Das wäre es doch gewesen: Ein Rafael Nadal, der zur Abwechslung mal nicht seine sportliche Form beschreibt, sondern Artikel aus der spanischen Verfassung vorliest. So hatte es sich zumindest Spaniens sozialistische Regierung vorgestellt - Mallorcas Tennisstar als Botschafter der ebenfalls noch jungen Verfassung, die an diesem Samstag gerade einmal 30 Jahre alt wird.

Doch warum Nadal und nicht andere Sportler? Da hätte die oppositionelle Volkspartei doch gerne ein Wörtchen mitgeredet, statt "nach Art eines Diktators" von Parlamentspräsident José Bono eine fertige Liste zur Abstimmung vorgelegt zu bekommen. Die Idee mit den Prominenten scheiterte schließlich vergangene Woche im Madrider Parlament.

Dabei wäre es ein schönes Zeichen gewesen - eine Reminiszenz an den Konsensgedanken, der vor 30 Jahren alle Kräfte des politischen Spektrums einte, um sich nach dem Tod des Diktators Francisco Franco im Jahr 1975 auf einen Verfassungstext zu einigen. Er sollte schließlich mit überwältigender Mehrheit am 6. Dezember 1978 von der Bevölkerung angenommen werden. Die autoritären Strukturen wurden friedlich und in rasantem Tempo abgebaut und durch demokratische Institutionen ersetzt.

"Die Spanier haben es damals in einer sehr schwierigen Situation geschafft, eine flexible und grunddemokratische Verfassung zu verabschieden", sagt Harald Barrios, Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen und Experte für das politische System Spaniens. "Im Rückblick zeigt sich, dass die Lage wesentlich komplexer war, als man es damals wahrgenommen hat." Zum ersten Mal überhaupt in Spanien sei eine parlamentarische Regierung in vollem Umfang ermöglicht worden.

Wenn die Politik Spaniens in den vergangenen 30 Jahren in stabilen Bahnen verlief, ist das indirekt auch dem Einfluss der Deutschen zu verdanken. Denn die spanischen Verfassungsväter hatten sich das Bonner Grundgesetz in Teilen zum Vorbild genommen. Die Bundesrepublik hatte sich durch ihren Willen, aus der Vergangenheit zu lernen und eine Demokratie neu zu gründen, Respekt verschafft. "Das Grundgesetz hatte sich bewährt, war aber noch vergleichsweise jung", erklärt Klaus Nagel, Politikwissenschaftler an der Universitat Pompeu Fabra in Barcelona. "Dazu kommt der direkte Einfluss der deutschen politischen Stiftungen auf spanische Politiker dieser Zeit." Vor allem die SPD hatte sich bemüht, die Kontakte zu den Genossen in Spanien nicht abreißen zu lassen.

So kommt es, dass heute Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero und Amtskollegin Angela Merkel zum Teil nach denselben Spielregeln regieren. Wollten schon die Verfassungsväter in Alemania für ein durch und durch stabiles Regierungssystem sorgen, gingen auch die Spanier kein Risiko ein. So kann sich Zapatero sicher sein, nicht aus einer Laune heraus abgelöst zu werden. Denn wie in Deutschland kann ein Regierungschef nur dann durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden, wenn sich das Parlament gleichzeitig auf einen Nachfolger einigt. In Spanien gelangt der Regierungschef sogar ohne absolute Mehrheit ins Amt und regiert bei Bedarf mit wechselnden Mehrheiten, wie es Zapatero seit 2004 praktiziert.

Ebenfalls nach deutschem Vorbild wurden dem spanischen Staatsoberhaupt enge Grenzen bei seinen Kompetenzen auferlegt. Trotz seines Ansehens und der symbolischen Bedeutung der Monarchie hat Spaniens König Juan Carlos laut Verfassung weniger zu sagen als der deutsche Bundespräsident.

Keine Scheibe abgeschnitten hat sich Spanien hingegen am deutschen Föderalismus-Modell. Politologe Barrios bezweifelt allerdings, dass sich mit einem Bundesrat nach deutschem Vorbild Spaniens Debatte um mehr Autonomie in den Regionen hätte lösen lassen. "Der Bundesrat ist ja auch nicht der Weisheit letzter Schluss." In Spanien verlange das unterschiedlich ausgeprägte regionale Bewusstsein spezifische Lösungen - was für die Basken gut sein mag, taugt noch lange nicht für die Region Murcia.

Deswegen sieht die spanische Verfassung neben Sonderregelungen für die Nationalitäten der Basken, Katalanen und Galicier zwei verschiedene Modelle von Autonomen Gemeinschaften vor. Was zum Beispiel die balearische Landesregierung selbst entscheiden darf, ist daher letztendlich Verhandlungssache und wird in einem Autonomie-Statut festgeschrieben. Inzwischen ist die Eigenständigkeit der Regionen mit den deutschen Bundesländern vergleichbar. Die Achillesferse ist die Finanzierung. "Die Regionen in Spanien sind bis zu einem gewissen Punkt Zuschuss-Unternehmen, weil ihre eigenen ­Finanzmittel sehr begrenzt sind", sagt Barrios. So beklagen die Balearen seit Jahren, stark unterfinanziert zu sein. Die deutschen Bundesländer ziehen dagegen einen Großteil der Steuer selbst ein - im Finanzamt sitzen Landesbeamte. Doch auch die Bundesländer können nicht frei schalten und walten. "Am Ende steht der Finanzausgleich", betont Nagel.

Bei allem Lob für die spanische Verfassung, die in diesen Tagen zu hören sein wird, gibt es doch einige Punkte, die reformiert werden könnten. Die zweite Kammer - der Senat - hat in Spanien nur begrenzt eine Daseinsberechtigung. Statt auftragsgemäß die Regionen zu repräsentieren, wird dort Parteipolitik betrieben - und das mit Senatoren, die ohnehin nicht viel zu sagen haben. Auch müsste in den nächsten Jahren der Weg für einen möglichen weiblichen Thronfolger geebnet werden.

Da die damalige Einigung schwierig war, sind zudem manche Bereiche der Verfassung unklar oder sogar widersprüchlich geblieben. Welche Rolle hat denn nun die katholische Religion? Was ist mit Kruzifixen im Klassenzimmer? Wie eigenständig können die Regionen ihre eigenen Sprachen anwenden? "Damit wird dem Verfassungsgericht viel Arbeit gemacht", so Nagel.

In ihren 30 Jahren wurde die spanische Verfassung nur einmal leicht modifiziert - um Vorgaben der EU umzusetzen. "Der Kernbereich der Verfassung ist so gut wie vollständig gegen jede Veränderung abgeschirmt", sagt Nagel. "Notwendige Reformen unterbleiben daher, auch wenn sie eigentlich Konsens sind."

Aber vielleicht klappt es ja bis zum Jahr 2012. Dann steht der 200. Geburtstag von Spaniens erster Verfassung an, die im Gegensatz zu der von 1978 keine Erfolgsstory war. Sie wurde kurz nach Fertigstellung 1812 wieder einkassiert.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

- Finanzierung ist ein ewiger Streitapfel zwischen Landes- und Zentralregierung

- Der ehemalige FAZ-Korrespondent Walter Haubrich über Tricks auf dem Weg zur Verfassung