Drei Jahrtausende danach mag das Leben der Ur-Mallorquiner manch einem idyllisch vorkommen. Die Menschen auf Mallorca in der Tala­yot-Zeit (850 bis 123 vor Christus) kannten keine Standesunterschiede, Ausbeutung und Unterdrückung. Es gab weder Privatbesitz, noch Arbeitsteilung.

Vereinfacht gesagt, machten alle alles und teilten auch alles in der letzten gro­ßen prähistorischen Kultur auf der Insel, bevor die Römer kamen. Ein Kommunismus ohne Ideologie und Diktatoren. „Offenbar gab es zwar auch Menschen mit besonderen Funktionen, wie etwa, das Essen zu verteilen, aber sie genossen keine Privilegien. Ihr Haus unterschied sich nicht vom Rest und sie wurden auch bestattet, wie alle anderen“, sagt der Archäologe Manuel Calvo (42), der seit Jahren die Talayot-Kultur erforscht. Hinweise auf Kriege der Talayot-Menschen gebe es nicht.

An vielen Orten der Insel sind Überreste dieser Zeit erhalten: Wohnhäuser, Grabstätten und die der Kultur den Namen gebenden Talayot-Bauten, eine Art runde Türme, die innerhalb der Siedlungen für Versammlungen und Rituale und außerhalb wohl zur Beobachtung von Wiesen und Tieren genutzt wurden.

Im Vergleich zu anderen Kulturen dieser Zeit waren die Talayot-Menschen nicht gerade am fortschrittlichsten. In der griechischen Antike hatte Homer schon die ­Iliade verfasst, während auf Mallorca, das damals noch nicht so hieß, die Schrift noch gar nicht bekannt war. Auch die hilfreiche Drehscheibe zum Töpfern ihrer Keramikgefäße kannten sie nicht. Wobei diese noch kaum ausdifferenzierte Gesellschaft durchaus lernfähig war.

„Die Vielfalt an Werkzeugen, die spezifische Bauweise, die ausgeprägten Kontakte mit den Phöniziern, mit denen sie Metalle und Wein in Amphoren handelten, all das gab es vor ihrer Zeit nicht“, erklärt Calvo. Auch die eindeutige Zuordnung von ­Bereichen der Familien (Wohnhäuser) und Bereichen der Gemeinschaft (Talayots) in ihren Siedlungen war eine Fortentwicklung. „Vorher wurde nicht zwischen öffentlich und privat unterschieden.“

Der Sprung zur Talayot-Kultur muss im Zeitraum von 1.100 bis 850 vor Christus erfolgt sein, so die Wissenschaftler an der Balearen-Universität. Die Forscher gehen davon aus, dass damals die Bevölkerung auf der Insel stark anstieg. Es schlossen sich größere Gruppen zusammen, die Siedlungen von durchschnittlich 100 bis 200 Menschen bildeten.

Die Talayot-Menschen lebten in Familienverbünden von etwa sechs bis acht Personen in etwa 15 bis 25 Quadratmeter großen Steinhäusern mit zwei bis drei Zimmern. Dort hatten sie ein bis zwei Feuerstellen und einen Kamin. Fenster gab es nicht, nur eine Türöffnung. „Die Siedlung wuchs organisch, ein Haus wurde ans andere gesetzt, manchmal gab es auch Wege dazwischen“, sagt Calvo. Um die Siedlungen herum wurden Mauern gebaut, bei denen deutlich größere Steine verwendet wurden als bei den Häusern.

Von ihren in Sichtweite angebrachten Talayot-Türmen aus nahmen sie offenbar miteinander Kontakt auf und nutzen die erhöhte Position dazu, das Vieh zu hüten. Die Ur-Mallorquiner hielten Schafe, Ziegen, Kühe, Rinder und Schweine, sie fischten und jagten Vögel. Wilde Säugetiere, die sie hätten erlegen können, gab es damals auf der Insel nicht. Außerdem wurde Gemüse und Getreide angebaut. „Den gefunden Keramikgegenständen nach zu schließen, grillten sie und kochten Eintöpfe“, sagt Calvo. Dazu verwendeten sie übrigens kein Olivenöl, sondern tierische Fette.

Darüber, was in den Köpfen der Menschen vorging, ist wenig bekannt. Hatten Sie eine eigene Religion? Irgendwann tauchte der Stierkult auf. Das belegen die berühmten bei Costitx gefundenen bronzenen Stierköpfe. Auch spezielle Bauten für Zeremonien gab es. Sie fallen wegen ihrer hufeisenförmigen Form auf.

Auf jeden Fall verstanden die Talayot-Menschen zu feiern. „In Keramikbechern fanden wir Reste von Meerträubel“, berichtet Calvo. Die Talayot-Menschen tranken Aufgüsse aus dem Kraut (lat.: ephedra fragilis), das stimulierende und halluzinogene Wirkungen hat. „Der Inhaltsstoff Ephedrin wurde in den 80ern für Ecstasy-Pillen verwendet.“

Ziemlich sicher ist, wie die Talayot-Menschen aussahen. „Ein bisschen kleiner und kräftiger als wir, wegen der intensiven körperlichen Arbeit. Aber wenn Sie heute einen Tala­yot-Menschen in die Badewanne stecken, ihn anziehen und frisieren und mit ihm durch Palma gehen könnten, würde er überhaupt nicht auffallen“, meint Calvo.

Durchschnittlich wurden die Ur-Mallorquiner nur 35 Jahre alt. Sie behängten sich mit Fellen und trugen - entgegen anderslautender Berichte von überheblichen Phöniziern - auch Kleidung. Die Archäologen fanden Webrahmen und Nähnadeln. Auffälliges Detail: Ihre Haare färbten sie rot, gelb und blau. Zumindest belegen das archäologische Funde auf der Nachbarinsel Menorca, wo im Gegensatz zu Ibiza und Formentera ebenfalls zahlreiche Überreste der Talayot-Kultur gefunden wurden.

Von anderen Völkern wurden die Talayot-Menschen wegen ihrer Steinschleuderkunst geschätzt. Die Phönizier nahmen sie deswegen als Söldner für ihre Kriege gegen die Römer unter Vertrag. Aus ihren Berichten in der Endphase der Talayot-Zeit weiß man auch von Einzelheiten aus der damaligen Ausbildung. „Die Mütter hängten das Essen für Ihre Kinder an Bäume auf, sodass sie mit einer Steinschleuder darauf zielen mussten, um es zu holen.“

Mit den 123 vor Christus einrückenden Römern verschwand die Talayot-Kultur auf der Insel nach und nach. Die Bevölkerung vermischte sich, zum Beispiel in den nun entstehenden Städten Pollentia (Pollença) und Palmaria Palmensis (Palma).

Talayot-Kultur für Anfänger:

Für einen Einblick in die Talayot-Kultur empfiehlt der Archäologe Manuel Calvo den Besuch folgender Fundstätten: Son Fornés in Montuiri, ­Puig sa Marisca in Calvià, Ses Païsses in Artà, s‘Illot, Hospitalet in Manacor und Antigors in Ses Salines. „Das sind die am besten erforschten Siedlungen, wo es auch am meisten Information für Besucher gibt.“ Interessant seien auch die Talayot-Gegenstände im Museum in Manacor.

Mehr erfahren können Interessierte außerdem auf www.talayots.es, im „Guía Arqueológica de Mallorca“ und im Band „Historia de las Baleares“. Infos auf deutsch gibt es etwa in dem Band „Mallorca. Ein Streifzug durch 6.000 Jahre Geschichte und Kultur“.

In der Printausgabe vom 1. Juli (Nummer 530) lesen Sie außerdem:

- Küstenort S‘Illot setzt mit einem neuen Besucherzentrum auf Talayot-Tourismus

- Ur-Ziege mit Bulldoggen-Gesicht

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