Um Junípero Serra kommt in Kalifornien niemand so leicht herum. Sogar beim Baseball, dem amerikanischen Nationalsport, hat der als Gründervater des amerikanischen Staates bekannte Franziskanermönch aus dem mallorquinischen Dörfchen Petra seinen Platz gefunden. Der Profi-Club San Diego Padres, benannt nach den spanischen Missionaren, hat den eisenharten Katholiken als Maskottchen ausgewählt. Vor und während der Partie animiert ein überdimensionierter Junípero Serra in blauer Mönchskutte die Massen. Und das über 230 Jahre nach seinem Tod.

So etwas wäre in seiner Heimat Petra undenkbar. Dort wird der religiöse Streiter ganz nüchtern mit einem wenig aufregenden Museum geehrt. Immerhin: Zur Heiligsprechung durch den Papst am kommenden Mittwoch (23.9.) in Washington gibt es in der Kirche des kleinen Ortes in der Inselmitte ein Public Viewing.

Wer mit Menschen in Kalifornien spricht, merkt schnell, wie präsent der 1713 geborene Franziskaner immer noch ist. Bestes Beispiel: Jeder Viertklässler des Sonnenstaates beschäftigt sich eine Woche lang nur mit dem Thema Missionen und Serra. Und auch im Alltag begegnet der Mallorquiner immer wieder den Menschen, wie die mallorquinische Schülerin Carolina Orts berichtet, die im Frühjahr dieses Jahres auf den Spuren Serras wandelte. Gemeinsam mit ihrer Geschichtslehrerin Catalina Font, Vizepräsidentin der Associació d´Amics de Fra Juníper Serra auf Mallorca und eingefleischte Verteidigerin des Mönchs, besuchte Orts Plätze in Amerika, an denen Serra wirkte.

Und dabei ist sie nicht nur in den Missionen und beim Baseball dem Heiligen in spe über den Weg gelaufen. „Es war schon witzig, durch Los Angeles oder San Diego zu spazieren und immer wieder in privaten Gärten Statuen von Serra zu entdecken", erzählt die Schülerin der MZ. Auch gebe es in vielen Orten Straßen oder Plätze, die nach Junípero Serra benannt seien. Und nicht zu vergessen, mehrere renommierte High Schools in Kalifornien haben sich den Namen des Franziskanermönchs gegeben.

Wie nachhaltig Lehrerin Font in ihrem Unterricht Überzeugungsarbeit leistet, berichtet Orts in mehreren E-Mails. Die Schülerin schreibt davon, wie sehr sie sich durch das, was Serra getan habe, selbst dazu ermutigt fühlte, Dinge in die Hand zu nehmen und umzusetzen. „Serra ist mein Vorbild, dem ich folgen will", schreibt Orts, die nun auch in Kalifornien studieren möchte.

Das ist die eine Seite der Serra-Perspektive. Die positive, die des Machers, des guten Vaters für die Eingeborenen, der sie fürsorglich in den Missionen aufnahm und sie zu guten Christen machte. Diese Sichtweise war in Kalifornien lange Zeit verbreitet, ohne dass sie jemand ernsthaft anzweifelte. Doch in den vergangenen Jahren hat das Image von Serra Risse bekommen. Das Bild hat sich, wenn nicht komplett gewandelt, dann doch deutlich relativiert.

„Wir haben heute eine viel realistischere Vorstellung von dem, was Serra in Kalifornien wirklich getan hat", erzählt Geschichtslehrer Raul Almada am Telefon. Der Sohn eines Mexikaners und einer Amerikanerin unterrichtete 16 Jahre lang Viertklässler in Geschichte. Inzwischen ist er Seminarlehrer, hat sein Wissen über den Missionar aber über die Jahre weiter vertieft.

Einen Großteil seiner Recherchen hat Almada beim Historiker Steven Hackel angestellt. Der US-Amerikaner veröffentlichte 2013 eine ausführliche und sehr fundierte Biographie über Serra. Dort räumte er unter anderem mit dem Bild Serras als Gutmensch auf. „Als ich selbst Viertklässler war, wurde uns erklärt, dass er ein vornehmer und gütiger Mann war und seine Missionen eine Art Rückzugsort, beinahe ein Paradies für die Urbevölkerung waren", sagt Hackel im Gespräch mit der MZ. „Über das Leben der indianischen Ureinwohner haben wir so gut wie nichts gelernt."

Inzwischen würden Missionen hauptsächlich als Orte gesehen, an denen die Indianer zu einem anderen Leben gezwungen wurden. Sie mussten das aufgeben, was sie vorher lebten. „Natürlich gibt es trotzdem Leute, die das als positiv verteidigen, und andere, die meinen, es sei negativ und schrecklich für die Indianer gewesen, die bei den kleinsten Verfehlungen hart bestraft wurden."

Dass es so lange gedauert hatte, bis man sich auch kritisch mit der Personalie Serra auseinandersetzte, dürfte zum Großteil daran liegen, dass der Franziskaner hauptsächlich in der Grundschule ein Thema war. Und bei zehn- bis elfjährigen Kindern sei es schwierig gewesen, das Thema auch von einer kritischen Seite zu beleuchten, sagt Almada. „Da geht es zum Großteil darum, zu erklären, wie idyllisch das Leben früher war. Man besucht dann mit den Kindern eine Mission und baut ein Modell davon im Unterricht nach."

Seiner Meinung nach nimmt das Thema Missionen und Serra, der stellvertretend für diese Zeit hauptsächlich behandelt wird, zu viel Raum ein. „Das besprechen wir eine Woche lang, und für den Goldrausch, der meiner Ansicht nach für die Entwicklung Kaliforniens wichtiger war, haben wir dann nur drei Tage Zeit."

Trotzdem kämen die meisten Kalifornier nach der 4. Klasse mit Serra und den Missionen gar nicht mehr direkt in Berührung - außer, sie haben Kinder, sagt Hackel. Sichtbar sei der Einfluss der Missionen aber vor allem an anderer Stelle: Die Architektur bedient sich gerne der für das 18. Jahrhundert typischen Bauweise. Es gebe sogar eine ganze Reihe von McDonald´s-Filialen oder Tankstellen, die architektonisch sehr eng den Missionen nachempfunden seien, erzählt Almada.

Die bevorstehende Heiligsprechung habe Serra wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Amerikanische Medien berichteten in epischer Breite, auch wenn offenbar keine großen Feierlichkeiten geplant sind. „Man kann kein Riesen­spektakel auf die Beine stellen. Zu kontrovers wird Serra inzwischen betrachtet", gibt Almada zu bedenken. „Seine Heiligsprechung ist schon etwas eigenartig für uns." Steven Hackel vermutet gar politische Gründe, einen geschickten Schachzug des Papstes: „Das war sehr clever, denn so postuliert die katholische Kirche in Kalifornien wieder einen gewissen Geschichtsanspruch - in einer Region, in der ihr Einfluss dramatisch abgenommen hat."

Trotzdem: Obwohl zahlreiche Indianervereinigungen die Heiligsprechung von Junípero Serra scharf kritisierten, genießt der Missionar offensichtlich noch weit verbreiteten Rückhalt in der Bevölkerung. Eine Petition, die sich dafür ausspricht, seine Statue im Kapitol in Washington beizubehalten, unterzeichneten im vergangenen Mai innerhalb von zwei Wochen mehr als 50.000 Menschen. Die Gegner von Serra bekamen in dieser Zeit gerade einmal 6.000 Unterschriften zusammen.