Als Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez im Oktober vergangenen Jahres verkündete, dass der nächste Gipfel der Nato in Madrid stattfinde, konnte er noch nicht ahnen, dass dies das wichtigste Treffen des Nordatlantikpaktes in Jahrzehnten werden würde. Am 29. und 30. Juni treffen in der spanischen Hauptstadt die Staats- und Regierungschefs der 30 Mitglieder der Nato zusammen, um vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine über eine neue Sicherheitsstrategie zu beraten. Auch die Ministerpräsidentinnen von Schweden und Finnland werden da sein, wenn beide Länder in die Militärallianz aufgenommen werden.

Als Vorgeschmack fand am Montag (30.5.) ein Festakt zum 40. Jahrestag des Beitritts Spaniens in die Nato im Teatro Real von Madrid statt. Neben Sánchez und drei seiner Amtsvorgänger waren auch König Felipe anwesend sowie der Generalsekretär der Allianz, Jens Stoltenberg, und dessen spanischer Vorgänger Javier Solana. Der Monarch erinnerte in seiner Rede daran, dass das Militärbündnis bei aller Dringlichkeit des Ukraine-Krieges auch die Gefahr durch den islamistischen Terrorismus in Nordafrika nicht vergessen dürfe. Der Gipfel Ende Juni habe eine „historische Dimension“.

Sánchez rechtfertigt Rüstungsausgaben

Sánchez verteidigte seine Entscheidung, die Militärausgaben an das Nato-Ziel auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung anzuheben. „Unsere Sicherheit ist auf unbestimmte Zeit nicht gewährleistet“, erklärte der Sozialist. „Aber jetzt nichts zu tun, würde am Ende teurer werden“, versicherte er. Diese Aussage richtete sich an die Teile in der spanischen Gesellschaft, welche die Aufrüstung sehr kritisch sehen. Das gilt vor allem für den Koalitionspartner der PSOE von Sánchez, das Linksbündnis Unidas Podemos (UP).

Auf dem Festakt im Teatro Real waren mehrere Minister der Sozialisten anwesend, jedoch keines der fünf Kabinettsmitglieder von UP. Auch Arbeitsministerin Yolanda Díaz, eine von drei Stellvertreterinnen des Ministerpräsidenten, blieb der Feier fern, offiziell wegen eines Arzttermins. Sprecher von Podemos wetterten gegen den Gipfel in Madrid sowie die angekündigte Aufstockung des Verteidigungsbudgets. Stattdessen solle Spanien lieber einen „großen Gipfel für den Frieden durch diplomatische Wege“ veranstalten. Im linken Spektrum in Spanien ist die Ablehnung der Nato traditionell stärker ausgeprägt als in den meisten europäischen Nachbarländern. Die Kehrtwende des sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe González beim Referendum von 1986 hängt der PSOE bei linken Wählern bis heute nach.

Arbeitsministerin hin und hergerissen

Die Debatte über den Nato-Gipfel in Madrid bringt Arbeitsministerin Díaz in die Bredouille. Sie ist das Aushängeschild der Linken, die Politikerin mit den besten Umfragewerten im Lande, die auch von konservativen Medien und Arbeitgebervertretern für ihre Maßnahmen im Arbeitsministerium gelobt wird. Díaz plant derzeit eine Formation, mit der sie sich bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr präsentieren will. Diese soll über das Milieu von Unidas Podemos hinausgehen und auch Wähler der PSOE und in der Mitte der Gesellschaft ansprechen.

Die Haltung zur Nato verlangt von der Politikerin aus Galicien daher einen Spagat. Als Mitglied der kommunistischen PCE, die Teil von UP ist, steht sie in der pazifistischen Anti-Nato-Tradition. Doch als hohes Kabinettsmitglied trägt sie Verantwortung. Der Nato-Gipfel bestimme das internationale Image Spaniens, mahnte Regierungssprecherin Isabel Rodríguez von der PSOE auf der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung am Dienstag (31.5.) in Anwesenheit von Díaz. Da würde es merkwürdig aussehen, wenn der kleine Koalitionspartner das Treffen boykottiere.

Díaz wies den Vorwurf aus den Reihen von Podemos zurück, wonach die Regierung bei der Organisation des Gipfels in Madrid mit Verträgen über insgesamt 37 Millionen Euro gemauschelt haben soll. Alles sei legal und transparent vom Kabinett beschlossen worden, versicherte die Ministerin.

In dem heterogenen Bündnis UP gibt es nun Überlegungen, wie man das Dilemma zwischen der Ablehnung der Nato und der Regierungsverantwortung überbrücken kann. Eine kritische Haltung zum Militärbündnis sei mit einer „institutionellen Repräsentation vereinbar“, meinte der Chef des katalanischen Ablegers von Podemos, Jaume Asens.

Díaz hält sich vor diesem Hintergrund vorerst noch alle Optionen offen. Auf der Regierungspressekonferenz wich sie mehrfach der Frage aus, ob sie am Nato-Gipfel anwesend sein werde: „Sobald wir unsere Terminkalender für die kommende Zeit wissen, werden wir dies mitteilen.“

Kehrtwende der Sozialisten

Es war Premier Leopoldo Calvo Sotelo von der liberalkonservativen UCD, der den Beitritt Spaniens zur Nato am 30. Mai 1982 beschloss. Die Sozialisten von Felipe González waren wie die Kommunisten dagegen. Nach dem Wahlsieg der PSOE rief González eine Volksbefragung zur Mitgliedschaft im Nordatlantikpakt ein. Die Sozialisten vollzogen eine 180-Grad-Wende und plädierten für den Verbleib. Am Ende stimmten 1986 knapp 57 Prozent für die Mitgliedschaft im Militärbündnis.