Dass nach einer Scheidung meistens die Mütter das alleinige Sorgerecht für ihr Kind bekommen, entspricht zumindest auf den Balearen nicht mehr der Realität. Bei den 1.271 divorcios mit Kindern, die das spanische Statistikinstitut (INE) im vergangenen Jahr auf der Inselgruppe zählte, teilten sich Mütter und Väter in 602 Fällen das Sorgerecht. Das entspricht 47,3 Prozent aller Fälle, mehr als irgendwo anders in Spanien.

617 Mal sprachen die Richter der Mutter das alleinige Sorgerecht zu. Väter bekamen es in 52 Fällen übertragen. Ihre Posi­tion hat sich im Lauf der vergangenen Jahre dennoch deutlich zu ihren Gunsten verändert: Noch 2013 entschieden sich die Richter hierzulande nur in einem von vier Fällen für das geteilte Sorgerecht. In 70 Prozent der Fälle wurde es den Müttern zugesprochen.

Landesweit wird das Sorgerecht im Schnitt nur in einem von drei Fällen zwischen beiden Elternteilen aufgeteilt, die Mütter werden deutlich bevorzugt. In Extremadura, Murcia und Andalusien ist das Sorgerecht sogar nur in einem Fünftel der Fälle geteilt. In Katalonien (44,9 Prozent) und der Comunidad Valenciana (42,3 Prozent) ähneln die Zahlen den balearischen.

Zum Vergleich: In Deutschland blieb die elterliche Sorge laut dem Bundesamt für Statistik im Jahr 2016, da kein Antrag gestellt wurde, in 60.003 von 61.664 Fällen bei beiden Elternteilen. In den vor Gericht geregelten 1.661 Angelegenheiten bekamen das Sorgerecht in 1.165 Fällen die Mütter allein, in 132 weiteren die Väter. 342-mal wurde das Recht beiden übertragen. Die Zahlen, zumindest der gerichtlich geklärten Fälle aus Deutschland, ähneln damit eher dem spanienweiten Durchschnitt, bei dem die Mütter deutlich bevorzugt werden.

Späte Gesetzesänderung

Dass sich die Lage auf den Balearen in den vergangenen Jahren für die Väter zum Positiven verändern konnte, ist zwei Gesetzesänderungen zu verdanken, die von den Richtern auf den Inseln besonders konsequent umgesetzt werden. „Im bürgerlichen Gesetzbuch war früher keine Option für ein geteiltes Sorgerecht vorgesehen. Erst eine Änderung des Código Civil im Jahr 2005 öffnete überhaupt die Tür für eine Aufteilung", erklärt Francisca Pol, die seit 1987 auf den Balearen als Anwältin arbeitet. Seit einem Urteil des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2013 seien die Richter quasi gezwungen, sich, wenn möglich, für das geteilte Sorgerecht zu entscheiden.

Auch in Deutschland besagt das Gesetz seit einer Änderung entsprechender Paragrafen des Kindschaftsrechts im Jahr 1998, dass nach einer Scheidung die Sorge durch beide Elternteile der Regelfall sein sollte. „Die Gesetze waren veraltet und haben nur bedacht, dass die Frau sich meist um das Haus und die Kinder gekümmert hat und ihr deswegen mehr Rechte zugesprochen. Heute sind die Rollen anders verteilt", erklärt Pol.

Wer sich kümmert ?

In beiden Ländern würden Väter daher im Falle eines Umgangsrechtsstreits so viel Kontakt wie möglich zum Kind fordern, bestätigt auch die deutsche Rechtsanwältin Heike Dahmen-Lösche. Wer einen festen Job hat und nachweisen kann, dass er sich stets gut um das Kind gekümmert hat - und zwar nicht nur finanziell, sondern es beispielsweise auch regelmäßig von der Schule abgeholt hat oder mit ihm beim Arzt war -, habe mittlerweile gute Chancen auf einen Teil des Sorgerechts.

Hat das Kind seinen Lebensmittelpunkt auf Mallorca, muss das Verfahren auf der Insel geführt werden. In Spanien können Kinder laut Pol ab zwölf, wenn sie frühreif sind, auch schon ab zehn Jahren vor Gericht angehört werden und ihre Meinung äußern. In Deutschland sei eine Anhörung nach Vollendung des 14. Lebensjahres sogar vorgeschrieben, sagt Dahmen-Lösche.

Die meisten Eltern in Deutschland einigten sich schnell, bei wem die Kinder leben sollen, so die Expertin. Meist würden die Kleinen bei der Mutter bleiben - auch weil Frauen sich ihre Arbeitszeiten häufig flexibler einteilen können. Der Vater habe dafür ein großzügiges Umgangsrecht, das bestimmt, wie oft er sich um das Kind kümmern kann. Sowohl in Spanien als auch in Deutschland ist dabei der wöchentliche Wechsel beliebt.