Wo sich eine Figur von Rang niederlässt, sind interessante Besucher garantiert. Erzherzog Ludwig Salvator nutzte Mallorca jahrzehntelang als Basis für seine Reisen, und auch er empfing Besucher, meistens Gelehrte, in selteneren Fällen VIPs. Die schillerndste Persönlichkeit, die ihn je an Mallorcas Nordküste aufsuchte, war die österreichische Kaiserin Elisabeth, bekannt als Sisi, von Romy Schneider in drei „Sissi"-Filmen verkörpert, verewigt und verkitscht.

Sie waren beide Außenseiter: Ludwig Salvator (1847-1915), ein unorthodoxer Adeliger, der auf der Insel umfangreichen Grund­besitz erworben hatte und dort seine modern anmutenden Ideen von Kultur- und Landschaftsschutz verwirklichte. Und Kaiserin Elisabeth, (1837-1898), die wie ihr Cousin Ludwig Salvator das Leben zu Hofe und die Zwänge ihres Standes verabscheute, als Gattin des Kaisers jedoch wenige Möglichkeiten hatte, sich dem zu entziehen.

Und beide hatten nur wenige Verbündete und Vertraute. Sisi sorgte für Kopfschütteln, weil sie Personen aus niederem Stand in ihren Kreis einbezog, und Ludwig Salvator galt ohnehin als unrettbar merkwürdig: Auf seiner Yacht waren die Standesunterschiede zwischen dem Habsburger und seiner Mannschaft so verschwommen, dass ein Zeitzeuge die „Nixe" als „kommunistischen Staat im Kleinen" bezeichnete.

Beide waren rastlose Reisende, beide im Grunde ein Leben lang auf der Flucht. Bei ihren Begegnungen und im Briefwechsel hatte Ludwig Salvator der Kaiserin immer wieder von Mallorca vorgeschwärmt, so dass es nur eine Frage der Zeit war, dass die Monarchin ihren Cousin besuchen kam.

Ganz neu war Mallorca für Sisi nicht: In glücklicheren Zeiten hatte sie Palma einen Blitzbesuch abgestattet, „inkognito", um das Brimborium zu vermeiden, das ihr als Gattin des österreichischen Kaisers zustand. Im Mai 1861 war sie an Bord einer Yacht der britischen Königsfamilie nach Mallorca gekommen und hatte in Palma ein Kurzprogramm absolviert: Kathedrale (Messe inbegriffen), Spaziergang durch die Innenstadt, das Schloss Bellver. Nur die Lonja fiel aus, obwohl dort eine Menschenmenge samt Musikkapelle auf die hohe Besucherin wartete: Die Zeit drängte schon damals, im 19. Jahrhundert.

Ihr Aufenthalt 1892/93 stand unter vollkommen veränderten Vorzeichen: Genau vier Jahre zuvor hatte ihr Sohn, Kronprinz Rudolf, im Jagdschloss Mayerling gemeinsam mit seiner Geliebten Selbstmord begangen. Historiker sagen, Sisi habe seither nur noch Schwarz getragen – ein Umstand, der für die Einordnung eines vor kurzem im Archiv von Son Moragues entdeckten Fotos von Bedeutung ist (siehe Kasten).

Als sie nach einem verregneten und daher abgebrochenen Besuch im Dezember 1892 die Insel im Januar 1893 neuerlich ansteuerte, ließ sich die Kaiserin auf keinerlei pompöse Zeremonien und offizielle Empfänge ein. Sie befahl dem Kapitän ihrer Yacht „Miramar", direkt die Nordküste anzusteuern. Dort ging das Schiff an der Foradada vor Anker, dem berühmtem Loch im Felsen vor dem Anwesen Son Marroig, wo auch die „Nixe" des Erzherzogs lag.

Als sich die Kaiserin an Land bringen ließ, machte irgendjemand aus dem Umfeld Ludwig Salvators ein Foto. Heimlich natürlich, denn Elisabeth erlaubte in diesen Jahren keine Abbildung mehr. Allerdings war die bunte Truppe des Erzherzogs – unter seinen Reisebegleitern waren Gelehrte und Künstler – ein gefährlicher Haufen für jemanden, der sich nicht abbilden lassen wollte. Lange vorher hatte der wissbegierige Habsburger dafür gesorgt, dass sein Assistent von Jules Virenque in die Kunst des Fotografierens eingeweiht wurde. Der Franzose hatte um 1856 herum das erste professionelle Foto-Atelier der Inselhauptstadt eröffnet. Der Erzherzog und sein Team standen also technisch auf der Höhe der Zeit. Vielfach griffen sie für Illustrationen auf Fotos als Vorlagen zurück oder verwendeten sie direkt.

Das heimliche Foto, das möglicherweise unter Duldung – oder gar auf Anweisung? – des Erzherzogs entstand, war nicht der einzige Fehlgriff des Verwandten. Auf dem Landgut Son Moragues bei Valldemossa – dasselbe Landgut, in dem nach dem Tod des Erzherzogs dessen Archiv aufbewahrt wurde (s. Kasten) – trat er ganz offen ins Fettnäpfchen. Wenn Elisabeth an ihrem ansonsten so geschätzten Ludwig Salvator eines nicht ausstehen konnte, dann war es dessen unkontrollierte Sinneslust. Auch im Kulinarischen. Während Sisi dafür bekannt war, dass sie mit eiserner Disziplin ihre Figur in Schuss hielt, platzte der Erzherzog aus allen Nähten.

Prompt ließ der im Garten von Son Moragues ein mallorquinisches Mittagessen auftischen, dass sich die Tische bogen: Sobrassada mit Honig, Schweinsfrittiertes, Fleischklößchen, Stockfisch, Bratferkel, bunyols, Biskuits, Konfitüren, Mandelkonfekt, Gebäck mit Eiscreme ... worauf Sisi gesagt haben soll: „Das war alles sehr schön, mein lieber Cousin, aber oft sind unsere Träume schöner, wenn wir sie nicht ausleben."

Über das restliche Besuchsprogramm ist aus Presseberichten das Folgende bekannt: Nachdem Sisi am 30. Januar angekommen war, unternahm sie am 1. Februar einen Ausflug nach Sóller. Am 2. Februar überquerte sie den „Coll" (Bergpass) und besuchte Alfábia. Bei ihrer Rückkehr legte sie in Sóller einen Stopp ein und sah eine Volkstanzdarbietung. Danach brachte die Yacht Sisi und ihren Cousin zu den Höhlen von Artà. Die Reise ging weiter nach Menorca, wo sich der Erzherzog verabschiedete und nach Mallorca zurückkehrte.

Eine Episode des Besuchs hatte Folgen: Sisi besuchte das Landgut S´Estaca und traf dort mit der von Ludwig Salvator verehrten Catalina Homar zusammen, die dort den Betrieb führte. Der Erzherzog beschrieb die Begegnung in seinem Buch „Catalina Homar", das nach dem Tod der Mallorquinerin herauskam, mit schwelgerischen Worten. Auszug: „Die beiden Frauen sprachen miteinander, wie wenn sie sich seit jeher gekannt hätten …"

Für den Kaiserhof war das wahrscheinlich zu viel der Vertrautheit zwischen einer Kaiserin und einer Tischlertochter: Indizien sprechen dafür, dass Ludwig Salvator gezwungen wurde, sein Buch vom Markt zu nehmen – trotz einer Auflage von 1.000 Stück sind ungewöhnlich wenige Exemplare erhalten geblieben.

Dass er von seinen Gefühlen übermannt wurde, ist hingegen verständlich: In einem magischen Moment hatte er jene zwei Frauen vor sich, die er am meisten verehrte.