Es gibt dieses eine Bild. 1988. Mein Bruder und ich stehen mit unserem mallorquinischen Opa auf diesem kleinen Stück Land zwischen Petra und Sant Joan. Es war für ihn sein Heiligtum. Der Ort, an dem er der Mann war, der er sein wollte. Er gießt mit uns die Pflanzen. Mein Bruder und ich tragen Lederhosen. Das ist absurd. Bayern, oder für was auch immer diese eher bizarren Hosen stehen, war für uns damals so weit weg wie Sex auf einer Clubtoilette.

Es muss wenig später gewesen sein, dass mein Opa uns aufforderte, ihn mit padrí anzusprechen, das katalanische Wort für Großvater. Und er legte uns zumindest nahe, auch den Rest der Wörter auf Mallorquinisch umzustellen. Das war schwierig. Meine Mutter ist Mallorquinerin, mein Vater Deutscher. Zu Hause sprachen wir Spanisch, auch wenn beide perfekt català können. Dass wir nun mit unserem Großvater Katalanisch sprechen sollten, hatte zur Folge, dass wir kaum noch mit es padrí sprachen.

Meine Mutter sagt an dieser Stelle bestimmt, dass das halbwegs erfunden ist. Dass mein Opa nicht mehr mit uns geredet hat, weil er krank war. Ein Hirnschlag hatte ihm dem Tod näher als dem Leben gebracht. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß aber, dass schon damals dieses Gefühl in mir existierte: Diese Sprache nicht zu können, stellt eine Grenze dar.

Es gibt auch noch diese andere Geschichte. Meine Tante erzählt sie gerne. Es war das zweite Mal, dass ich auf Mallorca war, mit anderthalb. Ich hörte zum ersten Mal bewusst meine Mutter diese Sprache sprechen. Ich muss ein Gesicht gemacht haben, als ob sie sich in einen motorisierten Apfel verwandelt hätte. „Mami, ¿cómo hablas?", soll ich entsetzt gefragt haben.

Der Opa war längst nicht der Einzige, der wollte, dass diese blonden Kinder, die untereinander Deutsch sprachen, sich dem català widmeten. „Wenn du Mallorquiner sein willst, musst du auch Mallorquinisch lernen", hieß es immer wieder. Das klang einleuchtend. Nicht, dass ich mich erinnere, jemals den Wunsch, Mallorquiner zu sein, explizit geäußert zu haben. Aber immerhin hatte ich nun eine Anleitung.

Ein paar Jahre lang schickten uns unsere Eltern im Urlaub in die Schule in dem kleinen Dorf im Pla von Mallorca. Damit wir Freunde in unserem Alter finden. Kontakte knüpfen. Auch hier zeigte sich, dass die Lingua Franca bei uns zu Hause nicht gerade clever gewählt worden war. Zwar konnten alle Kinder Spanisch, aber untereinander war es für sie sehr anstrengend, die Sprache zu wechseln, nur weil wir sie nicht konnten. Es blieb bei wenigen Versuchen.

Ich war zwölf, als ich beschloss, die Sprache zu lernen. Es war wie ein Klick in meinem Kopf. Plötzlich merkte ich, dass ich doch recht viel verstand. Was vorher ein undurchdringliches Meer an ­Lauten war, machte plötzlich Sinn. Ich selbst konnte nicht viel sagen. Das kam erst mit den Jahren. Üben, üben, üben. Immer wieder korrigiert, immer wieder ausgelacht werden. Manche Leute schreckt das ab. Vor allem die Witze. Der mallorquinische Humor ist sehr viel expliziter, sehr viel böser, sehr viel direkter. Aber das gehört dazu. Und man wird den Humor sowieso nur meistern, wenn man die Sprache kann und selbst so oft einen drauf bekommen hat, bis man weiß wie es geht.

In Deutschland gibt es eine komische Unterteilung zwischen den Sprachen, zumindest habe ich diese Erfahrung gemacht: produktive Sprachen und nicht-produktive Sprachen. Spanisch ist Champions League, Welt­sprache, Vamos a la Playa, Olé. Katalanisch ist: „Kann man das zu irgendwas brauchen?"

Ein bizarrer ­Effizienzgedanke, der dann häufig genug im Südamerika-Argument kulminiert. Das geht so: „Mit Spanisch kann ich aber nach Südamerika." Sehr witzig. Ich habe keine empirischen Daten, aber ich bin mir im tiefsten Herzen sicher, dass keiner dieser Menschen jemals nach Südamerika gefahren ist. Ich schon. Ich war dankbar dafür, Spanisch zu können. So wie ich hier dankbar bin, Katalanisch zu können. Nutzen ergibt sich aus deinem eigenen Leben. Nicht aus der Anzahl der Menschen, die eine Sprache sprechen.

Was ich in Spanien nicht begreife, ist dieser Hass. Das „Hört auf zu bellen", „Sprecht christlich". Dieses Land verschleudert sein kulturelles Erbe für ein wenig zentralistisches Tamtam. Für den Gedanken einer großen Nation. Vielfalt wird nicht geschätzt, sie wird unterdrückt. Auf politischer wie auf privater Ebene.

Ich bin beispielsweise im vergangenen Jahr für meine Sprache angefeindet worden. Pressereise in Glasgow. Der Korrespondent von „El Mundo" fragte mich, wieso ich Spanisch kann. Ich sagte ihm, meine Mutter sei aus Mallorca. „Na dann sei froh, dass sie dich nicht gezwungen hat, Katalanisch zu lernen." Ich sagte: „Das kann ich auch." Es folgte eine 15-minütige Hasstirade auf alles Katalanische. Ich hab nicht viel gesagt. Manche Menschen erleben diese Anfeindungen jeden Tag.

Bald soll mein Neffe ge­boren werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn er Katalanisch lernt. Damit er, wenn er hier ist, mit den anderen Kindern spielen kann. Um ihm die ganzen grandiosen Schimpfwörter beizubringen, die so viel besser sind als in allen anderen Sprachen. Und damit er weiß, dass er auch hier zu Hause ist. Auch wenn er sich manchmal dumme Kommentare von irgendwelchen rechten Spinnern anhören muss. Spanisch kann er dann immer noch lernen. Wenn er nach Südamerika will. Was ich ihm sehr empfehle.