Es ist mittlerweile die erste Frage, die viele Inselbesucher an Ihre Gastgeber stellen: „Wie macht sich die Krise auf der Insel bemerkbar?" Für Urlauber, so viel vorneweg, relativ wenig. Um ihr Wohlergehen wird man sich diesen Sommer wohl noch mehr bemühen als sonst. Schließlich ist der Tourismus Einnahmequelle Nummer eins einer Wirtschaft, die ansonsten weitgehend darniederliegt. Doch im täglichen Leben sind die Auswirkungen der Wirtschaftskrise immer deutlicher zu spüren. Die Schlangen vor den Suppenküchen werden länger, und kaum ein Tag vergeht, ohne dass neue Sparmaßnahmen angekündigt werden.

Arbeitslosigkeit

Die derzeit leichte Besserung auf dem Arbeitsmarkt der Inseln ist allein dem Saisonbeginn zu verdanken. Zuletzt meldeten die Arbeitsämter auf den Balearen für Mai 82.514 Arbeitslose - acht Prozent weniger als im Vormonat, aber neun Prozent mehr als im April 2011. Spaniens Arbeitsämter weisen die Arbeitslosenquote nicht separat aus, sie liegt aber deutlich über 20 Prozent - in der Arbeitsmarkt-Umfrage des spanischen Statistik-Instituts wurde die Quote für das erste Quartal 2012 sogar mit 28 Prozent ausgewiesen. In mehr als 50.000 Haushalten auf den Balearen sind demnach alle Familienmitglieder arbeitslos. Besonders betroffen: Frauen, Einwanderer und junge Menschen. Auf dem Bau gibt es fast keine Jobs mehr, die Hoffnungen ruhen fast allein auf dem Dienstleistungssektor, sprich auf dem ­Tourismus.

Banken

Mallorcas Kreditinstitute schlagen sich in der Finanzkrise ganz unterschiedlich. Unter dem größten Druck aufgrund fauler Immobilienkredite steht die Sa Nostra. Die Insel-Sparkasse musste sich bereits mit drei weiteren Instituten vom Festland (Caja Murcia, Caixa Penedès und Caja Granada) zur Gruppe Banca Mare Nostrum (BMN) zusammentun und die Entscheidungsgewalt praktisch abgeben. Damit nicht genug: Jetzt steht womöglich die zweite Fusionswelle ins Haus. Sondiert wird ein Zusammenschluss mit der Unicaja (die gerade mit Caja España und Caja Duero fusioniert) oder der Kutxabank (ein Zusammenschluss aus baskischen Sparkassen).

Wesentlich besser steht die Banca March dar, die bei den beiden Stresstests der europäischen Banken 2010 und 2011 jeweils als Beste abschnitt und im ersten Quartal immerhin noch einen Gewinn von 21,3 Millionen Euro verbuchen konnte (64 Prozent weniger als im Vorjahr). Die Bank ist auf vermögende Privatkunden spezialisiert, die Kreditausfallquote liegt derzeit bei akzeptablen 4,7 Prozent (spanienweiter Schnitt: 8,3 Prozent).

Und da wäre noch die Mini-Sparkasse Colonya Caixa ­Pollença. Das kleinste Kreditinstitut Spaniens hat sich mit Immobiliengeschäften traditionell zurückgehalten, verfügt über genügend Eigenkapital und kann auch jetzt noch Kleinkredite vergeben. Die Chancen stehen gut, dass sie die Finanzkrise als unabhängiges Institut überleben wird.

Einsparungen

Praktisch mit jeder Ausgabe des balearischen Gesetzesblattes (BOIB) werden neue Einsparungen bekannt. Zuletzt verkündete das BOIB am Freitag (1.6.) eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst auf den Balearen um zweieinhalb Stunden auf jetzt 37,5 Stunden. Bezahlte Überstunden und Sonderleistungen sind ersatzlos gestrichen. Schon zuvor hatte die Angestellten des öffentlichen Dienstes spanienweit eine fünfprozentige Gehaltskürzung hinnehmen müssen.

In der öffentlichen Verwaltung werden reihenweise Körperschaften eingestellt, Subventionen auf breiter Front gestrichen, Dienstleistungen zurückgefahren und Tarife, etwa im öffentlichen Nahverkehr, erhöht. Fast alle größeren Infrastruktur-Projekte sind momentan auf Eis gelegt.

Die schmerzhaftesten Einsparungen sind im Gesundheitswesen geplant, zwei Krankenhäuser, das Hospital General und das Hospital Joan March, sollen ganz geschlossen werden. Hinzu kommen kürzere Sprechzeiten in den Gesundheitszentren oder Einsparungen bei den Personalgehältern. Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung wird der Zugang zum Gesundheitssystem, außer in Notfällen, künftig verwehrt. In den Schulen werden unter anderem die Klassen­stärken erhöht, die Wochenarbeitszeit der Lehrer heraufgesetzt sowie Krankenvertretungen stark reduziert.

Haushalt

Alle Einschnitte haben zum Ziel, dieses Jahr die Defizitmarke der spanischen Zentralregierung von maximal 1,5 Prozent des Bruttosozialprodukts einzuhalten. 2011 lag das Defizit noch bei 4 Prozent. Um das zu schaffen, muss die balearische Landesregierung in einem Kraftakt bis Jahresende noch mindestens 347 Millionen Euro einsparen, beziehungsweise mit neuen Steuern gegenfinanzieren. Bereits in Kraft getreten ist etwa eine kräftige Erhöhung der Benzinsteuer, um 4,9 Prozent.

Werden die Defizitziele nicht eingehalten, droht die Intervention durch die Zentralregierung. Auf dem Papier ist man auf gutem Wege, aber die immer größer werdenden Einnahmeausfälle könnten bald noch weitere Einschnitte und Steuererhöhungen nötig machen. Die Landesregierung kann sich dabei zugute halten, spanienweit den eisernsten Sparwillen zu zeigen: Nach Zahlen des spanischen Finanzministeriums wurden im ersten Quartal 32 Prozent weniger ausgegeben als im Vorjahr. Rein rechnerisch wurde sogar ein Überschuss von 0,57 Prozent erwirtschaftet - aber nur, weil ­Madrid einen Teil der Transferleistungen vorgestreckt hat.

Immobilien

Ebenso wie auf dem Festland ist auch auf ­Mallorca eine Immobilienblase geplatzt. Die Preise auf dem einheimischen Wohnungsmarkt sinken seit Jahren, und noch immer ist kein Ende auszumachen. Auch die vor allem von Ausländern erworbenen Ferienhäuser und Zweitwohnsitze sind teilweise deutlich billiger geworden - allerdings nicht, wenn es sich um hochwertige Immobilien in begehrten Lagen handelt. Hier sind die Preise weitgehend stabil - wobei angesichts der unsicheren Lage derzeit kaum etwas verkauft wird.

Korruption

In vieler Hinsicht zahlen die Balearen ebenso wie ganz Spanien nun den Preis für Jahre der Misswirtschaft und Korruption. Insbesondere in der zweiten Amtszeit von Ministerpräsident Jaume Matas (2003-2007) verschlangen zum Teil größenwahnsinnige Projekte wie der Bau einer U-Bahn oder eines Velodroms hunderte Millionen Euro. Einiges davon verschwand in der eigenen Tasche. Zudem wurde der öffentliche Haushalt über mehrere Legislaturperioden hinweg von einer kleinen Regionalpartei, Unió Mallorquina (UM), regelrecht geplündert. Die Verantwortlichen für die Misswirtschaft - unter ihnen auch Matas selbst sowie der königliche Schwiegersohn Iñaki Urdangarin - müssen sich derzeit in Palma in Dutzenden von Gerichtsverfahren verantworten.

Politik

Die Volkspartei (PP) von Ministerpräsident José Ramón Bauzá verfügt seit den Wahlen vom 22. Mai über absolute Mehrheiten im Balearen-Parlament, im mallorquinischen Inselrat sowie im Stadtrat von Palma. Zudem kann sie auf das Wohlwollen aus Madrid vertrauen, wo die PP mit Mariano Rajoy ebenfalls über eine absolute Mehrheit verfügt. All dies ermöglicht der Balearen-PP einen maximalen politischen Handlunsgspielraum, macht sie aber auch allein für die Ergebnisse ihres Handelns verantwortlich. Bislang konnte Bauzá noch dem sozialistischen Vorgänger Francesc Antich die Krise in die Schuhe schieben. Das Mitte-Links-Bündnis (2007-2011) hatte ebenfalls im Einklang mit ­Madrid versucht, die Wirtschaft mit Konjunkturspritzen am Leben zu halten - und dabei die Verschuldung in die Höhe getrieben. In der Drei-Parteien-Regierung gab es viele Ansprüche zu erfüllen, die Überlappung von Zuständigkeiten wurde großzügig hingenommen.

Soziale Not

Die Krise treibt immer mehr Menschen in die Armut. Besonders deutlich wird das an der Zahl der Zwangsräumungen. 2011 mussten auf den Inseln 3.656 Familien auf den Inseln ihre Wohnungen oder Häuser verlassen, weil sie entweder die Miete oder die Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten. Auch die Zahl der Bedürftigen, die in Suppen­küchen und Armenspeisungen vorstellig werden, wächst ständig. Christliche und private Hilfsorganisationen kommen mit dem Sammeln von Lebensmittelspenden kaum nach. Die Lebensmittelbank Banco de Alimentos arbeitet mit 192 verschiedenen Initiativen und versorgt so rund 42.000 Menschen mit Grundnahrungsmitteln. Laut einem Bericht des Kinderhilfswerks Unicef leben mittlerweile 26 Prozent der spanischen Kinder unterhalb der Armutsgrenze - das ist ein höherer Prozentsatz als der der Rentner.

Tourismus

Die Winter­saison war die schlechteste der vergangenen zehn Jahre - die oft bemühte Belebung der Nebensaison ist weitgehend gescheitert. Dafür dürfte auch in diesem Sommer wieder die Post abgehen. Die derzeitigen Prognosen gehen zwar davon aus, dass die über zehn Millionen Balearen-Urlauber des rekordverdächtigen vergangenen Jahres nicht erreicht werden, aber dennoch deutet alles auf eine gute ­Saison hin. Insbesondere die Deutschen halten Mallorca die Stange, wohingegen die Briten schwächeln und auch viele Spanier ganz auf einen Insel­urlaub verzichten. Dafür sind Osteuropäer und Skandinavier weiter im Kommen.

Unmut

Mittlerweile vergeht kaum ein Tag, an dem auf Mallorca nicht gegen die Einschnitte protestiert wird. Den Anfang machte bereits vor einem Jahr die Bewegung der indignados, der „Empörten", die erst in Madrid und dann bald im ganzen Land gegen die Verantwortlichen der Finanzkrise und für mehr Demokratie auf die Straße gingen. Auch in Palma wurde zeitweise die zentrale Plaça d´Espanya besetzt. Die Bewegung ist mittlerweile in eine Vielzahl von Initiativen aufgegangen, findet bei größeren Kundgebungen aber wieder zusammen. Immer häufiger rufen auch die Gewerkschaften zu Demonstrationen und Protesten wie etwa caceroladas auf (hierbei wird auf Kochtöpfen getrommelt). Der spanienweite Generalstreik vom 29. März wurde auf der Insel zwar nur mäßig befolgt, zu der Abschlusskundgebung aber strömten mehrere zehntausend Menschen. Und schließlich treten in den vergangenen Wochen auch immer häufiger links-nationalistische Stoßtrupps in Erscheinung, die lautstark und teilweise gewalttätig gegen die Landesregierung protestieren. Hintergrund ist hier auch der ­Sprachenstreit um eine stärkere Förderung des Spanischen gegenüber dem Katalanischen.

Wirtschaftswachstum

Nach -2,7 Prozent im Jahr 2009 und -0,9 Prozent 2010 konnte die Inselwirtschaft 2011 mit geschätzten 0,6 Prozent minimal zulegen. Für 2012 sind die Vorhersagen düster: Die Landesregierung geht von einem minimalen Wachstum von 0,3 Prozent aus, es könnte aber genauso gut, wie die Bank BBVA prophezeit, zu einem erneuten Einbruch von 0,4 Prozent kommen. Damit stünde die Insel im Vergleich zu Gesamtspanien zwar noch gut da (-1,3 Prozent laut BBVA), befände sich aber ebenfalls in einer Rezession.

Um die Wirtschaft wieder in Gang zu bekommen, setzt die Landesregierung in Ermangelung eigener Mittel auf eine ausgesprochen unternehmerfreundliche ­Politik. Mehrere Gesetzesvorhaben sollen die Investition erleichtern, und im Unterschied zu anderen konservativ geführten Regionen in Spanien wird ausdrücklich auf die Erhebung einer Vermögenssteuer verzichtet. Die Privatwirtschaft soll´s richten. Paradebeispiel ist die derzeit laufende Teilsanierung der heruntergekommenen Briten-Hochburg Magaluf durch die Hotelgruppe Sol Meliá.