Ein schweres Gitter liegt auf dem Brunnenschacht. Doch wer sich herunterbeugt und wartet, bis sich die Augen an die Dunkelheit in der Tiefe gewöhnt haben, kann ganz unten im Wasser des Pou Poal in der Gemeinde Binissalem sein Spiegelbild erkennen. „Und das jetzt Anfang September, nachdem es monatelang praktisch nicht geregnet hat", sagt Bernat Fiol, Vorsitzender der Natur- und Denkmalschutzvereinigung Gadma.

Fiol kennt hier praktisch jeden Stein, freiwillige Helfer haben unter Anleitung eines Archäologen den mittelalterlichen Brunnen restauriert, aber auch das gesamte Gelände mit einer Wasserleitung (acequia) und den umfassenden Mauern des Grundstücks direkt an der Bahnlinie hergerichtet. Es ist der inzwischen vierte Brunnen auf Mallorca, dessen sich Gadma angenommen hat, und er ist etwas ganz Besonderes, wie Fiol erklärt. Neben dem rechteckigen Schacht stehen zwei schmale, mannshohe Steinblöcke. Die mechanische Vorrichtung, die darauf ruhte, muss man sich heute vorstellen: Der Schöpfeimer hing an einem Schwingbaum, einer Stange mit Gegengewicht, die das Wasserschöpfen erleichterte.

So stolz, wie Fiol auf den restaurierten Pou Poal ist, so sehr ärgert ihn, dass die große Mehrheit der Brunnen auf Mallorca in Vergessenheit geraten ist, zerfällt oder gar zur Müllhalde umfunktioniert wurde. Dem 58-Jährigen geht es dabei nicht um historische Steine auf dem Dorfplatz, die sich nachts schön beleuchten lassen, sondern um Symbole aus einer Zeit, als die Insel mit dem knappen Gut Wasser noch umzugehen wusste und die Mallorquiner die von Römern und vor allem von den wüstenerprobten Arabern eingeführten Techniken über Jahrhunderte bewahrten und verfeinerten.

Stiefkind des Denkmalschutzes

Dass die Brunnen bislang eher ein Stiefkind des Denkmalschutzes sind, erklärt Mitarbeiter Toni Lozano beim zuständigen Inselrat mit der langen Liste der Aufgaben und der starken Konkurrenz: „Windmühlen sind nun einmal sehr viel sichtbarer in der Landschaft." Und da es auf der Insel neben den öffentlichen Brunnen auch eine unüberschaubare Zahl privater pozos gebe, würden viele Mallorquiner die meist schlichten Bauwerke gar nicht als schützenswertes Kulturgut wahrnehmen.

Der Inselrat unterhält eigene Werkstätten für die Restaurierung der Windmühlen und unterstützt deren Besitzer mit Know-how und Arbeitskraft beim Herrichten - hat aber bislang keine Brunnen restauriert. Aina Serrano, Leiterin der Werkstätten, erklärt das auch damit, dass bei den steinernen pozos im Vergleich zur raffinierten Mechanik der Wind- oder Ölmühlen meist deutlich weniger zu restaurieren sei.

Immerhin: Hin und wieder gab es kleinere Subventionen. Ein gutes Dutzend Projekte, die seit Ende der 90er-Jahre finanziell unterstützt worden sind, findet sich im Register des Consell - einschließlich der vier Brunnen, die die Helfer von Gadma mit hergerichtet haben.

In der Abteilung für Denkmalschutz in der Misericòrdia in Palma kann zudem ein Schuber eingesehen werden, in dem die öffentlichen Brunnen in den Gegenden Es Pla und Raiguer registriert sind. Während die Bewohner der Tramuntana im Nordwesten vielerorts auf sprudelnde Quellen zurückgreifen konnten, spielten die Brunnen im Flachland der Inselmitte und des Nordostens eine besonders wichtige Rolle. Von insgesamt 63 Brunnen in 15 Gemeinden liegen Daten zu Entstehung, Bauweise und Zustand vor -

wobei sich die Ursprünge oftmals im Dunkel der Geschichte verlieren oder Gegenstand von Legenden sind.

Die Viehtränke der Adeligen

Im Fall des Pou Comú von Selva (Gemeinde Caimari) war es beispielsweise eine fromme und reiche Adelige, die im 13. Jahrhundert, kurz nach der christlichen Eroberung Mallorcas, den Brunnen bohren ließ. Er diente vor allem als Tränke für das Vieh auf dem Weg zur Pilgerstätte Lluc. Der Bau eines Dachs über dem Brunnen im Jahr 1871 wurde mit den Einnahmen eines Dorffestes finanziert, die 25 Fuhren mit nötigem Baumaterial aus Muro übernahmen Anwohner. Dokumentiert sind neben Bau- und Reparaturmaßnahmen sowie deren Finanzierung aber auch zahlreiche Besitzstreitigkeiten. Nach der ­Verteilung der Ländereien unter den katalanischen Eroberern brachen die Konflikte schon sehr bald aus.

Die in der Regel mit Trockensteinen verstärkten Schächte wurden rechteckig oder quadratisch, meist aber kreisrund angelegt. Das war vor allem bei den norias der Fall, die im Gegensatz zu ­konventionellen Brunnen mit Maultieren betrieben wurden: Sie liefen im Kreis um den Schacht und förderten über ein Räderwerk mit Schöpfkellen das Wasser nach oben. Die norias verbreiteten sich vor allem ab dem 17. und 18. Jahrhundert auf Mallorca, Serrano vom Inselrat betont jedoch, dass sie auch aus muslimischer Zeit nachgewiesen sind. Mehr als ein Dutzend norias wurde bislang restauriert.

Streng genommen handelt es sich auch bei vielen Windmühlen auf Mallorca um Brunnen: Mit den molinos etwa, die in der Regel beim Anflug über den Pla de Sant Jordi sichtbar sind, förderten die Bauern Wasser für ihre Felder.

Die Brunnen waren zwischen zwei und 40 Meter tief - wobei nicht alle bis auf Grundwasseradern hinabreichten, sondern Wasser aus dem umliegenden Erdreich aufnahmen, das tropfenweise durch die Steinwände drang. Ein solcher Brunnen steht bei Sencelles, am Sturzbach Solleric. Genau genommen hat der Pou Major, den Ende des 19. Jahrhunderts auch der adelige Insel-Erforscher Erzherzog Lluís Salvador dokumentierte, zwei Schächte links und rechts des Wegs. Im Untergrund sind sie ­miteinander verbunden - auf diese Weise sei die Wirksamkeit des pou de suar (wörtlich: Schwitz-Brunnen) verstärkt worden, das heißt, mehr Wasser aus dem Erdreich in den Schacht „transpiriert", wie Fiol von Gadma erklärt. In der Tiefe des vor elf Jahren restaurierten Brunnens ist derzeit allerdings kein Wasser auszumachen.

Nur drei Stunden am Tag

Als auf Mallorca noch keine Stauseen angezapft oder Entsalzungsanlagen angeschmissen werden konnten, wurde streng rationiert. Beispiel Pou Poal: Während der Trockenperiode im Jahr 1850 durften ihn die Bewohner von Binissalem nur drei Stunden pro Tag nutzen, ein Tor sicherte den Zugang. Hielt die Trockenheit an, wurde vielerorts tiefer gebohrt, um Mensch und Tier zu versorgen.

Die Brunnen mit der besten Wasserqualität waren vor allem der Trinkwasserversorgung der Bevölkerung vorbehalten. Hatte ein Dorf mehrere Brunnen, dienten sie verschiedenen Zwecken. Wie der Name des Pou Llavoner in Sineu verrät, wurde hier Wäsche gewaschen. „Die Brunnen hatten auch eine soziale Funktion", erklärt Lozano vom Inselrat. Hier traf sich das Dorf.

Der Niedergang der jahrhundertealten, nachhaltigen Wasserwirtschaft setzte Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Der Bau von Wasserleitungen machte die alten Brunnen überflüssig, die in Folge moderner, tiefer reichender Brunnen zuweilen ohnehin austrockneten. Manche wurden wegen Straßen oder Parkplätzen plattgemacht, andere mit Bauschutt gefüllt oder geplündert. „Viele steinerne Wasserbecken verzieren heute Gärten", so Fiol.

Pere Ollers, Vorsitzender der Denkmalvereinigung Arca, stimmt dennoch nur bedingt in den Klagegesang ein. Der Zustand sei von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich, in einigen sei das historische Erbe vorbildlich erhalten. „Es ist wichtig, dass die Bevölkerung eines Dorfes ihren Brunnen als etwas Eigenes wahrnimmt." Und in der Praxis gebe es die meisten Probleme nicht mit der Restaurierung, sondern der anschließenden Wartung.

Vor allem aber muss den Brunnen, da sie ja nun für die Wasserversorgung nicht mehr nötig und die Schächte vergittert sind, wieder ein Zweck zugeschrieben werden. Fiol von Gadma hat da viele konkrete Ideen: Sie reichen von ausgeschilderten Routen und Führungen über kulturelle Events wie Konzerte oder Dichterlesungen bis hin zu gesellschaftlichen Ereignissen. Warum nicht ein Lauf-Event mit Start oder Zieleinlauf am örtlichen Brunnen?