Es ist so weit: Barack Obama tritt am kommenden Dienstag sein Amt als Präsident der Vereinigten Staaten an. Auf Mallorca wird dann Elena Davis gespannt vor dem Fernseher sitzen. Die 93 Jahre alte Amerikanerin aus Sóller ist ein ausgesprochener Obama-Fan. Bereits seit 1959 lebt die gebürtige New Yorkerin auf der Insel, sie ist eine von rund 2.000 US-Bürgern auf den Balearen. Mit der Mallorca Zeitung sprach sie über amerikanische Politik, die Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren und den Rassismus in den USA.

Frau Davis, als Sie Amerika verließen, galt in den USA noch die Rassen­trennung. Jetzt zieht ein Schwarzer ins Weiße Haus ein.

Ja, ich habe nicht daran geglaubt, dass ich das noch erleben darf. Nicht einmal vor sechs Monaten hätte ich es für möglich gehalten. Gleichzeitig finde ich es unpassend, immer so zu betonen, dass er schwarz ist und dass er als Afroamerikaner bezeichnet wird. Er ist doch auch zur Hälfte weiß. Ich als Tochter eines Londoners und einer Wienerin mit ungarischen und tschechischen Vorfahren, die in den USA geboren ist, werde auch nicht ständig als englisch-österreichische Amerikanerin bezeichnet.

Das mag wohl mit dem früheren Rassismus in den USA zusammenhängen. Können Sie sich an diese Ungleichbehandlung erinnern?

In New York war davon sicherlich weniger zu spüren als anderswo in den USA. Dort gab es rechtlich keine Rassentrennung. Aber natürlich hatten viele Menschen Vorurteile. Die Leute dachten, die Schwarzen wären minderwertig und ihnen untergeordnet. Sie sagten, die Schwarzen seien faul und wollten nicht arbeiten. Bevor ich nach Mallorca ging, arbeitete ich als Pressesprecherin bei einer großen Stiftung. Dort stellte ich übrigens die erste schwarze Frau in unserer Abteilung ein. Mein Boss hatte auch Vorurteile gegenüber Schwarzen, aber als er sie dann sah, sagte er: Gut, dass du sie eingestellt hast. Das ist gute PR. Das Mädchen war nämlich sehr hübsch. Ein Macho war er also auch.

Hatten Sie denn auch schwarze Freunde?

Als ich ein Kind war, also in den 20er Jahren, lebte meine Familie im Vorort Scarsdale. Dort wohnten viele Wohlhabende, die zum Arbeiten nach New York pendelten und eigentlich keine Schwarzen. Aber einmal kamen auf meine Schule zwei schwarze Schüler. Ich habe mich ja schon immer gerne auf die Seite von Außenseitern und Minderheiten geschlagen und wollte mich mit ihnen anfreunden, aber leider blieben sie nicht lange. Sie waren die Kinder von Hausangestellten.

Wie hat die Wirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre Sie und Ihre Familie getroffen?

Meinen Vater hat sie ruiniert. Er verlor sein gesamtes Geld. Präsident Roosevelt hatte nämlich damals die Banken schließen lassen. Meine Mutter hatte erst 1928 ein besonders tolles Haus in Scarsdale bauen lassen, 1934 musste sie es verkaufen, weil die Lage so schlecht geworden war. Bankrott ging sie aber nicht. Zusammen mit ihrer Schwester hatte meine Mutter ein Geschäft in der Fifth Avenue. Zu ihren Glanzzeiten hatten sie dafür 70 Angestellte, sie entwarfen und produzierten hochwertige Kinderkleidung. In den Krisenzeiten mussten sie das Geschäft verkleinern.

Da ging es anderen Menschen noch bedeutend schlechter.

Ja, ich habe noch das Bild vor Augen, wie arbeitslose Geschäftsleute auf den Straßen New Yorks Äpfel verkauften, einen Apfel für fünf Cent. Man sah ihnen die Verzweiflung an. Es waren Leute, die früher gut verdient hatten, aber plötzlich ihre Arbeit und ihr Dach über dem Kopf verloren hatten. Ein Freund meiner Mutter brachte sich deswegen sogar um. Er sprang von einem Hochhaus. So schlimm wie damals ist die Situation momentan nicht.

Wurde damals auch Ihr politisches Interesse geweckt?

Das kam erst später. Als ich jung war, interessierte mich eher meine Karriere. Aber ich erinnere mich gut an meine erste Wahl. Das war 1936. Ich war damals 21 Jahre alt, und es war mir sehr wichtig. Wir waren kurz zuvor von Scarsdale nach New York umgezogen und ich war noch nicht lange genug gemeldet, so dass ich dort nicht wählen konnte. Ich fuhr also mit dem Zug nach Scarsdale und wählte dort - mehr oder weniger illegal. Meine Stimme war dort eine von insgesamt 91 für die Sozialisten. Darauf war ich stolz. Im reichen, konservativen Scarsdale wählten die meisten Leute die Republikaner.

Die Wahl 2008 war für Sie aber ähnlich aufregend?

Ja, ich bin die ganze Nacht auf- geblieben und habe die Auszählungen verfolgt. Erst um neun Uhr morgens habe ich mich für eine Weile hingelegt. Dann musste ich zu einem Termin in Palma. Ich war noch den ganzen Tag unterwegs.

Sie sind 93 und machen eine Nacht durch. Fühlten Sie sich nicht schrecklich erschöpft?

Nein, ich war so aufgeregt und glücklich. Es war wundervoll. Ich bin entzückt, dass Obama Präsident wird und gleichzeitig sehr froh, dass diese unsägliche Sarah Palin nicht Vize-Präsidentin wird.

Kann Obama den großen Erwartungen an ihn gerecht werden?

Es muss einem schon klar sein, welchen Berg von wichtigen Aufgaben der Mann zu erledigen hat. Er erbt ja auch ein unglaubliches Schlamassel von seinem Vorgänger.

Um was muss er sich als Erstes kümmern?

Die Wirtschaft, den Konflikt im Nahen Osten und Guantanamo.

Sie haben John F. Kennedy erlebt. Finden Sie den oft gezogenen Vergleich mit Barack Obama gerechtfertigt?

Es gibt tatsächlich viele Parallelen. Beide sind jung. Kennedy wurde ja mit 44 Jahren Präsident, Obama wird es nun mit 47. Beide sind brillante Köpfe. Beide denken positiv, nicht negativ. Kennedy brachte Hoffnung, das tut Obama jetzt auch. Auch Kennedys Antritt bedeutete eine Premiere für das Amt des amerikanischen Präsidenten. Er war der erste Katholik. Das war damals schlecht angesehen. Ich weiß noch, wie die Leute sagten, da wird wohl der Papst im Weißen Haus sitzen.

Wer war für Sie der beste US-Präsident, wer der schlechteste?

Kennedy hatte das Potenzial dazu, der Beste zu sein, aber er konnte sein Amt ja leider nicht zu Ende bringen. Der Schlechteste ist natürlich George W. Bush - mit großem Abstand. Obwohl wir im 19. Jahrhundert auch ein paar üble hatten.

Haben Sie sich in den vergangenen Jahren etwa auch mal geschämt, Amerikanerin zu sein?

Ach, ich bin keine große Patriotin. Ich glaube nicht an dieses Nationalitätending. Man kann doch nichts dafür, wo man geboren ist.

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