Es gab tatsächlich eine Zeit vor der Armbanduhr und der persönlichen Agenda auf dem Smartphone, auch wenn das für viele heute schwer vorstellbar ist. Die Menschen mussten andere Hilfsmittel bemühen, um sich im Lauf der Zeit zu orientieren. Vor allem Bauern, Schäfer und Fischer nahmen den Himmel und den Verlauf der Sonne und der Sterne zu Hilfe, was auf Mallorca dank der vielen wolkenlosen Tage und Nächte deutlich einfacher ist als in Mitteleuropa.

Der studierte Psychologe und ausgebildete Telekommunikationsingenieur Lluc Mas hat gemeinsam mit dem argentinischen Chemiker Juan Gaspar das Buch „El nostre cel al llarg de l´any. Una altra manera de fer astronomia" (Unser Himmel im Jahreslauf. Eine andere Art, Astronomie zu betreiben) geschrieben. Die beiden haben darin Sprichwörter oder Lieder auf ihre wissenschaftlichen Aspekte hin untersucht. Ergebnis: Auf nicht alle, aber viele dieser Beobachtungen von Himmel und Wetter konnte man sich tatsächlich verlassen. Sie sind auch wissenschaftlich nachvollziehbar.

Sonne, Mond und Sterne

Die Menschen mussten wissen, wann sie zu säen hatten, wann zu ernten, wann die Trauben zu lesen waren. Deshalb sprach man in weiten Teilen der Bevölkerung auch nicht von den Monaten, sondern von der Schlachtzeit, der Säzeit, der Erntezeit. Mithilfe von Sonne, Mond und Sternen konnten viele Menschen auch ohne Uhr oder Kalender sehr präzise feststellen, welcher Tag gerade war und sogar die ungefähre Uhrzeit bestimmen. „Die Leute wussten", so Mas, „dass der Moment für die Aussaat gekommen war, wenn ein bestimmter Stern am Himmel zu sehen war. Außerdem wussten sie genau, wie viele Tage noch bis zum Frühlingsbeginn fehlten."

Auch der Mond hatte eine große Bedeutung. So gab es das Sprichwort „Si vols saber quan será es ple i no te erreràs, quan el sol pondre veurás, la lluna sortirà" (sinngemäß: Wenn die Sonne untergeht, und der Mond zeitgleich aufgeht, ist Vollmond). Diese Art der Populärwissenschaft geht bis ins prähistorische Zeitalter zurück, erklärt Mas. „Das war der Moment, in dem die Menschen zum ersten Mal die Vorgänge auf der Erde mit dem Himmel in Verbindung setzten, um die Fundamente dieser Wissenschaft zu setzen; es gibt sie in allen Kulturen der Erde", sagt der Hobby-Astronom. So gründete sich beispielsweise die Erkenntnis, dass Ostern bevorsteht, auf der Beobachtung, dass dieser Tag auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Tag- und Nachtgleiche im Frühjahr fiel.

All dieses Wissen, beinahe ausschließlich mündlich überliefert und erst seit ein paar Jahrzehnten schriftlich festgehalten, wurde mithilfe von Sprichwörtern meist in Reimform weitergegeben. So merkte man es sich besser und konnte es von Generation zu Generation weitergeben. Mas hat viele der volkstümlichen Reime zusammengetragen­ und nach Monaten geordnet.

Alles neu macht der Januar

Im Januar war das beherrschende Thema, dass die Tage wieder länger wurden. So sagte man etwa „Per Sant Sebastià mitja hora mes de dia hi ha" (Zu Sant Sebastià gibt es eine halbe Stunde mehr Tag). Die Monatsfolge gab Anlass zu Aberglauben. Der Januar hatte stets die Bedeutung des Neuerschaffenen, des Beginns der Welt. Die Annahme, dass die Erde am ersten Tag eines neuen Jahres des gregorianischen Kalenders entstanden sein musste, war weit verbreitet. Das Ende der Welt würde folgerichtig an einem 31. Dezember über die Menschheit hereinbrechen. „El gener és el mes vertader, perquè es el primer" (Der Januar ist der wahre Monat, denn er ist der erste) oder „El gener es l´hereu de l´any, i el desembre l´avi" (Der Januar ist der Erbe im Jahr, und der Dezember der Großvater) spielten mit diesem Gedanken.

Keine Überraschung ist, dass auch die auf Mallorca ausgiebig gefeierten Schutzpatrone Sant Sebastià und Sant Antoni ihren Platz in den Versen haben. „Per Sant Antoni de gener, camina una hora més el traginer" (Zu Sant Antoni im Januar fährt der Fuhrmann eine Stunde länger - ebenfalls eine Anspielung auf die immer länger werdenden Tage).

Die Menschen, die gewöhnlich keine Uhr auf dem Feld dabeihatten, merkten die zunehmende Helligkeit vor allem daran, dass sie länger arbeiten mussten. „Im Februar gab es eineinhalb Stunden mehr Arbeit, weil der Arbeitstag von Sonnenaufgang bis -untergang dauerte", erklärt Mas.

Gewagte Langzeitprognosen

Ähnlich verhält es sich mit den klimatologischen Gegebenheiten auf der Insel. Mas hat herausgefunden, dass die meisten Wetterphänomene den Menschen bekannt waren, auch wenn sie sie nicht erklären konnten. So wusste man etwa, dass die Eiskristalle in den Wolken das Licht verzerrten, was Zeichen einer Wetteränderung­ ist. „Einige der Wetterweisheiten haben durchaus ein wissenschaftliches Fundament", sagt Mas. Keinen Glauben würde er allerdings den häufigen Jahresvorhersagen schenken. „Denn selbst heute, mit den modernsten Gerätschaften, ist es äußerst schwierig, über einen längeren Zeitraum einigermaßen verlässliche Prognosen zu erstellen."

Bauernliebling Mai

Wobei einige Bauernregeln, wie etwa die aus dem Monat Mai, eine über Jahrhunderte hinweg festgestellte Gültigkeit haben - zumindest im Groben. Stets um den 10. Mai herum gebe es einen spürbaren Rückgang der Temperaturen, in Deutschland die Eisheiligen genannt. Auf Mallorca nennt man dieses Phänomen den „estiuet de Sant Martí". Es wiederholt sich gewöhnlich in den ersten Novembertagen. Vor allem auf dem Land raunte man sich deshalb unter anderem zu: „Fins al dotze de maig, l´hivern no diu: me´n vaig" (Bis zum 12. Mai sagt der Winter nicht, ich gehe) oder auch „Del maig a la meitat, l´hivern acabat" (Dem Mai die Mitte, des Winters Ende).

Die Kälte im Mai wurde als Gratmesser für einen warmen Sommer genommen: „Si pel maig el fred viu, espera un bon estiu" (Wenn im Mai die Kälte kommt, erwarte einen guten Sommer) und „No és bon maig, si l´ase no tremola a l´estable" (Es ist kein guter Mai, wenn der Esel nicht in seinem Stall bibbert).

Wenn es allerdings um die menschliche Gesundheit ging, dann war der Mai keineswegs vielversprechend. Etwas brutal drückt das folgender Spruch aus: „Malaltia de maig no cura i acaba en la sepultura" (Eine Krankheit im Mai kann nicht auskuriert werden und endet im Grab) oder auch „Mal de maig no cura mai" (Eine Krankheit im Mai vergeht nie mehr).

Schäfer und Bauern, die den Sternenhimmel genau beobachteten, wussten, dass Orion und die Plejaden im Mai nie mit menschlichem Auge wahrgenommen werden können und sagten: „No ha nascut ni naixerà qui pel maig les Cabrelles veurà" (Es ist derjenige noch nicht geboren, der im Mai die Plejaden sieht).

Eine Zeit vor der Sommerzeit

Ebenso zahlreiche Weisheiten gibt es über den August. Zum Beispiel zum Thema, wann der Mond am hellsten strahlt. So gibt es das Sprichwort „La lluna d´agost fóra la millor si la de gener la deixara fer" (Der Augustmond wäre der schönste, wenn es der im Januar zuließe). Eine sehr langfristige Beobachtung, der allerdings die wissenschaftliche Basis fehlt, gibt es auch: „Si plou per la lluna nova d´agost, plourà nou llunes seguides" (Wenn es zu Neumond im August regnet, wird es neun Mondphasen in Folge regnen).

Hier kommt den Beobachtungen von Jahrhunderten vermehrt auch der Klimawandel in die Quere, der das Wetter inzwischen durcheinanderwirbelt. Dass es ab Mitte August schon etwas in Richtung Herbst und damit kürzere Tage geht, zeigt der Spruch: „Per la mare de Déu d´agost, a las set es fosc" (Zu Mariä Himmelfahrt im August ist es um sieben dunkel). Inzwischen hat diese Beobachtung durch die Umstellung der Uhr ihre Gültigkeit verloren. Im August ist es in unseren Breiten noch bis gegen 21 Uhr hell. Auch kühler sollen die Nächte nun angeblich werden, wie diese Bauernregel besagt: „Per la mare de Déu, en el llit, ja refresca la nit" (Zu Mariä Himmelfahrt wird es nachts im Bett schon etwas kühler).

Jetzt wird´s kalt

Für den Monat November gibt es den einfachen Spruch „novembre acabat, hivern començat" (Ist der November vorbei, hat der Winter begonnen). Eine Langzeitprognose, die kein meteo­rologisches Fundament aufweist, ist der Satz „novembre calent, maig gelat" (Warmer November, eiskalter Mai). Überhaupt sollte man sich im November schleunigst daran machen, den Grundstein für die kommende Ernte zu legen. „Pel novembre, cava i sembra" (Im November graben und säen) drückt das aus. Eine andere Weisheit scheint dem auf den ersten Blick zu widersprechen: „Qui cava pel novembre, perd el temps" (Wer im November gräbt, verplempert seine Zeit). Doch Mas erklärt, dass es sich dabei um die eindringliche Aufforderung handelt, im November auf jeden Fall nicht nur umzugraben, sondern auch zu säen.

Der Beginn der Kälte in den letzten Novembertagen wird häufig mit dem Verhalten von Tieren in Verbindung gebracht. So gibt es etwa den Spruch „Quan baixa el tord, el fred és més fort" (Wenn die Singdrossel tief fliegt, wird es richtig kalt).

Ein anderes Sprichwort besagt: „Quan vegis baixar el rupit, posa una flassada al llit" (Wenn du das Rotkehlchen tiefer fliegen siehst, dann nimm dir eine Bettdecke). Der November­neumond ist angeblich besonders gut geeignet, um das Holz für den Kamin zu hacken. Es lasse sich besser entzweien und halte deutlich länger.

Der Dezember steht ganz im Zeichen der Festtage. So heißt es unter anderem „La nit de Nadal, la més estrellada de l´any" (Die Weihnachtsnacht ist die mit den meisten Sternen des Jahres). Oder auch „La nit de Nadal, la més clara i llarga de l´any" (Die Weihnachtsnacht ist die klarste und längste des Jahres). Dass es wenig Tageslicht gibt, stößt verständlicherweise auf wenig Gegenliebe, wie sich in dieser Weisheit ausdrückt: „Dies de desembre, dies de malura, tot just es fa de dia que ja és nit obscura" (Dezembertage, Seuchentage, kaum geht die Sonne auf, ist es auch schon wieder Nacht). Wenn das die Menschen auf Mallorca schon dachten …

El nostre cel al llarg de l´any, 294 Seiten, Katalanisch, 11 Euro. Zu bestellen bei Amazon­, agapea.com und im El Corte Inglés.