Von Silke Droll

Die bereits bestehende deutschsprachige Community auf der Insel wirkt wie ein Magnet auf weitere Landsleute. Entgegen dem gängigen Klischee vom Insel-Greenhorn sind unter den Neuen viele Menschen, die entweder ihren Angehörigen folgen, Freunde und Bekannte hier haben, mit dem Job in der Tasche oder der fertigen Geschäftsidee im Kopf kommen. "Im Gegensatz zu früher kommen nicht mehr so viele her, die vollkommen uninformiert sind. Das ist in letzter Zeit besser geworden", sagt Magda Pajor, die bei der Mietagentur Atlas International Neuankömmlingen auf Mallorca seit vielen Jahren Wohnungen vermittelt. "Viele Leute haben hier schon einen Familienangehörigen oder andere Kontakte", bestätigt auch Steffen Döhne von der Mallorca Mietbörse, der ebenfalls mit den Neuankömmlingen in Kontakt ist. Die Neu-Residenten zählen dann auf die Hilfe alter Insel-Hasen.

Für die 25 Jahre alte Berlinerin Katherina Pflug war der Familienanschluss sogar der Hauptgrund, im Februar nach Sa Coma im Inselosten zu ziehen. Denn auf Mallorca lebt der Bruder ihres Lebensgefährten Ronny Seifert mit seiner spanischen Frau und dem ein halbes Jahr alten Sohn. Pflug selbst hat gerade ihren zweiten Sohn geboren und verspricht sich vom Leben auf der Insel einen engen Austausch mit der Verwandtschaft und gegenseitige Unterstützung. "Wir wollten, dass die Cousins zusammen aufwachsen und sind in ein Haus in der gleichen Straße wie Ronnys Bruder gezogen", sagt sie. Die beiden Brüder hätten sich in den vergangenen Jahren sehr vermisst und seien froh, sich wieder nah zu sein. Pflug sitzt mit ihrem wenige Tage alten Sohn Daniel im Krankenhausbett in der Klinik in Manacor und ist mit ihren ersten Wochen auf Mallorca rundum zufrieden. "Die Versorgung hier in der Klinik ist sehr gut", lobt sie. Viel von der Insel hat sie noch nicht gesehen, doch für eine gründliche Korrektur der Klischeebilder im Kopf reichten die ersten Eindrücke: "Es ist überhaupt nicht so wie in den Fernseh-Reportagen vom Ballermann, sondern grün, schön und sauber." Vor ihrem Umzug war Pflug noch nie auf Mallorca gewesen. Sie hat allerdings schon in Torrevieja auf dem spanischen Festland gelebt. Vor fünf Jahren war sie ihrem Freund Ronny, einem Spezialisten für die Trockenlegung feuchter Wände, dorthin gefolgt. Auf Mallorca wollen die Berliner nun bleiben und hoffen sogar auf den Nachzug der eigenen Eltern, wenn diese in Rente gehen.

Traumjob statt Hartz IV

Seinen Bruder Kai als Residenten auf der Insel zu wissen, gab auch dem 47 Jahre alten Holger Maltzahn ein gutes Gefühl bei der Ankunft in diesem Winter. Nach Berufserfahrung in Hotels und Restaurants auf der ganzen Welt wollte sich der gelernte Restaurantfachmann eigentlich auf Dauer in seiner Heimatstadt Hamburg niederlassen. "Aber dort hatte ich in meinem Alter keine Chance mehr", erzählt der Neu-Resident. Die Hartz-IV-Tristesse tauschte er gegen seinen Traumjob auf Mallorca ein. Seit Februar arbeitet Maltzahn als fest angestellter Kellner in der Bar Albatros im Hafen von Port de Sóller mit Blick aufs Meer und die Berge. "Das ist genau mein Ding. Ich fühl mich sauwohl", schwärmt er. Mittlerweile hat er sogar eine Wohnung an seinem neuen Arbeitsort gefunden. "Ein richtig niedliches Apartment. Das haben mir meine spanischen Kollegen besorgt."

Auf der großen Außenterrasse der Bar berät Maltzahn die vielen deutsch- und englischsprachigen Gäste der mallorquinischen Bar bei der Wein- und Tapasauswahl in deren Muttersprache. Sein Chef Felipe Aloy war auf der Suche nach einem Mitarbeiter, der gut Deutsch spricht, und lobt ihn über den grünen Klee. "Holger bietet einen tollen Service. Es läuft fantastisch." Maltzahn ist sein Glück bewusst. Ungern erinnert er sich an die "trüben Tage" um den Jahreswechsel. Er wohnte bei seinem Bruder, doch der war mit seiner Familie über Silvester weggefahren. Der Deutsche war alleine in Ciudad Jardín und in Sachen Jobsuche tat sich nichts. "Da hab ich schon gezweifelt", sagt er. Seine Wohnung in Hamburg hatte er schon aufgelöst. Dann kam ihm der Zufall zur Hilfe. Die deutsche Freundin seines neuen Chefs hatte sein Stellengesuch in der Mallorca Zeitung gelesen.

"Viele arbeitslose Deutsche schaffen es hier nicht und müssen wieder nach Deutschland zurückgehen", warnt Marion Cao Álvarez, die beim deutschen Konsulat in Palma schon oft Notfallhilfe leisten musste, wenn Neulingen das Geld ausging. Sie rät, sich unbedingt vor dem Umzug über die Internetseiten der Botschaft in Madrid und der Mallorca Zeitung (siehe Seite 9) umfassend über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Spanien zu informieren. Ohne finanzielle Reserven und Spanischkenntnisse könne der Neustart auch gründlich misslingen.

Vor allem die Perspektivlosigkeit in Deutschland sei für viele ein Grund, mit eventuell schon länger gehegten Auswanderungsplänen ernst zu machen, bestätigt auch François de la Villetheart. In seiner Kfz-Ummeldungs-Agentur erfährt er von vielen Schicksalen. "Gute Chancen haben hier vor allem Handwerker, die ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten", glaubt er. Oft verbinden die Neustarter auch den Traum vom Süden mit dem Sprung in die Selbstständigkeit. "Die sagen sich, wenn schon Risiko, dann kann man auch einen kompletten Schnitt machen und vielleicht da leben, wo die Lebensqualität besser ist", weiß Steffen Döhne von der Mallorca Mietbörse.

Herausforderung Süden

Mit diesen Worten lassen sich auch die Motive von Thorsten Voss gut beschreiben, als er vor rund einem Jahr ankam. Nach der Pleite seines alten Arbeitgebers in München wollte der gelernte Versicherungskaufmann nur noch sein eigener Chef sein. "Ich hatte hier schon viele Kontakte und dachte, dass man hier viele Entscheider trifft und kurze Wege hat", sagt der 41-Jährige. Ein Freund besorgte Voss und seiner Lebensgefährtin eine Wohnung in Palma, eine Bekannte führte ihn in deutsche Kreise auf der Insel ein.

Seitdem versuchte der Hannoveraner sich an verschiedensten Projekten. Die Palette reicht vom Vertrieb von Fertig-Cocktails über die Suche nach Sing-Talenten für den Mallorca-Sommerhit bis zum Import von Elektro-Fahrzeugen. Für Aufsehen sorgte er bereits mit einem Party-Konzept, bei der die Musik ausschließlich über kabellose Kopfhörer läuft. Sein Spanisch beurteilt er als ausbaufähig, doch mit seiner Insel-Integration ist er schon vorangekommen. In dem Besitzer seiner neuen Stamm-Bar fand er seinen Geschäftspartner. Sein Arbeitspensum stieg auf 80 Stunden pro Woche. Doch Klagen gibt es keine. "Ich brauche die Herausforderung", sagt Voss. Und dann ist da ja auch noch der blaue Himmel und das Meer. "Für mein geistiges und körperliches Wohlbefinden finde ich es sehr wichtig, einen hohen Sonnenanteil genießen zu können." In der Druckausgabe lesen Sie außerdem:

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