Am Ortsrand von Sineu sind an diesem Mittwoch (7.10.) um halb zehn nur einzelne Passanten unterwegs, doch sie laufen alle eindeutig in dieselbe Richtung: gen Markt. Eine deutsche Familie mit zwei Söhnen im Grundschulalter ist darunter. „Nur mittwochs ist hier viel los", sagt die Mutter zu den beiden Jungen. Die Werners kommen aus Düsseldorf und besuchen regelmäßig Freunde in Sineu. Sie wollen zu den Ständen mit lebenden Tieren: „Die gefallen den Kindern so gut." Im Sommer besuchen jeden Mittwoch etwa 6.000 Menschen den Markt von Sineu. Das Dorf selbst hat nur knapp 3.700 Einwohner.

Seit mehr als 700 Jahren, den Quellen nach erstmals 1306 unter Jaume II, versammeln sich Inselbewohner und Besucher in Sineu, um mit allerlei Getier und Waren zu handeln. Internationale Reiseführer empfehlen den Markt vor allem wegen des Viehhandels als Attraktion. Nur: Tiere, Mallorquiner und Kunsthandwerk haben auf dem Markt schon lange Seltenheitswert. „Als ich vor 20 Jahren hierher gezogen bin, haben die Bauern hier noch Schafe durchgetrieben, es gab Esel und Maultiere. Heute ist der Markt zu 80 Prozent für Pauschal- und Bustouristen ausgelegt", sagt ein Deutscher, den hier alle nur als „Esel-Stefan" kennen und der seinen Nachnamen nicht nennen will. Seit 15 Jahren hilft er beim Pony­reiten aus und verkauft ein paar Meter weiter traditionelle Körbe und anderes mallorquinisches Flechtwerk, das in Marokko gefertigt wird. „Das macht hier keiner mehr, zu aufwendig", sagt er.

Chris Bartels teilt seine Skepsis. Seit 23 Jahren betreibt sie einen Antiquitätenladen in unmittel­barer Nähe. Das Geschäft mit alten Lampenschirmen und traditionellen Kacheln läuft mittwochs nicht besonders gut: „Das ist nicht mein bester Tag", sagt sie. „Residenten und der gehobene Tourismus kommen nicht, weil es ihnen zu voll ist und die Bustouristen lassen kein Geld im Dorf. Die buchen einen Ausflug und von tausend trinken vielleicht hundert einen Kaffee."

Bartels hat noch eine andere Erklärung dafür, dass das Geschäft sich verändert hat: die Gepäck­bedingungen der Fluglinien. „Die Leute fragen nicht mehr ´Was kostet das?´, sondern ´Was wiegt das?´", sagt sie. Vor Kurzem blieben ihre Ladentüren an einem verregneten Mittwoch ganz geschlossen. Bartels dachte, auch auf dem Markt würde es ruhiger zugehen. Als sie gegen 11.30 Uhr am Bahnhof vorbeikam, wurde sie eines Besseren belehrt: „Die Busse standen in zwei Reihen: Hintern an Schnauze, Schnauze an Hintern - ein Albtraum. Und raus kamen frierende Touristen in T-Shirts und Sandalen."

Später lobt einer der Busfahrer, dass außerhalb des Dorfs ausreichend Parkplätze eingerichtet worden sind. Auch er aber sagt: „Wenn es noch mehr Busse würden, wüssten wir nicht mehr, wo wir parken sollten." Überhaupt kommen in Sineu immer mehr Menschen Bedenken, ob das so weitergehen kann. Selbst Magdalena Genovart, seit wenigen Monaten die zweite stellvertretende Bürgermeisterin des Ortes, sagt: „Der Markt ist derzeit sehr überlaufen."

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Zurück auf dem Markt drängen sich um kurz nach zehn Uhr in den engeren Gassen bereits die Besucher. An einem Stand mit Pluder­hosen erklingt Celine Dion mit Panflöte, herber Ledergeruch liegt in der Luft. An der nächsten Ecke belagern vor allem deutsche Einkäufer einen Schmuckstand. Hier verkauft Anna Blöcker seit 17 Jahren silberne Ringe und Anhänger mit eingefassten Edelsteinen. „Der erste Weg führt uns immer hierher", sagt ein Mann, während seine Frau ihre Einkäufe verstaut. Anna Blöcker spricht direkt Deutsch mit ihren Kunden. Sie ist die Einzige, die in diesem Bereich Kunsthandwerk anbietet. Die wenigen anderen Kunsthandwerk-Stände sind umgezogen oder kommen gar nicht mehr zum Markt.

Einen Steinwurf entfernt beginnt die Vergnügungsmeile und das, was vom Viehmarkt geblieben ist: Auf einer Strecke von etwa 50 Metern rechts und links ein paar Stände mit Hühnern und Vögeln, mit denen tatsächlich gehandelt wird, dazwischen Käfige mit ein paar Alibi-­Ziegen und einem Esel. Das Gedränge ist groß, die Auslöser der Kameras klicken im Takt. Eine Ziege hat sich ins hinterste Eck des Geheges zurückgezogen und schaut skeptisch bis apathisch drein.

Carmelo Magaño hat am größten Federviehstand gerade für 25 Euro einen Hahn und drei Hühner gekauft. Der Händler steckt den stolzen Gockel in eine Pappkiste und stellt ihn für Magaño beiseite.„Hauptsächlich kaufen Mallorquiner, ab und zu aber auch ausländische Residenten", sagt der Verkäufer. Gegenüber hat Miguel Roca über Hühnern und Kanarienvögeln ein Schild aufgehängt: „Vendo burrito, pony, perro" (Verkaufe Esel, Pony, Hund). Er züchtet Rassehähne und ist erst seit ein paar Monaten dabei. „Der vorige Bürgermeister und ich haben das als gegenseitigen Gefallen ausgemacht: Ich zeige meine Hähne, und auf dem Markt gibt es ein paar Tiere mehr." Das Schild habe er für den Fall der Fälle aufgehängt. Er selbst habe zwei Esel, Freunde ein paar Hunde. Die durften früher auch mit auf den Markt, heute ist das verboten.

„Als ich jung war, gab es hier sehr viele Tiere. Mit den vielen Auflagen wurden sie immer weniger", sagt Roca. Die Tiere müssen einen Chip tragen, ordnungsgemäß geimpft sein, und der Besitzer muss die Papiere mitführen. Dass das dem Markttreiben nicht zuträglich ist, das ist Magdalena Genovart bewusst. Daran sei aber nichts zu ändern: Die Gesetze wurden teils auf Balearen-, teils auf EU-Ebene erlassen. „Wir können den Markt leider nicht mehr zu dem machen, was er einmal war," sagt sie. Das Rathaus setze sich dafür ein, dass möglichst viele Tiere auf dem Markt zu sehen seien - mehr, um diese zu zeigen, als sie zu verkaufen.

An diesem Mittwoch tritt trotzdem der unwahrscheinliche Fall der Fälle ein: Eine Frau fragt Roca, ob der Esel im Gehege nebenan zu verkaufen sei. Anke Donner kommt aus Hamburg und sucht im Namen einer Freundin. Der Esel nebenan gehört Roca nicht, aber zu Hause hat er zwei Jungtiere für je 250 Euro. Das fröhliche Feilschen beginnt, die Reporterin wird zur Dolmetscherin umfunktioniert. „Sagen Sie ihr, dass es auf Mallorca nicht viele Esel gibt", sagt Roca. „Meine Freundin will aber nur 200 Euro zahlen", kontert Donner. Am Ende einigen sich die beiden auf die logische Lösung, dass Donners Freundin doch selbst entscheiden und sich bei dem Hühner­züchter melden soll.

Ein paar Meter weiter grinst ein Urgestein des Markts von Sineu von einer Bank aus fröhlich in die Menge: Bartomeu Torres ist der Experte für alles, was mit dem schwarzen ­Mallorca-Schwein zu tun hat. „Der Markt ist der einzige in ganz Spanien, auf dem man Ferkel bis 25 Kilo mitbringen darf", sagt er. Während der Sommerferien trifft man Torres jeden Mittwoch inmitten einer kleinen Schweineherde an, aber nicht, weil er die Tiere verkaufen möchte. „Ich mache das vor allem für die Kinder. Und weil alle Fotos machen und es so auf der ganzen Welt Fotos vom schwarzen Mallorca-Schwein gibt", sagt der 66-Jährige, der seit mehr als 30 Jahren auch Vorstand des Züchterverbands ist und seit 25 Jahren mit seinen Tieren zum Markt kommt.

Inzwischen ist es etwa 13 Uhr. Auf dem Weg zum Bahnhof verkauft mJuanito aus Campos selbstgemachte Gürtel. Einen passt er gerade an Frank Weiland aus Nürnberg an. „Das ist Original und kein Ramsch, den man auch im Katalog kaufen kann, das will ich unterstützen," sagt Frank Weiland. Die Besucher schlendern zu ihren Bussen zurück. Nur wenige haben Tüten in der Hand. „Etwa 20 Prozent kaufen etwas", sagt der Busfahrer Hugo Díaz. Am Bahnhof sitzt eine Gruppe deutscher Radtouristen auf einer Bank. Ein Mann blättert in seinem Reiseführer. „Wo war denn der Viehmarkt?", fragt er. Die Radler aus Lippe haben den kleinen Bereich mit den Tieren schlichtweg verpasst. Nebenan geht es Busreisenden aus Frankfurt ganz ähnlich: „Wir dachten, es wäre ein Bauernmarkt", sagt ein Mann, seine Frau ergänzt: „Die Vielfalt fehlt. Es gibt Taschen und Schmuck und dann hört´s schon auf. Kunsthandwerk gab es gar nicht."

Magdalena Genovart denkt ganz ähnlich: „Das Angebot in Sineu unterscheidet sich nicht von dem anderer Märkte, es gibt überall dasselbe," sagt sie. Die zweite Bürgermeisterin will künftig wieder mehr auf Kunsthandwerk setzen.

Den Besuchern aus Frankfurt war es vergangenen Mittwoch auch einfach zu voll. Zumindest das wird sich ab November vorübergehend von selbst ändern. „Dann ist hier kaum noch was los", sagt Esel-Stefan. Bis in den Pfingstferien die Busse wieder in Sineu einrollen.