José Ramón Bauzá ist ein Spielverderber. Anders als der Balearen-Vorsitzende der konservativen Volkspartei (PP) würden viele seiner Parteifreunde am liebsten schon jetzt die Korken knallen lassen: Die Umfragen bescheinigen den Konservativen eine absolute Mehrheit bei den kommenden Regionalwahlen am 22. Mai. Die Zeiten, in denen die Mitte-Links-Koalition die stärkste Partei auf den Balearen in allen wichtigen Institutionen in die Opposition verbannen konnte, scheinen vorbei. Eine zerstrittene Koalition in Landesregierung und Inselrat, eine Wirtschaftskrise ohne Aussicht auf baldiges Ende, Haushaltsdefizit und stecken gebliebene Projekte – was könnte jetzt noch den Sieg der PP aufhalten?

Doch Bauzá will noch nicht ­feiern und mahnt seine Anhänger zur Geduld. Bis zu den Wahlen am 22. Mai könne noch einiges passieren: Die Korruptionsskandale aus der Zeit der zweiten Matas-Regierung (2003-2007) brodeln immer wieder hoch, neue Parteiprojekte wie die Lliga Regionalista oder die Nachfolgepartei der in Auflösung begriffenen Regionalpartei Unió Mallorquina sind noch schwer einzuschätzen. Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, heißt, sich nicht zu früh zu freuen – wie der vor Selbstbewusstsein strotzende Ex-Premier Jaume Matas, dem bei den Wahlen 2007 am Ende ein fehlendes Mandat zum Verhängnis wurde.

Am 22. Mai werden die politischen Rahmenbedingungen auf allen Ebenen neu justiert: Die Insel-Bürger bestimmen nicht nur die Zusammensetzung des Balearen-Parlaments, sondern auch der Inselräte – sie werden seit 2007 separat gewählt und nicht mehr wie früher auf Basis der für das Balearen-Parlament abgegebenen Stimmen zusammengesetzt. Eine dritte Urne steht für die Gemeinderäte bereit. Allein in diese dürfen die EU-Ausländer an dem Super-Wahlsonntag ihren Stimmzettel einwerfen – sofern sie ordnungsgemäß im Wählerregister aufgeführt sind (siehe S. 6).

Bisher liefen Wahlen auf den Balearen meistens nach denselben Spielregeln ab: Auf der einen Seite stehen die Konservativen, auf der anderen Seite Parteien des linken Spektrums. Alle vier Jahre wechselte die Regierungsmacht zwischen den beiden Lagern – und den Ausschlag dafür gab in der Regel die Regionalpartei Unió Mallorquina (UM), die das Zünglein an der Waage war und praktisch die Bedingungen für die Koalitionen diktieren konnte.

Das wird am 22. Mai anders sein: Die UM wurde in den vergangenen Jahren von einer Welle der Korruptionsskandale dahingerafft und löst sich derzeit gewissermaßen auf.

Noch ist unklar, ob die Nachfolgepartei der UM, die Convergència de les Illes Balears (CxI), die Fünf-Prozent-Hürde schaffen wird. Sie hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, muss sich personell neu aufstellen und hat wenig Geld, weil eine von der Staatsanwaltschaft im neuesten Korruptionsfall beantragte Kaution die Parteikasse belastet. Der alte und neue Vorsitzende Josep Melià hat inzwischen immerhin einen neuen, zunächst noch provisorischen Vorstand mit neuen Gesichtern vorgestellt.

Die größte Kontinuität gibt es bei den Sozialisten (PSOE). Die derzeitigen Amtsträger treten erneut an. Sowohl Ministerpräsident Francesc Antich als auch Inselratspräsidentin Francina Armengol wollen es noch einmal wissen. Die massiven Probleme der Wirtschafts- und Koalitionskrise haben Antichs Führungsanspruch in der Partei nicht angekratzt.

Die PP dagegen setzt auf einen personellen Neuanfang. Die meisten Vertreter der früheren Matas-Regierung sind inzwischen abserviert. Der Vorsitzende Bauzá will mit unverbrauchten Kandidaten Glaubwürdigkeit beweisen. Allerdings müssen sich Anwärter wie María Salom, Spitzenkandidatin für den Inselrat, erst noch einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen.

Zudem hat sich Bauzá mit der Kandidatur von Salom neue politische Gegner geschaffen: Der eigentliche Aspirant auf den Vorsitz des Inselrats, Jaume Font, versucht es nun nach seinem Austritt aus der PP mit einer eigenen Partei, der Lliga Regionalista. Ihre Rolle ist noch schwer einschätzbar. Font hat inzwischen in sechs Gemeinden Kandidaturen aufgestellt, bis zu den Wahlen sollen es mehr als ein Dutzend sein. Falls die Formation von Font ins Parlament einzieht, wäre die absolute Mehrheit der PP gefährdet – besonders, falls doch noch ein Bündnis mit der UM-Nachfolgerin CxI zustande kommen sollte.

Die Lliga Regionalista versteht sich als liberale Regionalpartei, die sich im Gegensatz zur gesamtspanischen PP der Identität Mallorcas verschreibt, aber auf Abstand zu Forderungen nach regionaler Selbstbestimmung geht. In ihr sammeln sich Ex-PP-Politiker, denen Bauzá zu weit rechts steht, sowie frühere UM-Politiker, die der zerrütteten Partei den Rücken kehren.

Bewegung ist auch im linken Lager. Der Juniorpartner der PSOE, das Linksparteien-Bündnis Bloc, hat sich gerade noch rechtzeitig wieder zusammengerauft – allerdings nicht mehr wie 2007 als Bloc, sondern mit dem neuen Namen „Compromís amb Mallorca" (Verpflichtet gegenüber Mallorca). Das Zweckbündnis besteht aus der neuformierten Iniciativa Verds, die sich als Bewegung „föderalistischer Ökosozialisten" versteht, den Linksnationalisten (PSM) sowie der Entesa per Mallorca, einer Abspaltung der PSM. Das Regional-Bündnis von Ibiza unterdessen, Eivissa pel Canvi (ExC), tritt nach Abspaltungen geschwächt an.

Auch wenn die heiße Phase des Wahlkampfs noch aussteht und die Parteien weiterhin an den Kandidaten-Listen feilen, stehen die wichtigsten Themen fest: Wirtschaftsaufschwung, Bürokratie-Abbau, neue Konzepte für den Tourismus, Steigerung des Bildungsniveaus und der Kampf gegen die Korruption.

Die oppositionelle PP ist dabei in klarem Startvorteil. Während die Parteien des regierenden Mitte-Links-Bündnisses damit beschäftigt sind, die chaotische Legislatur­periode so ehrenhaft wie möglich zu Ende zu bringen, nutzt die PP die Zeit, um die Botschaften ihres Wahlprogramms zu platzieren und sich als Partei des Wechsels zu inszenieren: Bauzá ließ Experten über die Probleme auf den Balearen diskutieren, hört sich seit Wochen Klagen und Anregungen aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen an und versucht, etwa mit der Internetplattform www.canviadors.org, eine gesellschaftliche Debatte über notwendige Neuerungen anzustoßen. Die Kernbotschaft lautet: Mehr Arbeitsplätze, mehr Bildung, mehr Tourismus.

Auch die Sozialisten haben sich die Bekämpfung der Wirtschaftskrise und die Förderung des Tourismus auf die Fahnen geschrieben. Ministerpräsident Antich betont dabei aber stärker den politischen Konsens, Hilfen für Sozialschwache und die Skepsis gegenüber Privatisierungsplänen wie etwa im Fall von Palmas Flughafen.

Die größten inhaltlichen Unterschiede zeigen sich in der Sprachpolitik: Während die PSOE die Initiativen der Regionalparteien zur Förderung der katalanischen Sprache voll und ganz mitträgt, will Bauzá die freie Wahl der Unterrichtssprache einführen. Er hat zudem eine Erhöhung der Zahl der Schulstunden angekündigt.

Auch in der Verkehrspolitik stehen die Parteien für unterschiedliche Konzepte: Während die PSOE auf den Bau einer Straßenbahn im Großraum Palma setzt und das Schienennetz auf der Insel erweitern und modernisieren will, kündigt die PP für den Fall eines Wahlsiegs den Bau weiterer

U-Bahn-Linien in Palma an. Bauzá hat zudem auch die Verlängerung der Autobahn Palma-Llucmajor bis nach Campos versprochen.

Abgesehen von der inhaltlichen Debatte dürften im Wahlkampf aber vor allem die Themen politische Ethik und Regierungseffizienz im Mittelpunkt stehen. Statt sich mit den Inhalten der Konservativen auseinanderzusetzen, halten die Sozialisten dem politischen Gegner lieber die Skandale der Matas-Zeit vor Augen. PP-Politiker dagegen sind noch immer beleidigt, als Partei mit den meisten Stimmen vor vier Jahren in die Opposition gejagt worden zu sein, und schimpfen auf ein Viel-Parteien-Bündnis, das nichts zustande bringe und seine Macht auf den korrupten Mehrheitsbeschaffer UM gestützt habe.

Die früheren Bloc-Parteien wiederum kritisieren gebetsmühlenartig die Vernachlässigung mallorquinischer Interessen durch die großen Parteien – auch durch ihren Bündnispartner PSOE. So wurde Antich mehrfach von den Parteikollegen in Madrid im Regen stehen gelassen, etwa bei geplanten Kürzungen des Flugrabatts für Inselbewohner oder bei diversen Finanzierungszusagen. Der sinkende Stern des spanischen Premiers José Luis Rodríguez Zapatero droht auch den balearischen Ministerpräsidenten mit in die Tiefe zu reißen. Außer auf den Balearen wird am 22. Mai noch in etlichen anderen Autonomen Regionen gewählt. Die nächsten nationalen Wahlen sind erst für Frühjahr 2012 vorgesehen.