Porreres macht auf den ersten Blick einen ruhigen Eindruck, friedlich geradezu. In der kleinen Fußgängerzone des Ortes in der Inselmitte genießt eine Gruppe von Mallorquinerinnen ihren Kaffee auf einer Restaurant-Terrasse, ein paar Touristen schießen Fotos auf dem Rathausplatz, ansonsten ist alles still.

Doch im Dorf brodelt es. Anfang April erwachte Porreres mit einer bösen Überraschung: Unbekannte hatten im ganzen Ort Flugblätter ausgelegt, mit diskriminierenden Hetzparolen gegen die marokkanischen Einwohner - immerhin etwa 800 Menschen, die auf insgesamt rund 5.000 Einwohner kommen. „Es geht uns besser ohne euch. Eure Anwesenheit gefällt uns nicht", heißt es in den Flyern. Und: „Diese Leute sind schuld an Diebstählen."

Dass die Kriminalitätsrate unverändert durchschnittlich ist und es nie Probleme mit ausländischen Einwohnern gab, scheint unerheblich. „Hier wird ein Problem erzeugt, das eigentlich nicht existiert. Das ist traurig, aber wir nehmen es ernst", sagt ­Bürgermeisterin Francisca Mora und blickt ratlos drein. Manchmal denke sie, dass Ignoranz der Grund für die Hetze sein könnte, manchmal aber auch, dass nur ein paar Leute für schlechte Stimmung im Dorf sorgen wollten, um dem Rathaus zu schaden. „Viele Marokkaner sind doch schon seit mehr als 30 Jahren hier", sagt die Bürgermeisterin.

Eigentlich fing alles bereits vor zwei Jahren an, als die Anhänger der kleinen Moschee Assalam nach zwölf Jahren ihre gemieteten Gebetsräume in der Nähe des Zentrums aufgeben und stattdessen ein Grundstück außerhalb kaufen wollten. Schon damals gab es Proteste der Einwohner, letztlich entschieden sich die Verantwortlichen für Räumlichkeiten nahe der Sportplätze - und wieder beschwerten sich die Menschen. Mal mehr, mal weniger laut. Die Flugblätter sind nun der Höhepunkt der anti-islamischen Hetze. Praktisch jeder im Dorf hat sie gelesen, auch die spanischen Inselmedien griffen das Thema auf. Erstmals fiel auch das böse Wort Rassismus.

Der Imam der Assalam-Moschee Ahmed Zahraoui will sich nicht weiter zu den Flugblättern äußern. „Das sind nur ein paar Spinner, die meisten denken nicht so", sagt er zur MZ. „Viele Menschen haben mir ihre Solidarität bekundet, und darauf kommt es an." Mehr wolle er nicht sagen. Auch Xim Barceló, seit 25 Jahren Besitzer der Bar Sa Fonda Café in der Fußgängerzone, glaubt, dass die unbekannten Hetzer allein auf weiter Flur stehen. „Natürlich wird darüber geredet, aber meine Gäste halten genau wie ich gar nichts von diesen Flugblättern. Wir kommen gut mit den Ausländern im Dorf zurecht", sagt er.

Ganz anders schätzt Jesús Martín Bauzá, Besitzer der Bar Ca´n Bolera nebenan, die Lage ein: „Viele hier im Ort finden das Vorgehen, anonym Parolen zu verbreiten, nicht gut. Aber inhaltlich distanzieren sie sich nicht davon", sagt er. „Und ich kann es verstehen. Die Marokkaner bekommen viel mehr Unterstützung vom Rathaus als wir Mallorquiner, auch was Sozialleistungen angeht." Dann stutzt Bauzá und gibt zu: „Ich weiß natürlich nicht genau, was sie bekommen. Aber das ist das, was man so hört, und gerade in Krisenzeiten ist es für uns

Mallorquiner ja auch nicht einfach." Außerdem habe er den Eindruck, viele Marokkaner wollten sich gar nicht integrieren. „Die meisten bleiben doch immer nur unter sich."

„Integrieren?", fragt ein Marokkaner, der alleine auf einer Bank wenige Meter entfernt von Bauzás Bar sitzt. Er lächelt müde. „Wie denn? Uns wurde von Anfang an signalisiert, dass wir hier nicht willkommen sind." Seinen Namen will der Mann nicht nennen, nur so viel: Er kam vor 18 Jahren nach Porreres, hat hier Frau und Familie. „Spanische Freunde habe ich nicht. Wie denn auch, wenn hinter unserem Rücken immer schlecht über uns geredet wird?"

Nicht nur Einzelfälle

Der Fall Porreres ist bei Weitem nicht der einzige auf Mallorca, der es in den vergangenen Monaten mit Rassismus und Diskriminierung in die Schlagzeilen geschafft hat. Da ist der Fall von Festus Badaseraye, einem dunkelhäutigen Spanier, der einen Verwaltungsangestellten der Landesregierung angezeigt hat: Der Mann soll ihn beschimpft haben, weil Badaseraye die katalanische Schriftsprache nicht versteht. Und da ist der Fall eines jungen Mannes aus Mali, dem der Eintritt in eine Diskothek an Palmas Paseo Marítimo verwehrt wurde. Begründung des Türstehers: „Leute wie dich ­wollen wir hier nicht." Und der Fall von Kelly Yurani, einer Kolumbianerin, die Angstzustände bekam, weil die Angestellten des Gesundheitszentrums in Palmas Stadtteil Son Gotleu sie bei jedem Besuch niedermachten.

Alles Ausnahmefälle? „Nein", sagt Sonia Vivas energisch. Seit Februar leitet die Pädagogin das neugegründete „Oficina de delitos de Odio" (zu Deutsch: Büro für Hassdelikte) bei der Ortspolizei Palma. „Rassismus ist auf Mallorca Alltag. Es gibt viele diskriminierende Situa­tionen", sagt sie. „Das Problem ist, dass viele es einfach hinnehmen und nicht darüber reden. Was verschwiegen wird, taucht in den Statistiken nicht auf. Dennoch existiert es."

Im gesamten Jahr 2016, also vor der Eröffnung des Büros, wurden balearenweit 21 Fälle von diskriminierenden Delikten zur Anzeige gebracht. „Seit wir unsere Arbeit aufgenommen haben, also seit nur zwei Monaten, zählen wir allein in Palma schon 23 Anzeigen." Die Dunkelziffer sei noch ungleich höher. „Viele Menschen trauen sich entweder nicht, zur Polizei zu gehen, oder ihnen ist gar nicht bewusst, dass Diskriminierung eine Straftat ist."

Sonia Vivas arbeitet mit gemeinnützigen Organisationen zusammen, geht auf Menschen zu, die potenziell gefährdeten Gruppen angehören, und ermuntert sie, sich Hilfe zu suchen. Sie bekommt mit, was in den Medien oft untergeht: das Leid des Lateinamerikaners beispielsweise, dessen Geschäft in Palma mit rassistischen Parolen beschmiert wurde. Oder die Geschichte der muslimischen Frauen, die beschimpft und mit Wasser überschüttet wurden.

Ganz zu schweigen von den häufigen abfälligen Bemerkungen oder Beleidigungen. „Nicht nur Schläge, auch Worte können Gewalt darstellen", sagt Sonia Vivas. Die sprachliche Diskriminierung verstoße ebenso gegen die Menschenrechte. „Wenn eine Gesellschaft das zulässt, dann ist das eine Schande."

Wenn Statistiken nicht aussagekräftig sind, weil unvollständig, wie lässt sich dann der Grad des Rassismus messen? „Gar nicht", sagt José Díaz Cappa. Er ist Staatsanwalt und seit 2010 auf diskriminierende Hassdelikte spezialisiert - eine Spezialisierung, die es zuvor in Spanien nicht gab. Der Rassismus sei auf Mallorca nicht mehr oder weniger ausgeprägt als anderswo im Land, sagt Díaz. „Der einzige Unterschied besteht darin, dass in jeder Region der Anteil und die Art der verwundbaren Kollektive unterschiedlich ist."