Energiewende | Juan Pedro Yllanes Vizeministerpräsident der Balearen

Vizepremier Yllanes im MZ-Interview: "Ich musste mir schon so oft auf die Zunge beißen""

Der Vizeministerpräsident der Balearen, Ex-Richter und Podemos-Politiker über umstrittene Solarparks, Differenzen mit den Sozialisten in der Tourismuspolitik und seine Pläne für die Rente

Yllanes: „Ästhetische Kriterien dürfen kein Grund für das Scheitern der Energiewende sein.“  | FOTO: GUILLEM BOSCH

Yllanes: „Ästhetische Kriterien dürfen kein Grund für das Scheitern der Energiewende sein.“ | FOTO: GUILLEM BOSCH / Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Egal wie die Regionalwahlen am 28. Mai ausgehen – die kurze, aber intensive politische Karriere von Juan Pedro Yllanes (63) wird zu Ende sein. Der frühere Richter, der vor acht Jahren für die damals neu entstandene Protestpartei Podemos kandidierte und sein Thema vor allem im Kampf gegen die Korruption fand, geht nach Ende der Legislaturperiode in Rente. Nach vier Jahren als Abgeordneter im spanischen Parlament war der Jurist 2019 in die Regionalpolitik gewechselt und wurde als Vizepräsident sowie Minister für Energiewende, Industrie und Vergangenheitsbewältigung der starke Mann von Podemos an der Seite der sozialistischen Ministerpräsidentin Francina Armengol.

Als Sie sich vor vier Jahren aufstellen ließen, begründeten Sie Ihre Motivation damit, der Linksregierung zu einer zweiten Legislaturperiode verhelfen zu wollen und so die progressive Politik zu verankern. Ist das gelungen?

Davon bin ich überzeugt. Vor allem hinsichtlich der Energiewende und bei der Vergangenheitsbewältigung, aber auch in Landwirtschaft und Industrie. Im Fall eines Machtwechsels wäre es für eine neue Regierung sehr schwierig, das zu stoppen oder zurückzudrehen.

Wie weit ist die Energiewende vorangeschritten, wenn wir den jahrelangen Stillstand des Anteils erneuerbarer Energien bei zwei bis drei Prozent zum Maßstab nehmen?

Wir stehen jetzt bei sieben bis acht Prozent hinsichtlich der Energieerzeugung auf den Balearen. Wir hatten zwischendurch Spitzenwerte von über 20 Prozent. Gerade haben wir den Solarpark Son Salomó vorgestellt, er wird in der Hochsaison ein Drittel des Energiebedarfs auf Menorca decken. Die Zahl der Anlagen zur Selbstversorgung hat sich verzehnfacht, auf mehr als 11.000. Wir haben das Bewusstsein verankert, dass dieser Wechsel unabdingbar für unsere künftige Lebensqualität ist.

Gleichzeitig protestieren Umweltorganisationen wie Gob und Terraferida massiv gegen Projekte für Solarparks, trotz des Klimanotstands. Die Rede ist von Spekulation und Großkapitalismus. Was läuft da schief?

Das Problem liegt darin, wie diese Gruppen die Notwendigkeit der Energiewende und deren Möglichkeiten in einem Gebiet wie den Balearen wahrnehmen. Ist es uns wirklich ernst damit, die Balearen zu dekarbonisieren? Wir fördern Fotovoltaikanlagen von Privathaushalten. Wir priorisieren Standorte in Ortskernen, große Parkplätze, Verwaltungsgebäude. Könnten wir den Energieverbrauch um 50 Prozent reduzieren – was angesichts der Besucherrekorde schwierig bis unmöglich ist –, könnten wir mit all diesen Maßnahmen 400.000 Einwohner mit Strom versorgen. Blieben also 800.000. Wir haben bis zum Umfallen wiederholt, dass wir nur 0,7 Prozent der ländlichen Fläche für Solarparks benötigen. Wollen wir stattdessen tatsächlich Erdgas und Diesel verbrennen? Vereinigungen wie Gob, Terraferida oder Amics de la Terra beklagen sich, haben aber keinen einzigen zielführenden Vorschlag geliefert.

Wir haben bis zum Umfallen wiederholt, dass wir nur 0,7 Prozent der ländlichen Fläche für Solarparks benötigen. Wollen wir stattdessen tatsächlich Erdgas und Diesel verbrennen?

Juan Pedro Yllanes

Warum gelingt Ihnen kein Dialog mit ihnen?

Ich glaube, ihnen ist klar, dass sie keine Alternative zu bieten haben. Es ist ein Umfeld, in dem Eingriffe in die Landschaft durch die Fotovoltaik nicht akzeptabel sind. Hier geht es aber nicht um Landschaftsschutz, sondern die Erfüllung eines Gesetzes zum Klimaschutz, um unsere Zukunft. Ästhetische Kriterien dürfen kein Grund für das Scheitern der Energiewende sein.

Auch die Bauern haben sich dem Protest angeschlossen. Sind die Projekte zur Vereinbarkeit von Energie- und Landwirtschaft keine überzeugende Lösung?

Für jeden Solarpark mit einer Fläche von mehr als vier Hektar muss der Bauträger eine ebenso große Fläche für die Landwirtschaft bereitstellen. Mit dieser Vorgabe sind wir Pioniere.

Laut dem Ökobauernverband besetzen die Anlagen aber oft die attraktivsten Standorte.

Einige Landwirte haben uns auch berichtet, dass sie dank der Fotovoltaik auf einem Teil ihrer Felder die Landwirtschaft aufrechterhalten können. Im Fall von Son Salomó haben wir Bauern kontaktiert, um dort Vieh zu halten. Ich glaube, das ist perfekt kompatibel.

Thema Vergangenheitsbewältigung. Die Exhumierung und Identifizierung von Opfern aus dem Bürgerkrieg kommt gut voran. Man hat aber das Gefühl, dass sich Podemos mit dem Thema profilieren will. Muss es nicht von der gesamten Gesellschaft mitgetragen werden?

Dieser Eindruck kann entstehen, da wir uns um die tagtägliche Umsetzung kümmern. Wir von Podemos sind stolz auf die Arbeit in dieser Legislaturperiode. Bei allen wichtigen Ereignissen war aber die gesamte Regierung beteiligt. Ministerpräsidentin Francina Armengol war stets dabei, wenn sterbliche Überreste von Opfern den Angehörigen übergeben wurden.

Und was ist mit den Vertretern der anderen politischen Gruppierungen?

Wenn sie direkt involviert sind, unterstützen sie uns, etwa der Bürgermeister von Selva von der Volkspartei bei der Exhumierung von zwei Franco-Opfern in seiner Gemeinde. Die Rechtspartei Vox dagegen sprechen wir bewusst nicht an. Sie verunglimpft die Arbeit mit Ausdrücken, die in Deutschland ein Delikt darstellen dürften. Die Gesellschaft steht dahinter, deswegen vertraue ich darauf, dass die Projekte auch bei einem Machtwechsel fortgesetzt würden.

Um hier eine Wohnung zu kaufen, braucht es ein komplettes Durchschnittsgehalt von 16 Jahren – das ist ein Wert, den ich für keine andere Region in Europa kenne und rechtfertigt eine juristische Prüfung.

Juan Pedro Yllanes

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Ein ideologisch heißes Eisen ist derzeit vor allem das Sexualstrafrecht, das die spanische Linksregierung unter dem Motto „Nur Ja heißt Ja“ reformiert hat. Als daraufhin Haftstrafen herabgesetzt wurden, beschimpfte die Ministerin für Gleichberechtigung, Irene Montero, die Richter als Sexisten. Was denken Sie als Richter über die Worte Ihrer Parteikollegin?

Das ist kein Problem von Sexismus, sondern der juristischen Interpretation. Die Ausbildung der Richter ist konservativ geprägt, von daher die Skepsis gegenüber dem Gesetz einer Linkspartei. Der ganze mediale Lärm dreht sich aber um die Zusatzbestimmungen des Gesetzes. Ich glaube, es hat bei den Verantwortlichen in Madrid an Durchhaltevermögen gefehlt, zumal man wissen konnte, dass sich die mediale Rechte auf dieses Thema stürzen würde, sobald Strafen gesenkt würden. Die Aussagen, dass soundsoviele Vergewaltiger freikämen, waren übertrieben und lassen außer Acht, dass das spanische Recht für Sexualstraftraten ohnehin keine lebenslange Haft vorsieht. Man darf nicht vergessen, dass dieses Gesetz nicht nur aus den Zusatzbestimmungen besteht und enorm wichtig ist für den Schutz der Frauenrechte.

Hätte man den Eklat nicht vermeiden können, wenn das Strafmaß für keines der Delikte gesenkt worden wäre?

Es gab Kriterien der Staatsanwaltschaft zur Anwendung, aber einige Gerichte haben sich nicht an diese gehalten. Inzwischen sind einige dieser Entscheidungen von den Instanzen aufgehoben worden. Aber ganz klar, die Aussage über sexistische Richter war nicht richtig, und sie war auch kontraproduktiv.

Juristisch höchst heikel ist auch das Vorhaben auf den Balearen, ein Limit für den Hauskauf durch Nichtresidenten zu prüfen. Wir wissen, dass das theoretisch möglich ist, in der Praxis aber komplex und leicht zu Fall zu bringen. Warum konzentrierten Sie Ihre Kräfte nicht auf andere Instrumente der Wohnungspolitik?

Ich glaube in der Tat, dass wir stärker auch andere, effizientere Instrumente in Betracht ziehen sollten. Aber gleichzeitig müssen wir der europäischen Justiz die speziellen Entwicklungen auf den Balearen erklären, die eine Ausnahme bei den Grundsätzen der Freizügigkeit rechtfertigen. Um hier eine Wohnung zu kaufen, braucht es ein komplettes Durchschnittsgehalt von 16 Jahren – das ist ein Wert, den ich für keine andere Region in Europa kenne und rechtfertigt eine juristische Prüfung.

Und welche anderen Instrumente halten Sie für sinnvoll, angesichts des langsamen und teuren sozialen Wohnungsbaus?

Er ist ein wichtiger, aber kein alleiniger Ansatz. Andere Vorschläge, etwa den Bau höherer Gebäude zuzulassen oder neue Baugebiete auszuweisen, bereiten mir Sorgen. In der Baubranche gelten Angebot und Nachfrage, und wenn die Balearen ein Sehnsuchtsziel für Nordeuropäer bleiben, verteuert das die Preise auf dem Wohnungsmarkt. Ich glaube, wir sollten beim sozialen Wohnungsbau die Bauwirtschaft stärker einbeziehen und Vereinbarungen treffen, die niedrigere Wohnungspreise ermöglichen.

Die vier Jahre in der Landesregierung waren für mich auch eine Zeit persönlicher Opfer. Man steht im Fokus und kann ihm nicht entkommen.

Juan Pedro Yllanes

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Sie kritisierten vor Ihrem Eintritt in die Regierung, dass es der Balearen-Politik an einem klaren Tourismuskonzept fehlt. Existiert es jetzt?

Nein. Dass ein Teil der Landesregierung auf der ITB neue Rekorde im Tourismus ankündigte, ist keine gute Nachricht. Wir müssen den Tourismus auch energietechnisch denken. Und bereits vergangenes Jahr hatten die Menschen zuweilen den Eindruck der Vermassung. Solange wir uns mit dem Strandtourismus-Modell wohlfühlen und die Tourismuslobby zufrieden ist, bleibt das Problem ungelöst.

Die unterschiedlichen Sensibilitäten in der Linksregierung treten immer deutlicher zutage. Ließe sich eine solche Koalition neu auflegen, zumal Sie als Vermittler ausscheiden?

Ich denke, wir haben der Bevölkerung angesichts der anfänglichen Zweifel gezeigt, dass Podemos regierungsfähig ist und eine Koalition sehr fruchtbar sein kann, auch wenn man nicht in allem einer Meinung ist. In der schweren Krise der Pandemie gab es keinerlei Differenzen. Jetzt muss es wieder möglich sein, Diskrepanzen offen auszusprechen, ohne dass deswegen eine Regierungskrise ausbricht.

Kann man nach so intensiven politischen Jahren einfach so in Rente gehen?

Es war bereichernd, ich habe aber auch gelernt, welche Konsequenzen es hat, eine eigene Meinung zu vertreten. Die vier Jahre in der Landesregierung waren für mich auch eine Zeit persönlicher Opfer. Man steht im Fokus und kann ihm nicht entkommen. Ohne politisches und richterliches Amt werde ich künftig offener sprechen können. Ich musste mir schon so oft auf die Zunge beißen. Ich habe große Lust auf künftige Debatten um die Energiewende und die Zukunft des Tourismus.

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