Aus dem Garten einer weitläufigen Finca in Sa Coma Freda, ein Stück nördlich von Andratx, dringt das Knattern einer Motorsäge. Zwei Männer zerschneiden einen verbrannten Baum und laden das Holz auf einen Anhänger, zwei andere entfernen verkohlte Äste vom Zufahrtsweg. Renate Fischer und Viktor Rimbakowsky blicken von der Terrasse über ihr Grundstück. Die Flammen haben es am Freitag (26.7.) in eine grau-schwarze Mondlandschaft verwandelt. Das deutsche Rentnerpaar wirkt immer noch mitgenommen - will aber keine Zeit verlieren: Schon drei Tage nach dem Brand rief es die polnischen Arbeiter, die sich auch sonst um das Anwesen kümmern, um mit den Aufräumarbeiten zu beginnen.

Sie habe in den 36 Jahren, die sie nach Mallorca kommt, schon viele Feuer gesehen, sagt Renate Fischer. Erst im vergangenen Jahr stieg an derselben Stelle Rauch auf. „Doch diesmal kamen die Flammen mit rasender Geschwindigkeit näher", erzählt Viktor Rimbakowsky. Innerhalb von Minuten hätten sie deshalb die wichtigsten Dokumente zusammengepackt und sich in Sicherheit gebracht - in ein Hotel in Camp de Mar. Zwei Tage harrte das Paar dort aus, während der Waldbrand sich immer weiter ausbreitete. Dass es am Ende der verheerendste seit mindestens 20 Jahren sein sollte, der eine Fläche von über 2.000 Hektar zerstörte, ahnten sie noch nicht.

In früheren Jahren hätte es immer mal wieder auf den Bergen gebrannt, sagt Fernando, ein Beamter der Ortspolizei Andratx. Aber diesmal durchquerte das Feuer das Tal und erreichte damit eine Gegend, in der zahlreiche Fincas stehen. Deutsche, Engländer, aber auch viele Mallorquiner haben sich hier inmitten der Natur ihr kleines Paradies geschaffen. Wenngleich die dicken Steinmauern der Häuser Stand hielten, bietet sich außen herum ein Bild der Zerstörung: abgefackelte Bäume, Überreste eines Gartenteichs mit einst üppiger Vegetation, ein angesengter Hometrainer umgeben von Schutt und Asche.

Auch einige Kilometer westlich, auf der Finca von Mario Heil, oberhalb von s´Arracó, gleicht der Garten einer Kraterlandschaft. „Früher hörte man hier Vögel und Ziegen, jetzt ist es totenstill", sagt der Deutsche, der im Büro seiner Chefin Asyl fand. Das Haus sei zwar weitgehend verschont geblieben, doch Stromaggregate, Wassertanks und -leitungen fielen den Flammen zum Opfer. „Jetzt, wo es endlich gemütlich war, ist wieder alles dahin", sagt Heil, der vor drei Jahren auf die Insel gekommen ist und seitdem jede freie Minute in die kleine Finca gesteckt hat. Nun hofft er auf Unterstützung, um möglichst schnell wieder über Strom und Wasser zu verfügen. Danach wolle er anfangen, alles wieder herzurichten, sagt er in einer Mischung aus Niedergeschlagenheit und Optimismus. „Es ist schließlich so schön da oben." Und ein paar gebrauchte Schläuche seien ihm auch schon angeboten worden.

Überhaupt hat das Feuer eine Lawine der Hilfsbereitschaft ausgelöst. „So viel Solidarität habe ich noch nicht erlebt", sagt Fernando von der Ortspolizei. Das habe ihm sogar ein Hauptmann der militärischen Nothilfeeinheit UME bestätigt. „Angeblich wurden sie noch nie bei einem Einsatz so liebenswürdig aufgenommen. Die Leute ließen sie duschen, gaben ihnen Essen." Auch in den sozialen Netzwerken herrschte reges Engagement: Die einen taten sich zusammen, um für die Feuerwehr Salate zu schnipseln, andere boten Mensch wie Tier Obdach an, wieder andere riefen in der Gruppe „SOS Brandhilfe" zu Sachspenden auf. Die Flut an Hilfswilligen, die Lebensmittel und andere Dinge loswerden wollten, überrollte die Verantwortlichen derart, dass von offizieller Seite schließlich der Aufruf erging, vorerst nichts mehr zu spenden.

Um Nachschub musste man sich im Rathaus von Andratx, das zur Einsatzzentrale umfunktioniert wurde, nicht sorgen. „Wir wurden hier von Hotels, Supermärkten und Unternehmen mit allem versorgt, was man zum Überleben braucht", sagt José Ramón Baeza, umgeben von Obstkisten, Kuchenblechen und Coca-Cola-Paletten. Der für Umweltangelegenheiten zuständige Gemeinderat hatte Hemd und ­Krawatte gegen T-Shirt und kurze Hose getauscht und sorgte neben anderen Kommunalpolitikern und zig Freiwilligen aus dem Ort für die Verpflegung der zeitweise bis zu 500 Einsatzkräfte.

Mallorcas Feuerwehr, Polizei und Guardia Civil, Mitarbeiter der Forstbehörde Ibanat, die vom Festland geschickten Löschtrupps des Umweltministeriums und der militärischen Nothilfeeinheit, freiwillige Helfer - alle schlugen am „Castell de Son Mas" ihr Lager auf. Je weiter sich die Flammen in die Tramuntana hineinfraßen - und die wundervolle Naturlandschaft von La Trapa und fast auch noch das Bergdorf Estellencs verschluckten -, desto mehr wurden es. Am Sitz der Gemeindeverwaltung liefen alle Fäden zusammen: Hier wurde der Einsatz koordiniert, hier gaben sich die Politiker die Klinke in die Hand. Balearen­premier Bauzá fand tröstende Worte, der spanische Umweltminister Cañete versprach Finanz­hilfen für die Wiederaufforstung, sogar Königin Sofía und Kronprinz Felipe statteten den Helden von Andratx am Mittwochvormittag (31.7.) einen Besuch ab.

Doch das Gröbste war zu diesem Zeitpunkt bereits überstanden - abgesehen von der Schreckensnachricht, im Hafen von Andratx sei ein neues Feuer ausgebrochen, das zum Glück schnell gelöscht werden konnte. Der Großbrand war bereits am Dienstagvormittag (30.7.) weitgehend unter Kontrolle.

Für Llorenç Suau, Bürgermeister von Andratx, bedeutet diese Meldung allerdings nur eine Verschnaufpause: „Jetzt mache ich mir umso mehr Sorgen um das Danach." Denn sobald der Brand als gelöscht gelte - was noch Tage dauern kann -, beginne die eigentliche Arbeit. Wobei man nicht allein die Wiederaufforstung im Blick haben sollte, sondern auch präventive Maßnahmen. „Vielleicht sollten wir als allererstes die vernachlässigten ­Terrassenfelder wieder herrichten und Olivenbäume pflanzen." Die einstige Beschaffenheit der Tramuntana sei schließlich lange Zeit die beste Waffe gegen Waldbrände gewesen, sagt Suau nachdenklich und zeigt auf die gegenüberliegende Serra d´en Garrafa. „Wenn das alles einmal brennen sollte, wäre die ­Katastrophe noch viel größer."

Der Rathauschef bestreitet nicht, dass der Brand vielleicht hätte vermieden werden können, wenn man schon in der Vergangenheit etwas getan hätte. „Wir müssen durchaus selbstkritisch sein, eine Mitschuld trifft uns alle." Nur Einsparungen und Stellenstreichungen für das Desaster verantwortlich zu machen, greife aber zu kurz, verteidigt auch Gemeinderat Baeza die Balearen-Regierung. „Dieses Feuer ist nicht ausgebrochen, weil in den Bergen ein Wachmann weniger unterwegs war, sondern weil eine Person etwas getan hat, was absolut verboten ist", sagt er in Anspielung auf den inzwischen festgenommenen Mann, der glühende Grillkohle in die Landschaft gekippt hatte.

Zudem sei nun nicht der Moment, um nach Schuldigen zu suchen, sondern um nach vorne zu blicken, betont Bürgermeister Suau. Auch wenn sämtliche Schritte mit Umweltministerium und Inselrat abgesprochen werden müssten, müsse man so schnell wie möglich beginnen, das verbrannte Gebiet wiederaufzubauen. „Wir müssen es ausnutzen, dass so viele Leute helfen wollen." Auf Facebook hat sich noch am Wochenende die Gruppe „Recuperant Andratx després de l´incendi" (Andratx nach dem Brand wiederaufbauen) gegründet, die mittlerweile über mehr als 25.000 Fans verfügt. Die Initiatoren stammen aus dem Umfeld des Jugendhauses in Andratx - und zeigen sich angesichts der großen Resonanz selbst überrascht. „Wir müssen auf weitere Anweisungen aus dem Rathaus warten", ruft Xisco Mascaró, einer der Verantwortlichen, zu Geduld auf.

Neben tatkräftigen Unterstützern darf sich Bürgermeister Suau inzwischen auch über eine rege Spendenbereitschaft freuen. Eine Bank habe der Gemeinde 300.000 Euro überwiesen - und ihr obendrein Kredite mit Mini-Zinssatz in Aussicht gestellt. Zahlreiche Unternehmen und Privatpersonen wollen Geld spenden oder Benefizveranstaltungen organisieren - vom Konzert bis zum Golfturnier. In den nächsten Tagen will die Gemeinde ein Spendenkonto einrichten. „Damit alles so transparent wie möglich abläuft und die Bürger verfolgen können, was mit dem Geld passiert", erklärt Suau. Wie viel öffentliche Hilfs­gelder am Ende fließen, sei derzeit noch nicht abschätzbar und hänge davon ab, ob Andratx zum Katastrophen­gebiet erklärt werde.

Renate Fischer und Viktor ­Rimbakowsky hoffen indes auf die Versicherung, in den nächsten Tagen wird sich ein Gutachter das Anwesen ansehen. Als sie am Sonntag (28.7.) auf ihre Finca zurückkehren durften, hatten sie mit dem Schlimmsten gerechnet. „Ich dachte, alles ist flöten", sagt Renate Fischer. Doch immerhin: Das Haus stand noch. „Jetzt müssen wir eben von vorne anfangen", sagt Viktor Rimbakowsky. „Die Sache ist es wert." Polizist Fernando, der gerade einmal wieder bei den Betroffenen nach dem Rechten sieht, nickt zustimmend. „Das ist eine der schönsten Gegenden der Tramuntana", sagt er dann und klopft dem Deutschen aufmunternd auf die Schulter. „Ánimo. Wir schaffen das schon!"

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