Entrevista | Alice Weber Politikerin

Deutsche Lokalpolitikerin Alice Weber auf Mallorca: "Die Menschen hier brauchen Schutz"

Alice Weber, deutsche Stadträtin in Inca für Més per Mallorca, über Politik in der Koalition, die Debatte um die Wohnungsnot sowie ihre dritte Kandidatur

Noch einmal Spitzenkandidatin: Alice Weber in ihrer Heimatstadt Inca.

Noch einmal Spitzenkandidatin: Alice Weber in ihrer Heimatstadt Inca. / | FOTO: NELE BENDGENS

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Der Kreis schließt sich. In die Kommunalpolitik ging Alice Weber vor inzwischen acht Jahren infolge ihres Engagements bei den Elternverbänden an den Schulen. Am Donnerstag vergangener Woche wurde der Grundstein für eine neue Grundschule in Inca gelegt. „Deswegen bin ich in die Politik gegangen“, sagt die 47-jährige Deutsche, die zuvor als Pharmareferentin arbeitete und heute als Stadträtin der linksökologischen Regionalpartei Més per Mallorca die Ressorts Bildung, Arbeit, Kultur, Sprache und Vergangenheitsbewältigung verantwortet. Wie auf Balearen-Ebene auch, ist die Partei in Inca Juniorpartner der Sozialisten in einer Linksregierung. Bei den Kommunalwahlen am 28. Mai kandidiert Weber auf Listenplatz eins ihrer Partei.

Wann und wie fiel die Entscheidung, doch wieder zu kandidieren?

Ich wollte eigentlich nur acht Jahre in der Politik sein. Als ich dann meiner Partei die Absicht mitteilte, nicht mehr zu kandidieren, haben mich meine Leute überzeugt, mich noch einmal aufstellen zu lassen. Vor acht Jahren kannte mich keiner, heute bin ich stadtbekannt. Deswegen trete ich noch einmal für Més an. Wir schauen aber gleichzeitig, wer künftig an meine Stelle treten kann.

Vor acht Jahren holte Més drei Mandate im Stadtrat, vor vier Jahren dann zwei. Woran werden Sie Ihren Erfolg messen?

Das ist schwer zu sagen. Generell haben die Menschen Vertrauen in die Politik verloren. Wichtig für mich ist, mehr Stimmen zu bekommen als beim letzten Mal.

Man hat mitunter das Gefühl, Més würde sich in der Opposition wohler fühlen.

Die Arbeit in einer Koalition ist nicht einfach. Es braucht Empathie und Großzügigkeit. Und das war in den vergangenen acht Jahren nicht wirklich der Fall.

In Inca oder auch auf Balearen-Ebene?

Sowohl als auch. Manchmal hat man schon das Gefühl, dass es einem in der Opposition besser ginge: Man macht Vorschläge, trägt dafür aber keine Verantwortung. Aber wir in Més sind in der Politik, um Dinge zu bewegen. Wir kämpfen dafür, in der Regierung zu sein, was aber nicht heißt, dass wir in der Regierung sein müssen. Viele Dinge müssen sich ändern.

Haben sich die Gegensätze in den vergangenen vier Jahren verschärft?

In Inca ja. Es ist schwierig, wenn der Koalitionspartner Entscheidungen ohne Absprache trifft und man davon aus der Presse erfährt. Més per Mallorca hat sich nun mal die Themen Sprache und Kultur auf die Fahnen geschrieben. Das sind Bereiche, in denen schnell Loyalitätskonflikte drohen.

Beispiel Sprachpolitik: Ist es wirklich von so zentraler Bedeutung, ob nun für bestimmte Fachärzte auf den Balearen Ausnahmen bei den Katalanisch-Vorschriften gelten? Spielt da nicht auch Profilierung eine Rolle?

Es ist ein Identitätsproblem und von zentraler Bedeutung. Wir bekommen sofort eine Rückmeldung auf der Straße. Es heißt zum Beispiel: Ihr seid die Einzigen, die sich für dieses Thema einsetzen, und ihr seid umgefallen. Gerade bei solchen Entscheidungen müssen wir Kompromisse unseren Wählern gut erklären können.

Konflikte gab es besonders im Inselrat beim Thema Tourismuswerbung. Rechtfertigt die Frage, ob Palmas Stadion weiterhin „Visit Mallorca“ heißen darf, eine Regierungskrise?

Das war übertrieben. Aber beim Thema Sprache ist das eine andere Sache.

Darf man sich beglückwünschen, dass 2023 mehr Urlauber kommen als vergangenes Jahr?

Nein. Es reicht nicht, über Nachhaltigkeit nur zu reden, es braucht Kohärenz, zumal wir uns darauf im Koalitionsvertrag verständigt hatten. Durch Corona haben wir gelernt, dass wir nicht allein vom Tourismus abhängen können. Es läuft aber wieder wie vorher.

Die Linksregierung limitiert die Zahl der Kreuzfahrtschiffe und will langfristig die Zahl der Gästebetten senken.

Das ist alles wunderschön, aber das sind kleine Schritte, wenn man das Wirtschaftsmodell ändern möchte. Es geht ja nicht darum, den Tourismus durch eine andere Branche zu ersetzen. Wir dürfen aber nicht allein von ihm abhängen und immer nur auf Wachstum setzen. Wir brauchen einen langfristigen und ernsthaften Wandel, und dafür müssen wir vor allem auf das Bildungssystem setzen, auf Informatik, Ingenieurswissenschaften, nachhaltige Energien. Die duale Berufsausbildung steckt noch immer in den Kinderschuhen.

Ein Parteikollege von Ihnen hat die Initiative angestoßen, ein Limit für Hauskäufe durch Nicht-Residenten auf den Balearen zu prüfen. Wie stehen Sie zu dieser aktuellen Debatte?

Ich bin für eine Regulierung, die solide vorbereitet und im Detail geklärt werden muss. Wir alle haben das Recht, uns an einem anderen Ort auf der Welt ein neues Leben aufzubauen. Aber wir müssen Spekulation unterbinden. Wer aus dem Ausland kommt, so wie auch meine Familie, sollte erst eine Weile hier wohnen und prüfen, ob sie oder er wirklich hier leben will. Die Menschen hier brauchen Schutz. Ich habe Freunde auf Ibiza, deren Kinder keine Möglichkeit haben werden, irgendwann mal in ihrem eigenen Haus zu leben.

Treibt die Linksregierung mit dieser Debatte ausländische Wähler in die Arme der konservativen Opposition?

Ich kenne viele andere Ausländer, die das genauso sehen wie ich. Aber sie haben auch keine damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen. Inca war nie eine teure Stadt. Seit einigen Jahren ist es aber fast unmöglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Wer 1.400 Euro verdient, zahlt die Hälfte allein für die Miete.

Sie wissen, wie komplex Politik ist. Ist ein rechtlich so heikles Limit für Nicht-Residenten keine Zeitverschwendung?

Wir dürfen ganz klar nicht allein darauf setzen, und wir müssen es solide vorbereiten und gut erklären. Es geht nicht um die Ausländer, es geht darum, Spekulation zu verhindern.

Sie sind die einzige deutsche Gemeinderätin auf Mallorca. Spielt Ihre Nationalität im politischen Alltag überhaupt eine Rolle?

Ja, absolut. Vor acht Jahren war ich nicht so stolz darauf wie heute, Deutsche zu sein. Ich bin in einer Partei, die das Katalanische und die Identität verteidigt, aber nie von mir verlangt hat, nicht deutsch zu sein. Ich bin eine deutsche Mallorquinerin. Viele Positionen meiner Partei vertrete ich aus deutscher Sicht.

Zum Beispiel?

Die Menschen hier setzen sich für die Bewältigung der Bürgerkriegszeit wegen des Schicksals ihrer Familie ein. Ich habe keinen familiären Hintergrund, denke aber an die deutsche Geschichte. Die katalanische Sprache verteidige ich, obwohl ich sie erst spät gelernt habe. Sie gibt mir aber viel. Ich verstehe vollkommen, wenn jemand keine Zeit oder kein Talent hat, Katalanisch zu lernen, aber nicht, wenn das als unnötig abgetan wird.

Was waren der schlimmste und der schönste Moment in den vergangenen vier Jahren?

Der Tag vor dem Corona-Lockdown. Wir saßen im Plenarsaal und haben beschlossen, die Stadt zu schließen. Es war ein Gefühl von Apokalypse, ich bekomme noch heute Gänsehaut von Kopf bis Fuß. Da waren wir wirklich alle ein Team. Und deswegen war es auch gleichzeitig einer der schönsten Momente.

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