Es klingt absurd: Jahrzehnte nach Ende des Bürgerkriegs wird auf Mallorca psychologische Beratung für die Opfer des Franco-Regimes angeboten. Für Betroffene aber ist es die erste Möglichkeit überhaupt, über ihre Traumata zu sprechen. Abends kommen die Bilder wieder hoch. Dann sieht sich die über 80 Jahre alte Rosa (Name geändert) wieder als Kind, wie ihr sieben Falangisten ihres Dorfes gegenüberstehen und diese Männer ihren Vater, einen Anhänger der Republik, mitnehmen. Die Familie hatte sich im Juli 1936, als in Spanien der Bürgerkrieg ausbrach, in ein Häuschen auf dem Land zurückgezogen, Rosa und ihr Vater übernachteten wegen der Hitze draußen unter einem Feigenbaum. Die Franquisten überraschten sie im Schlaf. Ein Schock für das Mädchen. Ihr Vater kam nach eineinhalb Jahren wieder frei, doch jahrelang quälten die Mallorquinerin Alpträume, in denen ihr Vater ermordet wird.

Rosa ist nicht die einzige, die mitten auf der Sonnen- und Urlaubsinsel Mallorca von einer schmerzvollen Vergangenheit eingeholt wird. Der Bürgerkrieg ist seit 70 Jahren zu Ende, der Diktator Franco seit fast 34 Jahren tot, Spanien eine moderne europäische Demokratie – doch von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt leiden noch heute viele Mallorquiner unter den Folgen von Gewalt, Unterdrückung und Demütigung unter Franco. Ihrer Geschichte hat sich die Psychologin María Ángeles Recio angenommen. Sie untersucht für den Verein zur Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses auf Mallorca die psychischen Folgen der Repression für die Opfer und deren Nachkommen. Nach ihren Schätzungen sind auf Mallorca 1.000 Familien betroffen. „Das sind oft schwerwiegende Traumata, die zum Teil auch auf die Nachkommen übertragen worden sind. Viele, die einen Angehörigen verloren haben, konnten ihren Trauerprozess nie abschließen und den Verlust nicht verarbeiten, da viele Ermordete in anonymen Massengräbern verscharrt wurden oder nach offizieller Lesart lediglich als verschwunden galten", sagt Recio. Frauen hätten fantasiert, dass ihre toten Männer jederzeit wiederkommen könnten. Andere entwickelten starke Minderwertigkeitsgefühle oder begaben sich in zerstörerische Abhängigkeitsbeziehungen. „Eine Frau, der ich Entspannungsübungen zum Einschlafen zeigte, musste zum Beispiel von ihrer Familie getrennt aufwachsen. Ihr Vater wurde ermordet, als sie ein Baby war, die Mutter bekam keine Arbeit. Deshalb wurde sie von ihr zu Verwandten nach Mallorca gegeben, die sie wie eine Dienstmagd behandelten. Sie hat überhaupt kein Selbstbewusstein", sagt Recio.

Wieder andere können sich an die Ereignisse im Bürgerkrieg überhaupt nicht mehr erinnern oder blieben mit einer besonderen Verletzlichkeit zurück. Recio, die auch im psychologischen Notdienst arbeitet, erinnert sich an einen alten Mann, der nach dem Tod seiner Frau einfach nicht zu beruhigen war. Dann erfuhr sie, dass er einst als neunjähriger Junge aus seinem Heimatdorf verbannt worden war.

Die Psychologin erstellt derzeit eine Studie mit insgesamt 50 Opfern. Zudem behandelt sie die Betroffenen auch. Seit einigen Monaten bietet sie zweimal pro Woche eine spezielle Sprechstunde für die Opfer des Franco-Regimes in Palma an. In Spanien ist das ein absolutes Novum.

Lange Zeit wurden die Grausamkeiten und Erniedrigungen im Bürgerkrieg und den folgenden Jahren der Diktatur überhaupt nicht thematisiert. Aus Angst vor Terror und Diskriminierung sprachen die im Bürgerkrieg unterlegenen Republikaner nicht über ihre Erfahrungen. Die Franquisten hatten in den ersten Jahren der Diktatur mehr als 100.000 Regimegegner ermordet, und die Ächtung der Kriegsverlierer war auch noch in den weniger brutalen Jahren der späten Franco-Diktatur allgegenwärtig. „Viele Republikaner haben in der Familie wenig erzählt und sich mit ihrer politischen Einstellung zurückgehalten, um ihre Kinder zu schützen. Manche heirateten auch bewusst einen Partner aus dem anderen Lager", sagt Recio.

Auch während des Übergangs zur Demokratie nach dem Tod Francos Ende 1975 galt noch das ungeschriebene Gesetz des Vergessens. An der Vergangenheit wurde nicht gerührt. In Verwaltung und Justiz besetzten weiterhin Franquisten wichtige Stellen. Ein Amnestie-Gesetz von 1977 garantierte zwar die Straffreiheit politischer Verbrechen beider Seiten, revidierte aber die Urteile nicht. Erst mit einem von der Opposition heftig attackierten Gesetz der Zapatero-Regierung wurden die Opfer moralisch rehabilitiert und staatliche Unterstützung bei der Öffnung der Massengräber zugesagt.

Insofern verwundert es nicht, wenn die Psychologin Recio bei den Gesprächen mit Opfern der Diktatur nicht selten um absolute Anonymität gebeten wird. „Manche haben mir etwa gesagt, dass sie nicht riskieren wollen, dass ihr Sohn oder Enkel, der im Rathaus arbeitet, deswegen den Job verliert. Sie glauben immer noch, dass die Lage plötzlich wieder umschwenken könnte." Andere fielen mit ihrem Lob für die Schergen Francos auf. „Da saß ein Mann sechs Jahre im Gefängnis, das Geschäft seines Vaters wurde zerstört, aber nur weil ein Militär seine Mutter als Hausangestellte nahm, spricht er jetzt gut über sie."