Eigentlich kann man ihm schon jetzt nicht mehr aus dem Weg gehen in Petra. Junípero Serra, der sogenannte Gründungsvater Kaliforniens, ist allgegenwärtig in dem kleinen Dorf mit gerade mal 2.800 Einwohnern im Zentrum Mallorcas. Sein Antlitz prangt auf Keramikplatten und Plakaten von den Häusern, es gibt einen großen und einen kleinen Platz, die ihm gewidmet sind, genauso wie ein Museum und das Haus, in dem er aufgewachsen ist. Straßennamen erinnern an sein Werk: Carrer California, San Diego, Monterey, Sierra Gorda, Missions, Santa Barbara und natürlich Carrer de Fra Juniper Serra. Dort sind auf Keramik­tafeln die neun Missionsstationen dokumentiert, die er in Kalifornien gegründet hat. Die Straße verbindet das Convent, das Franziskanerkloster von Petra, mit dem Museum, das Serra gewidmet ist.

Am 23. September wird Junípero Serra nun auch noch in Washington von Papst Franziskus heilig gesprochen. Der Franziskaner wird damit nach Catalina Tomás der zweite mallorquinische Heilige.

Ein Reisebüro aus Felanitx bietet Reisen zu dem Großereignis an. Sechs Tage USA, mit Aufenthalten in Washington, New York und einem Besuch in Philadelphia. 2.730 Euro kostet das Gesamtpaket. Etwa 40 Menschen hätten sich schon für die Reise angemeldet, heißt es vom Veranstalter. Als Serra 1988 in Rom selig gesprochen wurde, lag die Zahl der anwesenden Mallorquiner im vier­stelligen Bereich. Aber das war auch näher.

Zur Person: Wer war Junípero Serra?

Einer, der auf jeden Fall nach Washington fliegt, ist Salvador Femenías. Er ist der neu gewählte Bürgermeister von Petra (Regional­partei Pi). Er werde mit seiner Frau zur Zeremonie fliegen und beeilt sich zu sagen, dass er die Reise selbst bezahlt. Femenías erhofft sich von der Heiligsprechung mehr Qualitäts- und Kulturtourismus. „Wir planen eine Tour durch Petra, die Serra mehr als internationale Figur denn als lokale Persönlichkeit präsentiert," sagt er. Allerdings seien die Planungen noch nicht weit gediehen, man sei ja auch erst seit kurzer Zeit im Amt. Auch ein großes Fest im Dorf sei geplant. Es sei eine große Ehre, dass ausgerechnet er der Bürgermeister Petras sei, der bei der Heiligsprechung im Amt ist. „Ich glaube, der pare Serra hat mitgeholfen, dass es dazu kommt."

Wer ins Elternhaus des Missionars will, besucht am besten Catalina Font. Die Sekretärin ist eine quirlige Frau, ein wandelndes Lexikon zu Junípero Serra, auch dank ihrer Recherchen zum 300. Jubiläum seiner Geburt vor zwei Jahren. Font hat den Schlüssel für das Haus, in das Serra als Kind mit den Eltern einzog. Es ist ein eher bescheidenes Gebäude. Es war lange nicht in Besitz der Familie des Missionars. Erst durch die Analyse von Familien­spitznamen in Dokumenten hat man herausgefunden, in welchem Haus er gewohnt hatte. Es ist schlicht eingerichtet und enthält alte Gegenstände, die einen Eindruck verschaffen, wie man im 18. Jahrhundert gelebt haben muss.

Am diesem Freitagmorgen sind Duff und Rikki Daniels aus Kalifornien zu Besuch in dem Haus. Sie wohnen in der Nähe von der Mission San Juan Capestrano, sind dort aufgewachsen, haben dort auch geheiratet. Duff ist in Santa Clara zur Uni gegangen, die High School ihrer Tochter ist nach Serra benannt. Mittlerweile haben sie die meisten der Missionen in Kalifornien gesehen. „Für uns ist es wie eine Pilgerfahrt, hier herzukommen", sagt Duff. Er erzählt, Serra sei in Kalifornien vor allem in der katholischen Community bekannt. Font begrüßt die Besucher herzlich, lässt sich mit ihnen foto­grafieren.

Sie bietet den Gästen an, sie zu dem Elternhaus zu begleiten, wo man klingeln muss, um das Museum aufgeschlossen zu bekommen. Die Kalifornier lehnen ab. Sie wollen weiter. Petra ist an einem Vormittag im Sommer nicht gerade ein belebter Ort. Die beiden wirken ein wenig verloren in diesen stillen engen Straßen, wo zur Mittagszeit höchstens mal eine Katze über die Straße läuft. Fast wäre es schade, wenn dieser familiäre Charakter verloren geht, sollten einmal mehr Touristen kommen, wie es sich die Stadtverwaltung vorstellt.

Und: Trotz der Verehrung in Petra und Kalifornien ist Serra nicht unumstritten. Amerikanische Ureinwohner reagierten Mitte Januar entsetzt auf die Ankündigung der Heiligsprechung. Serra habe ihre Vorfahren zwangskonvertiert, sie versklavt und durch eingeschleppte Krankheiten dezimiert. Die Heiligsprechung Serras sei die Heiligsprechung des Völkermords an den Ureinwohnern, hieß es. Auch soll Serras Statue aus dem Kapitol in Washington entfernt werden. Dort darf jeder US-Bundesstaat nur einen Menschen ehren. Serra soll durch die erste weibliche Astronautin und Gay-Aktivistin Sally Ride ersetzt werden.

Der Missionar bietet eine ausgezeichnete Projektionsfläche, je nachdem vor welchen Wagen er gespannt wird. Der eisenharte Mönch, der trotz einer nie verheilten Verletzung am Bein alle seine Reisen zu Fuß absolvierte. Der gebildete Christ, der in ein fremdes Land ging, um die sogenannten Wilden zu missio­nieren. Der böse Missionar, der Kulturen zerstörte und Krankheiten verbreitete. Ein Mallorquiner? Ein Spanier? Ein Kalifornier? Es ist diese Uneindeutigkeit, die Serra vereinnahmbar macht. Und dadurch auch problematisch.

In Petra ist diese Ambivalenz greifbar wie wahrscheinlich an wenigen anderen Orten. Immer wieder hört man von Verehrern Serras, in Petra gebe es viele Gegner des Missionars. Nur: Diese Menschen trifft man nicht so leicht. Und wenn doch, wollen sie kaum reden. Ein junger Mann sagt, er wolle kein Foto mit dem Abbild Serras machen. Es sei, wie einen Barça-Fan zu bitten, mit einem Real Madrid-Trikot zu posieren. Was er an Serra auszusetzen habe? „Ich muss weiter, danke."

Ein Ladenbesitzer erzählt, er habe nach einem harmlosen Witz über den Missionar Besuch von besorgten Verwandten bekommen, die ihm nahelegten, solche Sprüche zu unterlassen, wenn er sein Geschäft nicht ruinieren wolle.

Die Angst, schlecht dazustehen, ist offenbar groß. Mit Junípero Serra legt man sich nicht an. Unabhängig davon, ob man der historischen Figur wirklich Verbrechen gegen die Ureinwohner Kaliforniens vorwerfen kann oder nicht. Man kann den Serra-Anhängern kritische Fragen stellen, sie werden aber umgehend abgetan. Schnell sind Werke von Historikern und anderen Wissenschaftlern zu Hand, die dem mallorquinischen Geistlichen ein ausgezeichnetes Zeugnis ausstellen. Die Kritiker seien schlecht informiert, heißt es. Die Verfolgung der Ureinwohner in Kalifornien sei weit nach Serras Zeit geschehen, argumentierte etwa unlängst in einem Interview der mexikanische Anthropologe Rubén Guzmán. Viele der Gesprächspartner haben eine Anekdote aus der Vita von Serra zur Hand, die belegt, was für ein guter Mensch er war.

Oder es wird ausgeteilt. Am vergangenen Montagabend ist Tummy Bestard in Petra. Er war über vier Jahrzehnte US-Konsul auf den Balearen und ist seit ein paar Jahren Präsident der Associació d´Amics de Fra Juníper Serra, dem Verband der Freunde von Serra. Tummy Bestard ist seit vielen Jahren so etwas wie die treibende Kraft hinter der Serra-Verehrung. Er spricht vor mexikanischen Studenten, die in Petra die Geschichte des Missionars erkunden. Einer der Studenten fragt, wie man denn die Proteste von Ureinwohnern wahrnehme, die sich gegen eine Heiligsprechung stellen. Bestard schafft es, in wenigen Sätzen sowohl Serras respektvollen Umgang mit den Indianern herauszustellen als auch zu betonen, die heute protestierenden Ureinwohner seien nicht richtig im Kopf.

Etwa vier Kilometer außerhalb von Petra befindet sich eine gut versteckte Finca. Weit hinten, am kleinen Haus vorbei, das in weiten Teilen noch wie zu Anfang des 20. Jahrhunderts erhalten ist, beginnt ein ganz besonderer Garten: Dort stehen maßstabsgetreu Miniaturen der 21 kalifornischen Missionen, die Serra, sein Nachfolger Fermín Lasuen und einige andere Missionare an der nordamerikanischen Westküste errichtet haben.

Wenn man so möchte, hat sich der 85-jährige Joan Gomila hier, in diesem verwilderten Paradies, sein Lebenswerk errichtet. Als Kind hatte ihm seine Mutter von Serra erzählt, er sei sofort begeistert gewesen. Erst im Alter konnte er nach Mexiko und in die USA reisen. Wie lange er an den Miniaturen gearbeitet hat, weiß Gomila nicht so richtig zu sagen. Er hat alleine gearbeitet, mit Zement und Fotos, Plänen sowie eigenen Zeichnungen. „Ich wollte nie Profit daraus schlagen. Ich habe das nur für mich und meine privaten Besucher gemacht." Das wird sich wohl auch nach dem 23. September nicht ändern.

Ein Stück weiter hat er in einem kleinen Bau sein „Museum" errichtet, wie er es nennt. Einen kleinen Raum, eine Mischung aus Schrein und Fotoalbum. Dort hängen Bilder von den Missionen und Dokumente von Gomilas Reisen auf den Spuren des Franziskanermönchs, der auszog, um den amerikanischen Ureinwohnern Christentum und Zivilisation zu vermitteln. Sempre endavant, mai enrera (immer voran, niemals zurück) sei sein Motto gewesen. Gomila rezitiert diese Worte mit einer solchen Inbrunst, die einen spüren lassen, welche Bedeutung dieser lang verstorbene Mönch für manche Bewohner dieses Dorfes hat. Ein Held, ein Vorbild. Auch wenn es bei einigen eher pragmatische Gründe für die Bewunderung zu geben scheint. „Natürlich finde ich Junípero Serra gut", sagt Barbara Vidal, eine Anwohnerin. „Ich bin doch aus Petra."