, als einen charismatischen Kandidaten zu haben. Beim letzten Mal ist das ja gründlich schiefgegangen. Olaf Scholz ähnelt interessanterweise am meisten Angela Merkel, obwohl er von einer anderen Partei ist. Er imitiert ihre Gesten und ist darauf bedacht, keine Fehler zu machen. Ein bisschen Glanz kommt höchstens von den Grünen, aber die sind ja in den Umfragen in den vergangenen Monaten stark abgestürzt.

Die Aussichten: Es wird auf jeden Fall eine Koalition geben, wahrscheinlich eine, die aus drei Parteien bestehen wird. Ich traue mich aber nicht, eine Vorhersage zu treffen. Die Wahlen in Deutschland sind für alle europäischen Länder wichtig und werden von Spanien aus natürlich mit großem Interesse verfolgt. Weil Deutschland viel Gewicht in Europa hat, betrifft uns die Politik in Spanien sehr. Wenn wir es wieder mit einem Kanzler zu tun bekommen, der eine Sparpolitik auferlegt, geht es Spanien schlecht. Europa muss mit einer Stimme sprechen. Schafft es das nicht, wird es unweigerlich in der Bedeutungslosigkeit versinken.

María Frontera, Hoteliers-Präsidentin

Die Parteien und ihre Kandidaten: Zunächst ein Wort zu Angela Merkel. Ich habe sie sehr bewundert. 16 Jahre im Amt zu sein, ist eine lange Zeit, und sie hat sich in all den Jahren immer wieder auf neue Herausforderungen und Verhandlungspartner eingestellt. Ob es da einen geeigneten Nachfolger unter den drei wichtigsten Kandidaten gibt, kann ich kaum beurteilen. Olaf Scholz hat zumindest während seiner Tätigkeit als Finanzminister viel Erfahrung gesammelt. Wenn Angela Merkel ihr Vertrauen in Armin Laschet setzt, dann hat er das sicher verdient, auch wenn ich nicht viel mehr zu seiner Person sagen kann. Und die Kandidatin der Grünen könnte eine Menge frischen Wind hineinbringen.

Die Aussichten: Momentan sieht es so aus, dass Olaf Scholz am besten bei der Bevölkerung ankommt. Aber es läuft ja ohnehin auf eine Koalition hinaus, was ich sehr positiv finde. Dort müssen die beteiligten Parteien dann eine Balance finden. Ich erwarte auf jeden Fall keinen massiven Bruch mit der bisherigen Politik von Deutschland – egal, wer am Ende regieren wird. Eine Koalition aus CDU und Grünen erscheint mir eine interessante Variante, weil da Wirtschaft und Klimaschutz in einem Gleichgewicht liegen dürften.

José Félix Pons, Autor und Auswanderer

Die Parteien und ihre Kandidaten: Ich bin vor fast 40 Jahren von Mallorca nach Deutschland ausgewandert. Obwohl ich selbst nicht wählen darf, verfolge ich den Wahlkampf. Annalena Baerbock erscheint mir mutig, aber unerfahren, ich würde mich mit ihr als Kanzlerin unsicher fühlen. Olaf Scholz wirkt seriös, ist mir aber ideologisch ferner. Armin Laschet habe ich vor Jahren persönlich kennengelernt, und ich würde mir wünschen, dass er gewinnt – auch, weil seine Anliegen mir näher sind. Allerdings würde es der CDU auch guttun, eine Zeit lang in der Opposition zu sein, das würde ihrer Selbstfindung helfen. Es reicht nicht, dass sie sich nur durch Abgrenzung zur AfD definiert.

Die Aussichten: Für Mallorca ist sehr relevant, was in der deutschen Politik passiert, das hat man während der Pandemie gesehen. Ich bin aber immer wieder erstaunt, wie bewundernd viele Spanier nach Deutschland schauen. Dabei gibt es auch dort Korruption. Allerdings glaube ich nicht, dass es für Mallorca große Unterschiede macht, welche der großen Parteien gewinnt. Letztlich wird es ohnehin eine Koalition geben müssen. Ich bin gespannt, welchen Einfluss die Stimme der Jugend von „Fridays for Future“ am Ende auf das Ergebnis hat.

Marisa Goñi, Chefredakteurin "Diario de Mallorca"

Die Parteien und ihre Kandidaten: Angela Merkel ist eine echte Führungspersönlichkeit, es ist nicht leicht, diesen Platz einzunehmen. Olaf Scholz geht etwas in diese Richtung. Aus spanischer Sicht erstaunt es, wie konstruktiv die Debatten im Wahlkampf in Deutschland ablaufen, auch die Kandidaten untereinander sind weniger rau zueinander. Auffällig ist auch, dass es in Deutschland viel mehr Paktkultur gibt, gleichzeitig aber niemand mit Rechtsextremen koalieren will. Das ist in Spanien anders, wohl auch, weil wir beim Aufarbeiten unserer faschistischen Geschichte noch nicht so weit fortgeschritten sind. Eine Große Koalition ist in Spanien dagegen undenkbar, das Paktieren mit Vox aber gängig. Auffällig ist in Deutschland auch die Stellung der Grünen – in Spanien hatten Umweltschutzparteien nie so ein Gewicht.

Die Aussichten: Es ist nicht der Moment für große Ideologien, der Klimawandel und die Folgen der Pandemie geben viele Aufgaben vor, die es anzupacken gilt. Wer auch immer gewinnt, muss die Steuern erhöhen. Letztlich kommt es darauf an, möglichst viel Konsens für die notwendigen Entscheidungen zu bekommen. Für Mallorca ist es in vielen Bereichen unerheblich, welche Koalition sich bilden wird. Nur das Thema klimafreundliches Reisen der Grünen könnte Auswirkungen auf Mallorca haben, aber auch das ist vage.

Pau de Vílchez, Rechtsprofessor an der UIB

Die Parteien: Ich verfolge vor allem die Grünen und bin recht genau informiert, welche Meinungen die verschiedenen Vertreter im europäischen Parlament vertreten. Da sind die deutschen Grünen meiner Meinung nach schon sehr weit, was die Energiewende und die Klimapolitik angeht. Sie haben eine sehr europäische Sichtweise, was man an Vorschlägen wie dem jüngsten, ein europaweites Nachtzugnetz aufzubauen, wieder gesehen hat. Das Ergebnis der Wahl wird zeigen, welches Bewusstsein die Deutschen für die Herausforderung des Klimawandels haben, zum Beispiel, ob das Thema Flugscham zum Tragen kommt. Wichtige Themen für die Zukunft sind neben der Klimapolitik auch eine bessere Verteilung des Reichtums, und da sehe ich speziell die CDU nicht als die Partei, die sich dafür einsetzt.

Die Aussichten: Ich war ziemlich überrascht vom steilen Aufstieg von Olaf Scholz in den Umfragewerten der vergangenen Monate. Im Frühjahr schien es ja doch recht eindeutig auf einen Zweikampf zwischen der Union und den Grünen hinauszulaufen. Da habe ich mich schon gefreut, dass es eine Chance auf eine grüne Regierung in Deutschland gibt. Ich würde mich sehr freuen, wenn sie es schaffen. Aber selbst wenn sie nicht die stärkste Kraft werden, ist eine Regierungsbeteiligung ja sehr wahrscheinlich.

Carles Manera, Ex-Wirtschaftsminister der Balearen

Die Parteien und ihre Kandidaten: Ich kenne die Kandidaten zwar nur aus der Presse, stelle aber schon fest, dass sie unterschiedliche ideologische Schwerpunkte haben. Wenn man Europa als Ganzes im Blick hat, wäre ein Politikwechsel in Deutschland auf jeden Fall positiv. Vor allem, wenn es um die Wirtschaftspolitik geht. Es gibt aber auch noch andere wichtige Herausforderungen, wie etwa den Klimaschutz, die Digitalisierun und die zunehmende Überalterung der Bevölkerung. Was diese Themenbereiche angeht, sehe ich die SPD am ehesten geeignet, hier unkonventionelle Lösungen zu finden. Die Grünen sind immer ein interessanter Kontrapunkt. Wichtig wäre mir noch, dass die neue Regierung eine klare Barriere zu ultrarechten Kräften zieht. Wenn man nun die SPD in Deutschland in der Favoritenrolle sieht und im kommenden Jahr die Wahlen in Frankreich hat, bei denen die Sozialisten womöglich stärkste Kraft werden, dann könnte daraus eine starke Union gemeinsam mit Spanien werden, um eine nicht zu strikte Sparpolitik durchzusetzen.

Die Aussichten: Wenn der SPD-Kandidat gewinnt, wäre das eine gute Nachricht für Europa. Vor allem, wenn ihm wichtig ist, eine zu restriktive Sparpolitik in Europa zu vermeiden.

José Carlos Llop, Schriftsteller und Bibliothekar

Die Parteien und ihre Kandidaten: Es wird sehr schwierig werden für jeden einzelnen Kandidaten, in die Fußstapfen von Angela Merkel zu treten. Ihr Abgang ist ein großer Verlust für Deutschland und Europa. Eine Persönlichkeit wie sie ist nötig, um europäische Interessen weltweit zu vertreten. Ihren Nachfolger sehe ich nicht auf Augenhöhe mit Merkel. Was Olaf Scholz angeht, scheint er der reifste Kandidat zu sein. Aber ich bin Südeuropäer, ich misstraue den Politikern grundsätzlich. Deshalb bin ich gespannt darauf, was nach den Wahlen passieren wird. Ob sie wirklich das halten, was sie jetzt versprechen. Die Grünen waren ihrer Zeit immer ein bisschen voraus und haben das Thema Klimawandel bereits besetzt, als es noch kein massentaugliches Thema war. Das wird jetzt, wo alle Welt über den Klimawandel spricht und viele Parteien die Herausforderungen erkannt haben, für sie zum Problem.

Die Aussichten: Ich glaube, dass die SPD das Rennen macht. Einfach, weil aus historischen Gründen nach 16 Jahren konservativer Regierung nun wieder einmal ein Wechsel fällig ist. Die Grünen würden mehr Stimmen bekommen, wenn Laschet in den Umfragen vorne liegen würde. Eine Koalition SPD-Grüne ist am wahrscheinlichsten.

Jorge Campos, Chef der Rechtspartei Vox auf den Balearen

Die Parteien: Ich bin vor allem auf die Ergebnisse der kleineren Parteien gespannt. Die beiden großen Volksparteien haben seit längerer Zeit einen Wählerschwund zu verzeichnen, was zu einem großen Teil daher kommt, dass sie sich in zentralen Fragen kaum noch unterscheiden. CDU und SPD sind sich inzwischen in allen zentralen Themen einig, genauso wie in Spanien die PP und die PSOE. Alle vertreten eine globalisierte Sichtweise und haben auch auf europäischer Ebene dieselben Anliegen, sei es, ob es um Klimafragen, Energiewende, die Agenda 2030 geht. Da gibt es ja nur noch eine Einheitsmeinung.

Die Aussichten: Ich glaube prinzipiell keiner Umfrage. Seit einiger Zeit bilden Umfragen nicht mehr das ab, was die Leute denken, sondern sind politisch gesteuert. Deshalb glaube ich auch nicht daran, dass die Sozialdemokraten einen derartigen Höhenflug in den vergangenen Monaten hingelegt haben. Und ohnehin ist es ja egal, wer im Endeffekt regieren wird. Solange es eine Koalition aus der Linken, den Grünen, Parteien aus der Mitte oder von Mitte-rechts geben Pwird, wird sich an der Politik nichts ändern. Und außerdem: Alle werden vor der Wahl etwas versprechen, was sie nicht halten.

Patricia Guasp, Chefin der Ciudadanos auf den Balearen

Das könnte Sie interessieren:

Die Parteien und ihre Kandidaten: Ich schaue neidisch auf den Wahlkampf in Deutschland. Dort wird, im Unterschied zu Spanien, hauptsächlich über Politik gesprochen und nicht mit persönlichen Angriffen Kampagne gemacht, obwohl es dieses Mal mehr als bisher der Fall war. Die Grünen mit Annalena Baerbock machen das richtig gut, sie sprechen inzwischen Wähler von links und von rechts an. Ich freue mich natürlich, dass die FDP wieder da ist. CDU-Kandidat Laschet hat mit dem enormen Schatten von Angela Merkel zu kämpfen, das ist eine undankbare Aufgabe. Er hat es ja schon schwer, parteiintern Unterstützung zu bekommen. Olaf Scholz hat vor allem von den Fehlern von Laschet profitiert.

Die Aussichten: Derzeit sieht es ja nach einem Sieg von Scholz aus, aber es gibt noch viele Unentschlossene. Ich wünsche mir vor allem, dass die Liberalen in einer Regierungskoalition zu finden sind, egal, ob mit der CDU oder der SPD. Es wird ohnehin auf eine Dreierkoalition hinauslaufen, vielleicht dann mit den Grünen. Wichtig ist, dass alle Parteien eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen der AfD ausschließen. So eine Haltung würde ich mir in Spanien auch wünschen.