Es geistert wieder über die Insel, das Gespenst, das Veranstalter, Reisende und die Regierung so sehr fürchten. Die Zeichen stünden auf overbooking, Überbuchung, heißt es in den Medien. Kein Wunder: Den Balearen, besonders Mallorca, steht eine Rekordsaison bevor. Bis Ende Oktober soll der Flughafen in Palma 26,4 Millionen Passagiere abfertigen, 4,3 Millionen mehr als noch im Vorjahr. Solche Zahlen lassen zwar den gesamten Tourismussektor frohlocken. Manche fürchten aber auch, dass die Kapazitäten womöglich gar nicht reichen, ja, dass vielleicht hier und da sogar mehr Betten verkauft werden, als eigentlich zur Verfügung stehen. Überbuchung - das könnte viel Frust und Kummer nach sich ziehen.

Das Schlagwort overbooking stammt aus den 70er- und 80er-Jahren. Damals passierte es regelmäßig, dass Urlauber vor ihrem gebuchten Hotel standen - und dort kein Platz mehr für sie war. Sie mussten dann kurzerhand woanders hingekarrt werden, womöglich ans andere Ende Mallorcas. Oder gar auf eine Nachbarinsel oder aufs spanische Festland. „Mallorca gebucht? Viel Spaß auf Ibiza", titelte noch am

1. August 1991 die „Bild"-Zeitung.

„Das Informationsmanagement war nicht gut", erinnert sich Wolfgang Graf Pilati, ehemaliger TUI-Gebietsleiter für die Balearen. Es habe oft Ärger gegeben, weil sich Kunden uninformiert fühlten. „Dabei wurden sie vielleicht in einem luxuriöseren Hotel untergebracht, als sie gebucht hatten", sagt Pilati. „Da passten sie aber manchmal gar nicht hin und haben sich dementsprechend unwohl gefühlt."

Das Angebot an Hotelbetten und die Nachfrage nach Urlaub zusammenzubringen, ist ein kompliziertes, von vielen Unwägbarkeiten gezeichnetes Geschäft. Reiseveranstalter und Hoteliers müssen sich mit großem Vorlauf - meist ein Jahr - auf Bettenkontingente, Preise und Rabatte einigen. Bis die Urlauber dann wirklich an der Rezeption stehen, kann vieles passieren, können Buchungen besser oder schlechter laufen, werden weitere Betten gekauft oder auch wieder abgetreten, wird nachverhandelt.

Von handgeführten Listen €

In den Zeiten vor dem Siegeszug des Internets war diese Abstimmung überaus mühselig: „Die Listen mit den Belegungszahlen der Hotels wurden noch auf Papier geführt und mussten ständig abgeglichen werden", erinnert sich Tourismusexpertin Heike Genschow, die jahrelang mit der Riu-Kette zusammenarbeitete und heute unter anderem die Viva-Hotels berät. Reiseveranstalter und Hoteliers kommunizierten per Fax und Telefon, und das bei instabilen Leitungen häufig eher schlecht denn recht. Auf diese Weise wurden nicht nur die deutschen Kontingente verwaltet, sondern auch die aus Benelux, England und Spanien, mit jeweils unterschiedlichen Buchungs­gewohnheiten. Fehler, die overbooking nach sich ziehen konnten, waren da schnell geschehen. Hinzu kam, dass Veranstalter aller Herkunftsländer vorrangig die Hochsaison belegten, für die unbelegten Zimmer in Vor- und Nachsaison aber nicht bezahlten.

All dies begünstigte das systematische overbooking seitens der Hoteliers. Die Überbuchungsrate habe damals regelmäßig bei 20 bis 30, teilweise sogar bei 50 Prozent der Betten gelegen, erinnert sich Wolfgang Graf Pilati. „Wir sprechen hier von einer Zeit, in der die Preise für die Betten sehr niedrig waren", erzählt Francisco Marín vom Hoteliersverband an der Playa de Palma. Der Gewinn für die Hoteliers hielt sich in Grenzen. „Um die Marge zu erhöhen, versuchte man, so viele Betten wie möglich zu verkaufen - auch dann, wenn man sie am Ende gar nicht hatte", so Marín. Das sei auch deswegen möglich gewesen, weil es lange Zeit keine Kontrollen seitens der Regierung gegeben habe.

Die Situation pendelte sich Ende der 90er-Jahre ein. „Die Hoteliers zogen die Preise an und die Belegung in der Hauptsaison stabilisierte sich einigermaßen", sagt Marín. Für die Hoteliers habe es sich „auch wegen der Entschädigungen, die bei overbooking fällig wurden", nicht mehr gerechnet, mehr Betten zu verkaufen als zur Verfügung standen.

Auch Wolfgang Graf Pilati hat die Erfahrung gemacht, dass es die Hoteliers im Laufe der Jahre und mit wachsender Beliebtheit der Insel nicht mehr nötig hatten, ihre Hotels zu überbuchen. „Hinzu kommt, dass viele Veranstalter dazu übergegangen sind, den Hoteliers ein Kontingent zu garantieren", erklärt Pilati. Will heißen, sie verpflichten sich, bis zu einem gewissen Anteil auch für nicht belegte Betten zu zahlen. Oder aber, auch das ist ein Trend, die Veranstalter legen sich selbst Hotels zu und sichern sich damit die Betten.

€ zur Vernetzung in Echtzeit

Vor allem aber ist man heute, dem Internet sei dank, in Echtzeit vernetzt. Hoteliers und Veranstalter nutzen online sogenannte Bettenbörsen oder channel manager, über die praktisch alle Buchungen fließen. „Wir können heute genau verfolgen, wie viele Kapazitäten in den kommenden Monaten wo zur Verfügung stehen", sagt Heike Genschow.

Auch für Toni Munar, dem ehemaligen Leiter der Tourismusbehörde Inestur, ist die systematische Überbuchung nunmehr so gut wie undenkbar. Allerdings sei das nicht nur den Kommunikationstechnologien geschuldet. „Weder Reiseveranstalter noch Hoteliers können es sich leisten, dass die Kunden unzufrieden sind", sagt er. Die Urlauber seien sich heute ihrer Rechte viel mehr bewusst als früher und nähmen sich schnell mal einen Anwalt. Und sie machten ihren Unmut über die Missstände auch öffentlich - mit potenziell verheerenden Auswirkungen aufs Geschäft.

Und so wird normalerweise nur noch in ganz geringem Umfang überbucht: Mit zwei bis drei Prozent overbooking komme man als Hotelier gut zurecht, sagt Francisco Marín von der Hoteliersvereinigung an der Playa de Palma. Das ist dann kein Betrug, sondern vorausschauendes Handeln: Schließlich kommt es immer wieder vor, dass Urlauber ihre Reise aus verschiedenen Gründen nicht antreten können.

Ansonsten gibt es diese Saison keinen Spielraum mehr für zusätzliche Buchungen. „Es werden nicht alle nach Mallorca kommen, die nach Mallorca wollen", hat TUI-Chef Fritz Joussen schon vor einigen Wochen gewarnt. „Juni, Juli und August haben die Veranstalter unsere Bettenkontingente so gut wie ausverkauft", sagt auch Heike Genschow. Dass es das eine oder andere schwarze Schaf geben könnte, das mit overbooking versucht, noch ein paar Euro mehr zu verdienen, mögen weder sie noch Toni Munar ausschließen. Die Regel aber wird es kaum sein. Im Mallorca-Geschäft haben in den vergangenen Jahrzehnten alle hinzugelernt.