Lässt sich Wohlbefinden messen? Wer bislang wissen wollte, wie gut es sich auf Mallorca leben lässt, der schaute auf das Bruttosozialprodukt oder vielleicht auch auf die Zahl der Sonnentage pro Jahr. Systematischer an die Frage ist jetzt die OECD herangegangen: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wirft in einer neuen Studie einen Blick auf das Leben in 362 Regionen der Mitgliedsländer und hat für das jeweilige Wohlbefinden einen Index ausgerechnet.

Bei vielen der herangezogenen Kriterien stehen die Balearen gar nicht so schlecht da - doch bei einigen liegen sie auch deutlich unter dem Durchschnitt. Rechnet man alle acht herangezogenen Haupt­indikatoren zusammen, kommt man auf 5,89 von 10 Punkten - womit die Inseln deutlich hinter sämtlichen Regionen in Deutschland rangieren. Musterknabe Bayern beispielsweise kommt auf 7,75 Punkte.

Von der Arbeitslosenquote bis zur Lebenserwartung, vom Breitbandinternetanschluss bis zur Mord­rate - das Projekt soll die gesellschaftliche Lebensqualität auch jenseits der Wirtschaftsleistung bestimmen. Stand bislang die Auswertung auf Länderebene im Vordergrund - mit dem ­sogenannten Better-Life-Index kann das Leben in 36 Ländern mittels individuell gewichteter Kriterien verglichen werden - schaut die OECD jetzt genauer hin: Viele Aspekte des täglichen Lebens hingen schließlich weniger vom Land, als von der jeweiligen Region ab, heißt es in der Präsentation der neuen, interaktiven Website. Ihr soll in einigen Wochen noch ein ausführlicher wissenschaftlicher Bericht folgen.

Beim näheren Blick auf die Noten für die Balearen fällt auf, dass die Inseln bei solchen Indikatoren am besten abschneiden, die vor allem die Ausländer zu schätzen wissen: Gesundheit, Sicherheit und Umwelt. Nur noch im Mittelfeld liegen die Balearen hinsichtlich des Zugangs zu Dienstleistungen. Schlecht fallen die Noten in punkto Bildung, gesellschaftlichem Engagement und Einkommen, vor allem aber beim Thema Beschäftigung aus. Wer also als Rentner oder Privatier auf Mallorca lebt, kann sich zumindest statistisch gesehen sehr wohlfühlen. Einheimische aber, die auf der Insel ihre Ausbildung absolvieren und hier ihr Geld verdienen, haben nur einen unterdurchschnittlichen index of wellbeing, wie es in der OECD-Sprache heißt.

Einen Spitzenwert erzielen die Balearen mit 9,6 Punkten vor allem beim Thema Sicherheit - wobei hier als einziger Indikator die Mordrate von 0,8 jährlichen Delikten pro 100.000 Einwohnern herangezogen wurde. Das entspricht etwa neun Mordfällen pro Jahr. Der OECD-Wert ist vergleichbar mit den meisten deutschen Regionen, die Balearen schneiden sogar besser ab als etwa Schleswig-Holstein. Hier wie dort halten Einbrüche oder Taschendiebstähle die Polizeibehörden aber natürlich auch noch anderweitig auf Trab, wie die Kriminal­statistiken belegen.

Ebenfalls sehen lassen können sich 8,5 Punkte beim Thema Gesundheit. Hier wurden nicht Wartelisten für medizinische Eingriffe oder die Zufriedenheit im Gesundheitszentrum bewertet, sondern die Lebenserwartung von 82 Jahren sowie die ­Sterblichkeitsrate von 7,3 Todesfällen pro 1.000 Einwohnern. Zieht man diese Kriterien heran, liegen die Balearen in Sachen Gesundheit im Spitzenfeld und deutlich vor den meisten ­Regionen im medizinisch bestens versorgten Deutschland.

Die 7,4 Punkte, die die Balearen beim Thema Umwelt erhalten, beruhen auf Messungen der Sauberkeit der Luft, die mit der Einwohnerzahl gewichtet werden. Angesichts der geringen Zahl industrieller Anlagen - die Insel lebt schließlich vom Tourismus - stehen die Balearen auch hier bestens da und schneiden deutlich besser ab als deutsche Regionen: Bayern etwa kommt gerade einmal auf 3,9 Punkte.

Und auch beim Zugang zu Dienstleistungen können die Inseln bei einer Punktzahl von 7,3 gut mithalten. Allerdings gibt es auch hier nur einen einzigen Indikator - nicht etwa die Schnelligkeit behördlicher Dienstleistungen, sondern die vergleichsweise leicht messbare Verbreitung von Breitbandanschlüssen. Davon haben die Balearen gemessen an der Zahl der Einwohner weniger als Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein, aber doch mehr als Mecklenburg-Vorpommern.

Dass die geringe Zahl der Indikatoren die Aussagekraft der Studie schmälert, darüber ist man sich bei der OECD bewusst. Viele Daten seien auf Regionalebene gar nicht abrufbar oder nicht vergleichbar, erläutert Sprecherin Antonie Kerwien die methodischen Schwierigkeiten einer solchen Studie. Das gelte besonders für so komplexe Systeme wie die Gesundheitsversorgung. Deswegen habe man die Indikatoren nach pragmatischen Kriterien ausgewählt. Darüber hinaus schrumpfte auch die Zahl der betrachteten Bereiche im Vergleich zur Better-Life-Länderstudie von elf auf acht.

Das Ergebnis sei daher eine Art Kompass, der in erster Linie zeige, dass innerhalb von großen Verwaltungseinheiten wie Nationalstaaten oft keine gleichen Bedingungen herrschten und dagegen Vergleiche zwischen den Regionen erkenntnisreicher sein können, sagt OECD-Sprecherin Kerwien - noch dazu, wenn es sich wie im Fall der Balearen um Inselregionen handelt.

In Deutschland sorgten die Ergebnisse für Debatten, weil etwa herauskam, dass Bayern und Baden-Württemberg eigentlich viel besser zur Schweiz passen als zu manchen Regionen in Ost- oder Norddeutschland.

Anders als von manchem Separatisten erwartet, trifft eine solche grenzüberschreitende Ähnlichkeit nicht auf Katalonien zu. Die Region liegt bei fast allen Indikatoren im Vergleich zum restlichen Spanien im Mittelfeld.

Im Fall der Balearen dagegen fallen die Unterschiede zum Festland mitunter deutlich aus. Während die wahlmüden Insel-Bewohner beim gesellschaftlichen Engagement nur auf einen Wert von 4,1 kommen - erfasst wurde die Beteiligung an Parlamentswahlen - erzielt beispielsweise Kastilien-La Mancha in dieser Kategorie 7,2 Punkte und liegt damit auch deutlich über Regionen in Deutschland.

Gerade bei den wirtschaftlichen Indikatoren wie dem Einkommen sind die Unterschiede zum Norden Spaniens groß. Mit einem verfügbaren jährlichen Netto-Haushaltseinkommen von im Schnitt 12.230 Euro, das gerade einmal 4,2 Punkte auf der Vergleichsskala einbringt, liegen die Balearen deutlich hinter dem Baskenland. Dort stehen einem Haushalt im Schnitt 16.338 Euro pro Jahr zur Verfügung, und mit 6,2 Punkten liegt die nordspanische Region noch vor Nordrhein-West­falen sowie nur knapp hinter Bayern.

Besonders mies fällt die OECD-Bewertung des Arbeitsmarktes auf den Balearen aus - die Daten zur Beschäftigung wurden auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise erhoben, als die Arbeitslosenquote bei 22,5 Prozent lag, die ­Beschäftigungsquote bei 60,4 Prozent. Die Lage hat sich inzwischen etwas gebessert - die Inseln dürften also bei der nächsten Auflage der Studie etwas mehr als die derzeit 2,1 Punkte holen. In diesem Bereich sind die Unterschiede zu deutschen Regionen auch am größten, vor allem Bayern spielt mit 9,7 Punkten in einer komplett anderen Liga.

International abgeschlagen sind die Balearen zudem im Bereich der Bildung, die OECD vergibt nur 3,9 von 10 möglichen Punkten. Grundlage sind in diesem Fall nicht Ergebnisse der Pisa-Studie, sondern der Anteil am sogenannten Erwerbs­personenpotenzial mit erfolgreich abgeschlossener Sekundarstufe. Auf Mallorca sind das nur knapp 55 Prozent. Die hohe Zahl der Schulabbrecher wird unter anderem damit erklärt, dass vielen Jugendlichen auf den Balearen die Aussichten auf einen schnellen Job im Tourismus verlockender erscheinen als Schule und Studium. Spanien­weit rangieren die Inseln auf einem der hinteren Plätze, und im Vergleich zu Deutschland fallen die Unterschiede riesig aus - Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise kommt auf 9,8 Punkte.

So ist denn auch nicht verwunderlich, dass die Regionen, die laut der OECD-Studie ein vergleichbares Wohlbefinden bieten, ganz woanders zu finden sind. Die meisten Übereinstimmungen gibt es mit anderen Insel-Regionen - vor allem mit Sardinien (Italien) und Kreta (Griechenland) - sowie mit Randregionen Europas: Mit den Balearen in Sachen Lebensqualität vergleichbar sind auch die Region Lissabon (Portugal) sowie der Nordwesten Irlands.

(Dieser Artikel erschien bereits in der Printausgabe der MZ im September vergangenen Jahres.)