Es ist ein weitläufiges Anwesen mit riesigem Garten voller Palmen und umschlossen von hohen Mauern. Lediglich durch das Eisengitter an der Einfahrt ist das Grundstück neben dem Friedhof im kleinen Örtchen Lloret de Vistalegre im Insel­inneren einsehbar. Seit vielen Jahren lebte hier Paul E., einst einer der Big Player im Frankfurter Rotlichtmilieu und in der Szene besser als „Thrombose-Paul" bekannt. Dass er öfter seine Rocker-Kumpels auf die Finca einlud, war in der Nachbarschaft bekannt. Manchmal bestellte man Spanferkel, trank zusammen, doch ansonsten seien die Jungs mit den dicken Motorrädern gänzlich unauffällig gewesen, heißt es.

Bis am frühen Dienstag­morgen (23.7.) ein Großaufgebot der Polizei für Aufsehen sorgt. Rund 20 Beamten, teils mit Sturmhauben über dem Kopf, stürmen das Anwesen, ein Hubschrauber landet im Garten, mit Metalldetektoren, Tauchern und Spürhunden wird jeder Winkel der Finca unter die Lupe genommen. Kurz darauf führen die Uniformierten einen glatzköpfigen Koloss mit Tätowierungen am Arm ab: Frank Hanebuth, früherer Chef des Hannoveraner Charters der Hells Angels, der lange Zeit sogar auf internationaler Ebene als einer der mächtigsten Rocker-Bosse galt.

Der 49-Jährige soll vor einer Woche mit seinem zwölfjährigen Sohn auf die Insel geflogen sein, einquartiert hat er sich offensichtlich bei seinem Freund Paul E. - man kennt sich von früher aus dem deutschen Rotlichtmilieu. Hanebuth soll sich auf der Insel nach einer Schule für den Sohn umgesehen haben. Nach einem neuen Tätigkeitsfeld für sich selbst sucht er schon länger. Gegenüber der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" erklärte er kürzlich, er führe Verhandlungen zur Übernahme eines mittelständischen Gastronomie­betriebs auf Mallorca. Zudem war er seit Längerem Mitglied im vor einigen Jahren gegründeten Mallorca-Charter der Hells Angels.

Die spanischen Behörden sprechen nach der Festnahme vom europa­weiten Kopf der Höllen­engel, der künftig von Mallorca aus die Strippen ziehen wollte. Und dennoch ist Hanebuth nur einer von mindestens 25 Verdächtigen, die am Dienstag im Rahmen einer Groß­razzia verhaftet wurden. Der sogenannten „Operación Casa­blanca" gingen drei Jahre dauernde Ermittlungen auf Mallorca voraus. Geführt wurden sie von der Guardia Civil und der Nationalpolizei in Zusammenarbeit mit Europol und den Behörden in Deutschland, Holland und Österreich. Anfang 2012 leitete der am Nationalen Gerichtshof in Madrid für organisierte Kriminalität zuständige Richter Eloy Velasco ein offizielles Ermittlungsverfahren ein.

Die Antikorruptionsstaats­anwaltschaft in Madrid, von der der große Zugriff nun ausging, legt den Festgenommenen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche, Drogenhandel, Erpressung, Zuhälterei, Betrug, Hehlerei und Urkundenfälschung zur Last. Einer der Männer soll außerdem wegen versuchten Totschlags in Deutschland gesucht worden sein, teilte ein Sprecher der Guardia Civil mit. Die Verhafteten sind größtenteils Deutsche. Aber auch Spanier und andere Landsmänner sind darunter, die auf der Insel ein recht luxuriöses Leben geführt haben sollen. Unter ihnen befand sich zudem ein Polizei­beamter aus Palma, der offenbar mit den Rockern unter einer Decke steckte und sie vor seinen Kollegen warnte.

Auch wenn der große Schlag gegen die Hells Angels erst jetzt gelang - was die Verdächtigen aus dem Rocker-Umfeld auf Mallorca planten, wussten die Ermittler wohl schon länger. So wollten sie etwa große Mengen Schwarzgeld, das aus kriminellen Machenschaften in Deutschland und der Türkei stammte, in eine Formel-1-Rennstrecke bei Llucmajor investieren. Zum Zweck der Geldwäsche unterhielten die Rocker vor Ort bereits ein Geflecht aus Unternehmen, die meist auf den Namen von Strohmännern liefen. Diese mussten daneben als Eigentümer von Firmen, Autos oder Anwesen herhalten - etwa der Finca in Lloret, die laut Polizei 2,5 Millionen Euro wert ist und in Wirklichkeit Hanebuth und einem Kompagnon gehört.

Eine wichtige Einnahmequelle der Hells Angels sind den Ermittlern zufolge eine Reihe an Bordellen in Deutschland, wo Frauen nicht nur zur Prostitution gezwungen, sondern zugleich als Strohleute für die dubiosen Geschäfte missbraucht werden und sogar Kurierdienste erledigen müssen, um die Gelder nach Spanien zu bringen. Auch auf Mallorca wollten die Hells Angels nun im großen Stil ins Rotlicht­milieu einsteigen. Laut Polizeiinformationen wollten sie Palmas berühmtes Nobelbordell „Globo Rojo" übernehmen, das der bisherige Eigentümer für eine üppige Summe loszuwerden versucht. Den Kauf sollte Khalil Y., deutscher Staatsbürger und eines der Schwergewichte des Mallorca-Charters abwickeln. Er ist ebenfalls festgenommen worden - in einem Haus in Puig d´en Ros in der Gemeinde Llucmajor.

Die über 200 Beamten, die am Dienstag im Einsatz waren, haben zeitgleich an verschiedenen Orten auf der Insel zugeschlagen. Insgesamt wurden 31 Häuser, Lokale und Büros durchsucht. In Puig d´en Ros nahmen die Beamten neben Khalil Y. einen jungen Mann mit Bodybuilder-­Figur fest. Er betreibt in Arenal ein Fitnessstudio namens „Combat", in dem illegale Boxkämpfe stattfinden sollen. Ein anderer Muskelprotz wurde in der Table-Dance-Bar „Red Palace" in der Calle Misión de San Diego, zwei Blocks von der Schinkenstraße

entfernt, festgenommen. Der Inhaberin des Supermarkts nebenan zufolge sind die Besitzer deutsche Rocker. Am Abend nach der Razzia blieb das Lokal geschlossen.

Weitere Durchsuchungen fanden in Wohnungen in Arenal, Son Veri Nou, Cala Estancia, Calvià, Andratx und Establiments statt. Dabei beschlagnahmten die Beamten mehrere Motorräder und Autos, vor allem PS-starke Sportwägen, aber auch Boote, zahlreiche Waffen, wertvoller Bilder und Schmuck, rund 50.000 Euro Bargeld sowie größere Mengen Kokain, Marihuana und Anabolika. Eine weitere Festnahme erfolgte der Polizei zufolge am Mittwochmorgen.

An der Großrazzia waren auch mehrere Beamte aus Deutschland und zwei Ermittler des Landes­kriminalamts (LKA) Niedersachsen beteiligt. Zwar ging es bei der konzertierten Aktion ausschließlich um Straftaten, die in Spanien begangen wurden, erklärte LKA-Sprecher Frank Federau auf Nachfrage. Da es sich bei den Verdächtigen aber unter anderem um ehemalige Mitglieder des Hannoveraner Hells Angels-Charters handle, wurden die Experten aus Niedersachen auf Ersuchen der spanischen Behörden zur Unterstützung geschickt. „Das ist normal, um an Hintergrundinformationen zu kommen", so Federau.

Am Mittwoch (24.7.) reisten zudem Richter Eloy Velasco und mehrere Staatsanwälte nach Palma, um mit den Vernehmungen zu beginnen, die noch mehrere Tagen dauern dürften. In Spanien können Festgenommene 72 Stunden ins Gefängnis gesteckt werden, bevor darüber entschieden wird, ob die Beweise für einen Haftbefehl ausreichen.

Für die Machenschaften der Hells Angels interessieren sich nicht nur die Vernehmungsbeamten - auch an der Playa de Palma ist der Polizeieinsatz Gesprächsthema. In Arenal waren die Mitglieder des Mallorca-Charters häufig zu sehen, die Rocker haben hier viele Stammlokale - unter anderem das „Casablanca", das möglicherweise namensgebend für die Großrazzia war. Doch am Mittwochmorgen sucht man die Jungs mit den Motorrädern in der Gegend vergeblich. „Die haben heute andere Sorgen", sagt ein Angestellter der „Sonnenbäckerei". Manche der Rocker kommen fast täglich in dem deutschen Lokal vorbei und frühstücken dort. Auch Frank Hanebuth ist hier kein Unbekannter.

Der Hannoveraner ist Medien­berichten zufolge seit rund einem Jahr regelmäßig auf der Insel, betreibt aber nach wie vor zwei Bordelle in Hannover. Dass er ernsthaft vorhat, sich längerfristig auf ­Mallorca niederzulassen, wäre durchaus naheliegend. Der Rocker-Boss war im Mai 2012 in seiner Villa im Norden Hannovers von einer Spezialeinheit der GSG9 hochgenommen worden, weil er einen Mord in Auftrag gegeben haben soll. Mangels Beweisen wurde das Verfahren inzwischen zwar eingestellt, doch bereits im Juni 2012 hat der Hannoveraner Club seine Selbstauflösung bekannt gegeben - eine Woche nachdem das LKA Niedersachen ein Verbotsverfahren in die Wege geleitet hatte. Hanebuth hat in Deutschland kein Hoheitsgebiet mehr.

Außerdem sei die Luft dort seitdem dünn geworden für die Höllen­engel, sagen Insider. Nicht nur die Polizei mache ihnen das Leben schwer, sondern auch verfeindete Rockerclubs wie die Bandidos. Hanebuth scheut eigenen Aussagen zufolge die ausufernden Bandenkriege in manchen Städten. Die schöne Ferieninsel schien ihm eine attraktive Alternative zu sein, ein Neustart in Spanien lag - dank guter Kontakte, unter anderem zu Paul E. - auf der Hand. Ob das Kapitel Mallorca für Frank Hanebuth nun bereits wieder enden könnte, werden die Richter und Staatsanwälte entscheiden. Damit, dass es möglicherweise so schnell gehen könnte, hatte der Rocker-Boss aber vermutlich nicht gerechnet - schließlich waren die deutschen Ermittler jahrelang vergeblich hinter ihm her. Die spanischen Kollegen machten hingegen kurzen Prozess.

Auf der Finca in Lloret ist indes wieder Ruhe eingekehrt. Am Tor flattert noch das Absperrband, das die Guardia Civil dort angebracht hat. Ob die Beamten auch Paul E. mitgenommen haben, wurde von offizieller Seite nicht bestätigt. Angestellte verweisen Anrufer allerdings darauf, dass der Besitzer nicht da sei - mehr wüssten sie nicht.

Spanferkel und ausgelassene ­Feiern jedefalls dürfte es vorerst nicht mehr geben.