Flug UX 0194 aus Bogotá ist nur minimal von seiner geplanten Route abgewichen. Das sieht man an der roten Linie, die sich auf dem Großbildschirm im Kontrollzentrum von Air Europa über den Atlantik zieht und inzwischen fast die spanische Halbinsel erreicht. Die roten Punkte, die den jeweiligen Standort des Fliegers markieren, liegen fast deckungsgleich auf der blauen Linie Bogotá-Madrid.

Die meisten der mehr als hundert Mitarbeiter im Kontrollzen­trum schauen aber auf ihre eigenen Bildschirme, wo sie in Echtzeit und rund um die Uhr alle Flugrouten der täglich im Schnitt 247 Flugzeuge von Air Europa überwachen und mit den Piloten via Textnachricht kommunizieren. „Wir waren die Ersten in Spanien mit einem solchen Zentrum", erklärt Vize-Koordinator Joan Rosselló, „letztens hatten wir sogar eine Delegation von Airbus hier zu Besuch."

Das im vergangenen Jahr in Betrieb genommene Kontrollzentrum befindet sich nicht im Großflughafen Madrid-Barajas oder auf Palmas Airport Son Sant Joan, sondern im Gewerbegebiet von Llucmajor. Hier hat nicht nur die Fluggesellschaft Air Europa ihren Firmensitz, sondern auch der Mutterkonzern Globalia, ein inzwischen viele touristische Geschäftsfelder umfassender Konzern und das Lebenswerk des Selfmade-Unternehmers Juan José Hidalgo.

Einerseits ist Air Europa Mallorcas touristisches Vorzeigeunternehmen schlechthin: Die Airline, die im November 30 Jahre alt wird, rangiert mit 1,72 Milliarden Euro im Jahr 2014 mit Abstand auf Platz eins der umsatzstärksten Unternehmen auf den Balearen, unterhält hier neben Firmensitz und Kontrollzentrum auch einen eigenen Hangar zur Wartung der Flotte. Mit 3.400 Angestellten, von denen 716 auf Mallorca arbeiten, ist Air Europa darüber hinaus einer der wichtigsten Arbeitgeber der Insel. Andererseits kommen deutsche Mallorca-Residenten mit der Airline bislang eher wenig in Kontakt: In Deutschland fliegt Air Europa nur die Flughäfen Frankfurt und München an, und diese auch nur indirekt über das Drehkreuz Madrid.

Nun aber sollen mehr Ziele in Deutschland hinzukommen. Mit dem Rückzug auf Raten des früheren Platzhirschs Air Berlin von Palmas Flughafen entstehen Lücken, die die Mitbewerber besetzen. Sollte sich die kriselnde Airline tatsächlich ganz aus dem Mittelmeergeschäft zurückziehen, ergäben sich neue Möglichkeiten. „Das ist eine große Chance, um in Europa weiter zu wachsen", wird Firmenchef Hidalgo in den spanischen Medien zitiert.

Man analysiere derzeit die Lage, meint auch Richard Clark, Verkaufsdirektor von Air Europa, als er die MZ im Unternehmenssitz in Llucmajor empfängt. „Ein wichtiger Wechsel hat aber schon jetzt stattgefunden", so Clark in Anspielung darauf, dass Air Berlin Son Sant Joan als Drehkreuz aufgegeben hat. Einen Teil dieser Verbindungen zwischen Palma und Zielen auf dem spanischen Festland hat sich Air Europa bereits einverleibt. „Bei den Palma-Verbindungen haben wir unsere Kapazität dieses Jahr um sieben Prozent gesteigert, auf den Strecken nach Ibiza um 16 Prozent, auf denen nach Menorca sogar um 33 Prozent", so Clark.

Das ist für Air Europa auch deswegen wichtig, weil diese Passagiere über das Madrider Drehkreuz oftmals gleich weiter fliegen - sei es auf den Verbindungen in 14 spanische Städte oder auf den 19 Langstrecken, die die Airline derzeit bedient. Diese führen bislang allesamt nach Süd-, Mittel- und Nordamerika, darunter auch die ab Dezember neuen Destinationen Córdoba (Argentinien) und Guayaquil (Ecuador). Die transatlantischen Flüge bezeichnet Manager Clark denn auch als wichtigen Konsolidierungsmarkt der Airline. „Wir haben ein enormes Wachstum bei den Buchungen der Strecke USA-Ibiza. Unser Hub in Madrid wird immer wichtiger."

Bei den Südamerika-Flügen nach Montevideo, Lima oder etwa Caracas liefert sich Air Europa ein direktes Rennen mit Iberia und setzt dabei als erste spanische Airline auf den neuen Dreamliner. Globalia hat insgesamt 22 Boeing-Maschinen der Typen 787-8 und 787-9 bestellt, die durch ihre leichte Rumpfbauweise aus durch Kohlenstofffaser verstärktem Kunststoff schneller und sparsamer sind. Die enorme Flughöhe von bis zu 13 Kilometern beschleunigt insbesondere die Interkontinentalflüge.

Im Markt der Billigflieger dagegen hinkt die Hidalgo-Airline deutlich der Konkurrenz hinterher. Iberia hat bereits in den vergangenen fünf Jahren mit Iberia Express einen Low-Cost-Carrier aufgebaut, um Ryanair, Easyjet und Co. die Stirn zu bieten, und flog diesen Sommer 25 Prozent mehr Passagiere nach Mallorca. Nun will Air Europa auch eine Billigtochter - laut der spanischen Wirtschaftszeitung „Cinco Días" eine „Frage von Leben und Tod" für die Fluggesellschaft.

Die Operation Air Europa Express befindet sich gerade in ihrer heikelsten Phase - den Verhandlungen mit den Gewerkschaften. Manager Clark hält sich bei dem Thema gegenüber der MZ denn auch bedeckt. Im Juli erst hatte Air Europa einen Streik der Piloten, die um die tariflichen Errungenschaften im Mutterkonzern fürchten, abwenden können, nachdem bereits zahlreiche Flüge abgesagt worden waren.

Für den Aufbau von Air Europa Express hatte Hidalgo Ende vergangenen Jahres die valencianischen Airline Aeronova erworben, die seit Anfang des Jahres mit Slots von Air Europa fliegt. Die Pläne sehen laut „Cinco Días" vor, eine Belegschaft von insgesamt 250 Personen aufzubauen und bis Sommer 2017 rund ein Dutzend Flugzeuge von Air Europa an die Billigflugtochter zu transferieren. Chef von Aeronova ist ein alter Hase des Fluggeschäfts, Álvaro Middelmann, der früher Spanien- und Portugal-Chef von Air Berlin war und den Hidalgo nach dessen Ausscheiden aus der deutschen Airline zunächst als Berater an Bord geholt hatte.

Ein harter Konkurrenzkampf steht zudem auch im Bereich Wartung ins Haus. Bislang betreibt Air Europa einen eigenen Hangar in Palma, wo der Konzern laut Clark praktisch alle notwendigen Arbeiten inzwischen selbst ausführt. Kommendes Jahr stehe eine Erweiterung an. Darüber hinaus ist ein neuer Hangar auf dem Madrider Flughafengelände geplant, um das „Monopol von Iberia zu brechen", so Hidalgo. Er sprach 2015 von Investitionen in Höhe von 30 Millionen Euro und der Schaffung von 400 Jobs.

Von der Expansion soll auch der Standort Llucmajor profitieren. Am Unternehmenssitz werden in einer Berufsschule neben Mechanikern und Stewardessen auch Piloten ausgebildet - in Zukunft auch in einem Flugsimulator für den Dreamliner.