Mallorca Zeitung

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Legendärer Untersuchungsrichter bescheinigt spanischer Justiz einen katastrophalen Zustand

José Castro ist einer der bekanntesten Richter Spaniens, weil er die Infantin Cristina vor Gericht zitierte. Nun veröffentlicht er seine Autobiografie

Glaubt nicht, dass er Anspruch auf eine besondere Inschrift auf seinem Grabstein hat: José Castro. | FOTO: SEBASTIÁN TERRASSA

Der Blick von der Hochhauswohnung auf die Bucht von Palma ist traumhaft. „Kommt bloß nicht auf die Idee zu schreiben, dass ich reich sei“, sagt José Castro und grinst. Er trägt ein blaues Jeanshemd. Die oberen Knöpfe sind offen, darunter trägt er eine dünne Goldkette. Der ehemalige Untersuchungsrichter ist einer der bekanntesten Juristen Spaniens. Er war unter anderem für die Aufarbeitung der Korruptionsfälle um den Bau des Landeskrankenhauses Son Espases und Palma Arena verantwortlich. Zu landesweiter Bekanntheit brachte ihn aber die Vorladung der Schwester von König Felipe VI., Infantin Cristina, im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen ihren Mann, Iñaki Urdangarin, und die Stiftung Nóos. Es war das erste Mal, das ein Mitglied der Königsfamilie vor Gericht aussagen musste. Der 77-Jährige ist seit 2017 in Rente. Jetzt hat er seine Autobiografie „Barrotes retorcidos“ (Verbogene Gitterstäbe) veröffentlicht.

Herr Castro, wenn man „bekannteste Richter Spaniens“ googelt, findet man Sie auf den ersten Plätzen. Wie erleben Sie den Ruhm?

Das Berühmtsein war mir nie wirklich geheuer. Natürlich ist es nicht schlimm, wenn mich jemand auf der Straße anhält und sagt, ich hätte das mit dem Richtersein nicht ganz schlecht gemacht. Aber ich habe eher unter der Bekanntheit gelitten, als dass ich sie genossen habe.

Aufgewachsen ist Castro als Sohn einer wohlhabenden Familie in Andalusien. Sein Vater hatte mehrere Ländereien, später ging er pleite. Castro absolvierte ein Jurastudium und arbeitete erst als Lieferant in einem Möbelladen und später als Wärter in verschiedenen Gefängnissen. 1976 trat er in die Justizlaufbahn ein. Castro lebt seit 1985 auf Mallorca. Zunächst war er Richter am Arbeitsgericht, dann wechselte er zum Untersuchungsgericht Nr. 3 in Palma. In seiner Biografie betont er, dass er niemals eine Berufung verspürt hat, Richter zu werden.

In Ihrem Buch finden sich viele Anekdoten, in denen Sie beschreiben, wie Sie sich Ungerechtigkeiten in den Weg stellen. Sei es als Kind mit den Arbeitern auf den Landgütern Ihres Vaters, beim Militär oder auch am Gericht. Braucht es dafür nicht Berufung?

Nein. Das hatte eher was mit Gerechtigkeitssinn zu tun. Ich habe mich nie als einsamen Kämpfer im Sinne eines „El Cid“ betrachtet.

Dafür, dass Sie keine Berufung verspürt haben, waren Sie dann doch sehr erfolgreich.

Für den eigenen Erfolg ist man nicht immer selbst verantwortlich. Beispielsweise im Fall Nóos. Damals hat sich die Staatsanwaltschaft in den Weg gestellt, als ich die Infantin vorgeladen habe. Dabei ist eine Vorladung an einem Gericht ja eigentlich nichts Außergewöhnliches. Manchmal trifft man auf Widerstände, die einen beflügeln. Aber ich glaube, Berufung, wie etwa ein Priester sie verspürt, braucht man nicht, um ein guter Richter zu sein.

Was macht einen guten Richter aus?

Ein guter Richter muss Interesse haben. Er muss viele Stunden investieren. Vielleicht mehr, als eigentlich von ihm verlangt werden. Keiner kann uns zwingen, die Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Oder um drei Uhr morgens Urteilsbegründungen zu verfassen. Aber man macht es trotzdem, weil man die Dinge so gut wie möglich machen will. Man muss sich sein Geld verdienen wollen, auch wenn man nicht mit dem Gehalt zufrieden ist.

Und der Mut? Sie haben immerhin die Tochter des damaligen Königs vorgeladen.

Ich habe nicht das Gefühl, einen Drachen erlegt zu haben. Ich habe diese Frau vorgeladen und ihr fünf Stunden lang viele Fragen gestellt. Es ging nicht darum, sie zu quälen. Da sie auf keine meiner Fragen geantwortet hat, ging das Ganze ja auch recht flott. Kollegen sagten damals zu mir: „Dein Telefon wird abgehört.“ Aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich habe mich nie verfolgt gefühlt. Und meine einzige Schlacht, in die ich gezogen bin, war nicht gegen das Königshaus, sondern gegen den Staatsanwalt Pedro Horrach, der sich den Ermittlungen in den Weg gestellt hat.

Welche Auswirkungen hat der Fokus der Öffentlichkeit auf die Arbeit eines Richters?

Die Justiz muss für alle gleich sein, aber für die Medien ist nicht jeder Fall gleich. Dessen muss man sich bewusst sein. Aber die Bekanntheit eines Falls liegt im Fall selbst begründet, nicht in der Person des Richters. Der Richter kann sich dem Medieninteresse aber auch nicht entziehen. Man muss unter diesen Umständen eben versuchen, nicht mit zweierlei Maß zu messen. Das ist nicht immer einfach. Allerdings bin ich ja auch nicht der einzige Richter, der bekannte Ermittlungen geleitet hat.

Was hat Ihnen am meisten an Ihrer Arbeit als Richter gefallen?

Am wohlsten habe ich mich gefühlt, wenn ich die Leute im übertragenen Sinne auf ihre Plätze verwiesen habe. Manchmal erscheinen Menschen vor Gericht, die total verkrampft sind, deren Stimme zittert. Ihnen muss man sagen: „Sie müssen hier keine Angst haben. Sie haben Rechte. Sie dürfen sprechen und dabei sogar laut werden.“ Und andere, die einen auf großen Macker machen, die muss man eben ein bisschen runterholen von ihrem hohen Ross und ihnen klar machen, wo sie sich befinden.

Wie er so spricht, kann man es sich lebhaft vorstellen, wie er als Richter mit Menschen umgegangen ist, die meinten, über den anderen zu stehen. Er ist freundlich im Umgang, aber wenn ihn ein Thema aufregt, wird seine Stimme rauer und höher. Sein Blick kann sich in Sekunden verengen. Ein Gerichtsreporter einer mallorquinischen Zeitung hat vor Jahren in einer Fernsehreportage über den Richter gesagt: „Bei einem Anschiss von Castro senkt man sehr schnell den Kopf und sagt ‚Ja, Euer Ehren‘. Ich habe das am eigenen Leibe erlebt. Aber sein Zorn verfliegt auch schnell.“

Wie steht es um die Justiz in Spanien?

Katastrophal. Aber das ist nicht erst seit gestern so. Die Justiz leidet, seit ihr immer mehr Aufgaben zugeteilt wurden und die Umsetzbarkeit rein zeitlich und personaltechnisch nicht mehr möglich war. Wir Richter haben dazu beigetragen, indem wir uns nicht gewehrt haben, als wir die Chance dazu hatten. Stattdessen haben wir an die Beamten am Gericht delegiert. Das führte dazu, dass heute Menschen vor Gericht erscheinen und weder einen Richter noch einem Staatsanwalt begegnen und nicht mal ein richtiges Verfahren bekommen.

Bevor Sie nach Mallorca kamen, haben Sie unter anderem an Gerichten in Andalusien gearbeitet. Unterscheidet sich die Arbeit auf der Insel von dort?

Die Andalusier haben in ihrer Geschichte viel mehr gelitten. Das hat ein tiefes Misstrauen gegen den Staat ausgelöst, das tief verwurzelt ist. Auf der Insel sind die Leute ausgeglichener. Das macht die Arbeit eines Richters leichter.

Hat es Vorteile als Richter auf Mallorca, wenn man nicht von hier ist?

Ja, es bestehen so weniger persönliche Bindungen. Man fühlt sich freier. Natürlich baut man sich mit der Zeit ein Netz aus Freundschaften und persönlichen Beziehungen auf. Aber das hat mich nie beeinflusst. Ich habe mich in meiner Arbeit nie irgendwem aus solchen Gründen verpflichtet gefühlt.

In Ihrem Buch schreiben Sie über Fehler, die Sie begangen haben. Sie entschuldigen sich sogar explizit für einen. Haben Sie sich diese Fehler verziehen?

Fehler passieren immer. Und der Ermittlungsrichter ist der Verantwortliche. Manchmal heißt das, dass man Lorbeeren für etwas umgehängt bekommt, was eigentlich der Verdienst der Polizeibeamten war. Und manchmal muss man eben den Kopf hinhalten für etwas, was man gar nicht wirklich beeinflussen konnte. Und dann gibt es die formalen Fehler in einem Verfahren. Solche, die objektiv vielleicht falsch sind, aber die man wiederholen würde, weil man in dem Moment überzeugt war, richtig zu handeln. Im Bezug auf den Fehler, den Sie ansprechen, für den ich mich entschuldige: Es geht um Ana Eva Guasp, eine junge Frau, die 2001 verschwand und die wir nie gefunden haben. Dafür bitte ich ihre Angehörigen um Verzeihung. Ich denke oft an sie und habe ihr Bild aus den Ermittlungsakten vor Augen.

Andererseits ist Ihre Geschichte teilweise auch sehr witzig. Ist der Humor bei so viel Leid vor Gericht manchmal die einzige Art, um nicht den Verstand zu verlieren?

Nein. Ein Gericht ist kein lustiger Ort und die Justiz darf sich über niemanden lustig machen. Natürlich, es gibt manchmal Anzeigen, Polizeiberichte oder sogar Urteile, die witzig sind. Aber es ist nicht Aufgabe des Gerichts, irgendwen zu amüsieren. Ich muss gestehen: Manchmal habe ich auch Urteilsbegründungen geschrieben, in denen ich ein wenig über manch ein Verhalten hergezogen habe. Ich erinnere mich etwa an einen Mann, der den Bau eines Geräteschuppens beantragt hatte, um sein Haus zu vergrößern. Und als die Inspektoren eintrafen, stand da ein Traktor in einem Raum, der eindeutig ein Wohnzimmer war.

Was ist das Vermächtnis des Richters Castro?

Ach, die Menschen werden mich irgendwann vergessen haben, genauso wird es bei Ihnen sein und auch beim Altkönig. Ich habe keinen Anspruch auf eine besondere Inschrift auf meinem Grabstein. Höchstens irgendwas Albernes. Wie das, was auf dem Grab von Groucho Marx stehen soll: „Verzeihen Sie, dass ich nicht aufstehe.“ Das fände ich in Ordnung.

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