Für dieses Fahrgefühl muss sich niemand nach Sa Calobra begeben. Stop-and-go kann man auch auf der Ringautobahn von Palma erleben. Ein Reisebus nach dem anderen kämpft sich am Mittwoch (24.5.) die Serpentinenstrecke hi­nunter zum kleinen Hafen. Dazu unzählige Mietwagen und zwischendrin Dutzende Fahrradfahrer. Es wirkt wie purer Zufall, dass es keinen Unfall gibt. Einer der Busse muss in einer Kurve zurücksetzen und rangiert nur Zentimeter über dem Abhang - Alltag auf der Zufahrt zu einem der beliebtesten Touristenziele auf Mallorca.

45 Minuten braucht man an diesem Tag für die zwölf Kilometer lange Strecke - jetzt, Ende Mai. Sogar der Parkwächter des privaten Parkplatzes, der mit dem Urlauberansturm ja sein Geld verdient, hat schon schlechte Laune. „Und im Sommer ist es erst recht schrecklich hier. Ich rate Ihnen, kommen Sie nie im Juli oder August hierher." Bereits jetzt ist der Parkplatz, der ähnlich teuer wie die zentralen Innenstadtparkhäuser in Palma ist, bis auf wenige Plätze gefüllt.

Der Urlauberandrang und seine Konsequenzen sorgen in diesem Frühjahr für reichlich Ärger bei denen, die in Sa Calobra arbeiten oder in den beiden kleinen Dörfern etwas oberhalb beziehungsweise in der Cala Tuent leben. Ein älterer Mann empfängt die MZ in seinem Haus ein paar Hundert Meter oberhalb der Bucht. Er will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, nennen wir ihn Fernando Gil. Er hat die Faxen dicke. „Die meisten Urlauber kommen für ein paar Stunden, verstopfen die Bucht, lassen keinen Cent da und vermüllen, bevor sie gehen, noch den Torrent de Pareis", klagt der Anwohner.

Das Müllproblem ist tatsächlich gravierend. An zwei Stellen kurz hinter dem Tunnel, der in die berühmte Schlucht führt, häufen sich Dosen, Verpackungen, Bananenschalen, Plastiktüten - alles aufgetürmt und teilweise verstreut auf dem schmalen Steig. Man watet hier förmlich durch den Müll. Gil macht auch die Urlauber selbst dafür verantwortlich. „Wenn einer etwas in die Ecke wirft, dann werfen alle anderen ihren Dreck auch dahin." Dabei habe die Küstenbehörde vor nicht einmal zwei Wochen den gesamten Eingangsbereich des Torrent de Pareis gereinigt, obwohl es gar nicht ihre Zuständigkeit sei.

„Das sieht aus, als hätten hier ein paar Leute eine wilde Party gefeiert und einfach alles in die Gegend geworfen", wundert sich ein deutscher Urlauber, der mit seiner Familie die Schlucht betritt. Manche Touristen gucken angeekelt, wieder andere schießen Fotos. Werbung für ein Naturparadies ist das nicht.

Ein Naturparadies, das Sa ­Calobra und der Torrent de Pareis vor 23 Jahren noch waren. Damals kam die Deutsche Rita Müller (Name von der Redaktion geändert) in den abgelegenen Ort. Sie lebt seitdem in einem der Dorfhäuser oberhalb des Hafens. Im Hafen selbst schaut sie manchmal monatelang nicht vorbei. „Das ist unerträglich, man kann nur ganz früh morgens vielleicht eine Stunde im Meer baden, dann muss man schnell wieder weg dort." Der tägliche Touristenansturm gegen 11 Uhr gleiche einem „Einbruch". Dann sei es mit der Ruhe dahin, das Hupen der Busse dröhne durch das enge Tal.

6.000 Menschen kommen in der Hochsaison jeden Tag nach Sa Calobra, eine Million ist es pro Jahr. „Und das für einen Strand, der gerade mal 55 Meter breit ist", schimpft ein anderer Anwohner, der ebenfalls nicht mit Namen genannt werden will. Selbst manche Touristen beschwerten sich bei ihm schon über die Masse an Urlaubern. Ab etwa 11.30 Uhr, wenn viele der Busse ankommen und ein bis zwei Schiffe mit jeweils rund 300 Menschen an Bord anlegen, wird es voll. Vor den Tunneleingängen bilden sich Schlangen. Weil Mittagszeit ist, lassen sich viele der Besucher auf der Promenadenmauer in Sa Calobra nieder und packen ihre mitgebrachten Brote oder ganze Tupper-Schüsseln aus. Es ist kaum noch ein Plätzchen frei auf der Mauer. „Die Urlauber geben hier kaum einen Euro aus", ereifert sich Fernando Gil. Dementsprechend sehe das Angebot der sechs Restaurants im Hafen aus. „Das sind im Grunde gar keine Restaurants mehr. Da wird nur Fraß vorgesetzt, und das häufig mit Selbstbedienung."

Ein weiteres Problem ist die Sicherheit. „In ganz Escorca gibt es drei Ortspolizisten, da kann gar nicht ständig einer in Sa Calobra patrouillieren", sagt Gil. Zum Zeitpunkt des MZ-Besuchs ist immerhin ein Beamter vor Ort. Er wirkt gestresst und erzählt, dass er am Vormittag einen Mann verfolgt habe, der seit zwei Jahren ein falsches Taxi ohne Zulassung betreibe. Er habe ihn erst außerhalb des Ortes auf der Straße stoppen können. Das sei aber nicht mehr sein Hoheitsgebiet, sodass er ihn habe ziehen lassen müssen. Im Hafen und im Torrent selbst seien Taschendiebstähle an der Tagesordnung. Die Täter entkämen aufgrund der geringen Polizeistärke nahezu immer.

All die ungelösten Probleme in Sa Calobra haben auch dazu geführt, dass die Immobilienpreise abstürzen. „In den vergangenen zwölf Jahren sind die Preise um 40 Prozent gefallen", empört sich Gil. „Klar, wer will noch hier leben?"

Die Bewohner schieben die Schuld am Boom von Sa Calobra auf den Unesco-Welterbe-Titel der Serra de Tramuntana. „Bei uns heißt das nur noch Unasco", sagt Gil. Ein Wortspiel mit un asco, was so viel wie „ein Ekel" bedeutet. Die Zufahrt nach Sa Calobra müsste endlich limitiert werden. So wie es die Balearen-Regierung zumindest plant und wie es die Gemeinde auch schon in Bezug auf die Busse beschlossen hat.

Noch in diesem Sommer soll es statt bisher 45 Stellplätze für Reisebusse nur noch 35 geben. Die Reisebusse müssen sich vorher anmelden, dann zahlen sie nur fünf Euro für den Stellplatz. Wer sich nicht anmeldet, darf zwar in den Hafen hinunterfahren, muss aber 200 Euro bezahlen. Die Busunternehmer sperren sich erwartungsgemäß und rechnen mit Verlusten von 1,76 Millionen Euro im Jahr. Außerdem würden so deutlich mehr Privat-Pkw in die Schlucht hinabfahren und die Umweltbelastung und die angespannte Verkehrssituation weiter verschlimmern.

Das scheint Bürgermeister Solivellas nicht zu stören, der bis Ende Juni eine ORA-Zone in Sa Calobra einrichten will. Dort sollen private Pkw neben dem bereits vorhandenen Parkplatz stehen dürfen, bei gleichem Preis. Die ORA-Zone werde aber nur in Stoßzeiten geöffnet, so Solivellas. Dann nämlich, wenn der Privatparkplatz voll sei. „Der Bürgermeister glaubt, er könne damit die klammen Kassen der Gemeinde aufbessern, aber da irrt er sich", sagt Fernando Gil. Allein die Anschaffungskosten für einen Parkscheinautomaten, der Unterhalt und die Verwaltung der Strafen seien deutlich teurer als das, was die wenigen Parkplätze einbringen könnten. Zumal für Sanktionen wieder das Personal fehlt. Denn dass die Strafzettel, wie angedacht, der einzige Polizist ausstellen wird, der ab und zu in Sa Calobra nach dem Rechten schaut, ist unwahrscheinlich. Er muss ja auch falsche Taxifahrer und Taschendiebe jagen.