Nicht weniger als eine Richtungsentscheidung bahnt sich an, wenn die Universitat de les Illes Balears, kurz UIB, am 24. Mai einen neuen Rektor wählt. Zwei Kandidaten treten an, und die beiden haben wenig gemeinsam. Da ist auf der einen Seite der konservative Amtsinhaber Llorenç Huguet von Menorca, der für die vierte Amtszeit kandidiert, und auf der anderen Seite Rafel Crespí, der Herausforderer aus Sa Pobla.

Die Wahl erfährt in diesem Jahr besonders viel Aufmerksamkeit, was sicher nicht nur an den beiden unterschiedlichen Charakteren liegt, sondern vor allem am Skandal um das nicht zugelassene Krebs-Medikament Minerval, das zwei Professoren der Uni über Jahre hinweg ohne Zulassung verkauften. Hier könnte eine Chance für den 55-jährigen Crespí liegen, dem allerdings wenige Tage vor der Wahl eher geringe Möglichkeiten auf einen Sieg gegeben werden. Dabei ist die Unzufriedenheit über den 63-jährigen Menorquiner Huguet auf dem Campus weitverbreitet.

Die MZ sprach mit Angestellten, Forschern und Professoren der UIB mit ihren rund 18.000 Studenten und knapp 2.000 Angestellten. Dabei wurde klar, dass sich viele einen Wechsel an der Spitze wünschen. Huguet hat seit seiner ersten Wahl zum Rektor 1995 mit Unterbrechungen insgesamt zwölf Jahre lang die Geschicke der UIB geleitet. Viele auf dem Campus trauen aber eher Crespí zu, die Universität für die künftigen Aufgaben aufzustellen und vor allem international wettbewerbsfähiger machen zu können. Amtsinhaber Huguet ist speziell auf diesem Gebiet nicht besonders engagiert, zum Beispiel fehlt ein wie an vielen spanischen Universitäten üblicher Vize-Rektor für Internationalisierung.

„Eine Veränderung ist dringend nötig, die Uni muss endlich für das 21. Jahrhundert fit gemacht werden", sagt ein Physiker, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. „Nach drei Amtsperioden zeichnet sich eine gewisse Erschöpfung von Ideen ab. Ganz abgesehen davon, dass in demokratischen Strukturen Erneuerung immer guttut." Stillstand, wie er unter Huguet zu befürchten sei, sei nie die beste Wahl. Dass es unter Huguet nicht vorangeht an der UIB, ist eine häufig geäußerte Sorge. Ein Philosophie-Dozent, der ebenfalls lieber unerkannt bleiben möchte, sagt: „Seine Auffassung, wie eine Universität funktionieren muss, ist überholt."

Man müsse sich nur mal das Krisenmanagement im Fall Minerval anschauen. Da habe Huguet nach dem Motto gehandelt: „Wenn es Probleme gibt, einfach wegschauen und abwarten." Das Credo seiner Amtsführung sei gewesen, sich mit niemandem anzulegen, um seine Unterstützer nicht zu verprellen. So hat sich Huguet auf dem Campus eine mächtige Befürworterfront aufgebaut. Darunter sind viele namhafte und etablierte ­Lehrstuhlinhaber und Professoren. „Diese Leute haben wenig zu befürchten unter Huguet, sie wissen, dass sie in Ruhe gelassen werden und so weiterarbeiten können wie immer", sagt der Physiker.

Claudio Mirasso, ebenfalls Physiker und Mitglied im Wahlkampf-Team von Crespí, bemängelt vor allem die fehlende Transparenz unter Huguet, gerade auch, was das Budget angeht. Es sei nicht klar gewesen, wohin Teile des Geldes gehen. Aber auch, nach welchen Kriterien viele der Stellen besetzt wurden, sei nie nach außen hin erklärt worden. Der Argentinier berichtet von zahlreichen Fällen, in denen die Bewerber nicht von unabhängigen Gremien gehört und beurteilt worden seien. „Wir als Dozenten hatten überhaupt keine Ahnung, warum jemand eine Stelle bekommen hat." Das müsse sich drastisch ändern, jede freie Stelle solle prinzipiell jedem Forscher oder Dozenten zumindest in Europa offenstehen. Huguet lasse darüber hinaus eine klare Linie vermissen. Es sei nicht klar, was er mit der Universität in den nächsten vier Jahren anstellen wolle.

Weitgehender Konsens auf dem Campus ist auch, dass die UIB in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich schlechter dastehe, als sie in ­Wirklichkeit sei. „Daran müssen wir unbedingt arbeiten", sagt Mirasso. Ein anderer Professor warnt davor, dass man sich vom privaten Sektor nicht die Hoheit in Sachen Bildung aus der Hand reißen lassen dürfe: „Die öffentliche Universität muss stark und selbstbewusst auftreten." Schließlich befinde man sich im Wettstreit mit unzähligen Hochschulen um die klügsten Köpfe.

Dabei sind die Voraussetzungen gut. Die UIB stehe nicht schlecht da, bemerken sogar Huguet-Kritiker. Immerhin liegt sie im viel beachteten U-Ranking im oberen Viertel der spanischen Universitäten, allerdings sehen so manche Angestellte noch deutlich mehr Potenzial - gerade auch weil die UIB in den vergangenen drei Jahren in allen Bereichen ein Stück weit abgerutscht sei. „Wenn Huguet ein bisschen mehr für eine bessere Finanzierung gekämpft hätte, dann könnten wir jetzt noch bessere Ergebnisse vorweisen", sagt etwa der Physiker. Die Zuschüsse der Balearen-Regierung an die UIB sind in den vergangenen Jahren nach den Einsparungen in der Krise zwar stetig auf 93,5 Millionen Euro im laufenden Jahr gestiegen, hatten 2011 allerdings schon bei knapp 103 Millionen Euro gelegen.

Crespí-Kritiker bemängeln vor allem, dass seine Vorschläge gar nicht so neu seien. „Viele Ideen von Crespí sind teilweise schon in der Umsetzung oder sind auch im Programm von Huguet", sagt ein Professor für Geologie. Zum Beispiel sei eine von Crespí angepriesene Lern-App schon seit Monaten in Planung.

Es gibt auch diejenigen, die sagen, dass ein Wechsel an der Spitze keine großen Änderungen bringen würde. Félix Grases ist so einer. Er ist zwar kritisch mit Huguet, und damit, wie er den Minerval-Fall gemanagt hat, doch er sagt auch: „Das akademische System an den Universitäten ist ein starres Korsett, da kann ein Rektor nur einen Bruchteil von dem so gestalten, wie er das vielleicht selbst gern hätte."

Grases hält dieses Korsett an den europäischen Universitäten für den größten Bremsklotz bei dem Bemühen, mit dem US-amerikanischen Hochschulen zu konkurrieren. „Wir sollten uns viel stärker an dieses System anlehnen. Wenn dort ein Rektor schlechte Arbeit leistet, kann man ihn am nächsten Tag feuern. Er ist ein Angestellter der Uni." Nicht so bei der staatlichen UIB. Mit dem neuen Rektor wird sie die nächsten vier Jahre leben müssen.

Interviews mit den beiden Kandidaten sowie einen Hintergrundartikel zum Minerval-Fall lesen Sie in der Printausgabe der MZ Nr. 889 vom 18. Mai sowie im E-Paper.