Von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist kaum eine Branche frei, auch nicht der Journalismus. Laut einer am Wochenende bekannt gewordenen Umfrage der balearischen Journalisten-Gewerkschaft SPIB sind zwölf Prozent der Kolleginnen in ihren Redaktionen schon einmal sexuell belästigt worden.

Das entspricht dem spanischen Schnitt. „Laut schon etwas älteren Umfragen haben zwischen 10 und 15 Prozent aller Frauen bereits Erfahrungen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gemacht", sagt Victoria Ferrer, Professorin für Sozial- und Geschlechterpsychologie an der Balearen-Universität. In Spanien werde seit den 90er-Jahren zu diesem Thema geforscht. Noch höher lägen die Anteile bei Flug­begleiterinnen, Pflegekräften sowie in Branchen, in denen Glamour und Schönheit eine Rolle spielen.

Victoria Ferrer unterscheidet zwischen unterschwellig sexistischer Stimmung in den Unternehmen - jenem Ambiente, in dem sexistische Witze und Bemerkungen gedeihen - und Übergriffen, in denen Vorgesetzte ihre Mitarbeiterinnen zu sexuellem Kontakt drängen und mit Nachteilen drohen, falls sie sich weigern. Ersteres geschehe teils ohne böse Absichten und werde von den Frauen oft hingenommen. „Ein klarer Fall von Belästigung ist es aber dann, wenn jemand konkret darauf aufmerksam macht und die Sprüche trotzdem weitergehen", sagt Ferrer. Sie glaubt, dass die #metoo-Debatte vielen Frauen die Augen geöffnet hat. „Würden wir die Umfrage jetzt noch einmal durchführen, dann bin ich mir sicher, dass die Zahl derer steigen würde, die sagen, dass sie belästigt worden sind."

Zumindest in anonymen Umfragen. Vor den Chefs diesen Mut aufzubringen, sei ungleich schwerer. Erst recht auf Mallorca, wo viele Jobs befristet sind oder auf prekären Arbeitsverträgen beruhen. „Es herrscht eine Atmosphäre der Angst", sagt Xisca Garí von der Gewerkschaft UGT. Zwar ist im spanischen Gleichstellungsgesetz vorgesehen, dass Unternehmen einen „Plan de Igualdad" aufstellen müssen, der Diskriminierung verhindert. „Aber es sind kaum konkrete Maßnahmen vorgeschrieben und die Einhaltung wird viel zu wenig kontrolliert", sagt Garí. Zudem müssen nur Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern den Gleichstellungsplan vorlegen. „85 Prozent der Unternehmen sind aber kleiner. Dort ist Missbrauch am verbreitetsten", sagt Eva Cerdeiriña von der Gewerkschaft CCOO.

Beide Gewerkschaften fordern schon seit Jahren nicht nur strengere Kontrollen, sondern auch bessere Betreuungsmöglichkeiten von Kindern. Denn Diskriminierung gegen Frauen müsse nicht immer sexuellen Charakters sein. „Häufig werden Frauen benachteiligt, weil die Vorgesetzten davon ausgehen, dass sie mal Kinder bekommen, und sie deshalb bei der Vergabe von Führungspositionen oft übergehen", so Cerdeiriña. Bei dieser Form der Diskriminierung liege die Quote noch viel höher als bei der sexuellen Belästigung:

43 Prozent der Frauen hätten wegen ihres Geschlechts schon einmal eine Form der Benachteiligung im Arbeitsleben erfahren. Sei es, weil sie auf Teilzeit umsteigen müssen, um die Kinder betreuen zu können, oder weil ihnen Führungspositionen verwehrt bleiben. „Deshalb verdienen Frauen im Durchschnitt 23 Prozent weniger als Männer. Und weniger Geld führt wiederum zu mehr sozialer Diskriminierung", sagt Xisca Garí.

Sie rät den Frauen, sich bei Problemen an den Betriebsrat zu wenden - sofern er vorhanden ist. Die Gewerkschaften hätten ebenfalls immer ein offenes Ohr, auch wenn es nicht immer leicht sei, Diskriminierung, Belästigung oder Missbrauch stichfest zu beweisen. „Wir hatten Fälle, in denen Frauen während der Schwangerschaft gekündigt wurde, was klar gegen das Gesetz verstößt. Aber dann argumentieren die Verantwortlichen oft mit generellen Sparmaßnahmen." Trotzdem sei es wichtig, nicht zu schweigen. Cerdeiriña: „Wenn keiner davon erfährt, kann sich auch nichts ändern."

Dem stimmt Carmen Planas, Vorsitzende des balearischen Unternehmerverbands Caeb, zu. Gleichzeitig mahnt sie jedoch zu einer sachlichen Diskussion auf der Basis präziser und amtlich anerkannter statistischer Daten. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das sei ein faires und essenzielles Ziel. „Dennoch ist es nicht zwangsläufig so, dass eine Person, egal ob Mann oder Frau, diskriminiert wird, weil sie weniger verdient als eine andere." Denn teilweise seien die Gehaltsunterschiede auf individuelle Leistungsunterschiede zurückzuführen, die nichts mit dem Geschlecht zu tun haben. In der Verantwortung seien alle - Unternehmen genauso wie Verwaltung und Politik, die weiter für das Thema sensibilisieren sollten. Wichtig sei dabei auch die ­Bildung. „Tatsächliche Gleichstellung wird nur erreicht, wenn die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit sie in ihre Kultur aufnimmt." Wobei das bereits zu großen Teilen geschehe. „Die Rolle der Frau hat sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch geändert, man sollte wertschätzen, was bereits erreicht wurde." Den angekündigten Frauen­streik hält Planas denn auch nicht für zielführend.

Marga Prohens, Sprecherin der PP im Balearen-Parlament, sieht das ähnlich. „Die Gehaltsunterschiede sind seit dem Jahr 2012 von 18,7 auf 14,9 Prozent gesunken", betont Prohens und lobt die Politik der spanischen Regierung. „Trotzdem: Es muss noch sehr viel passieren." Sowohl in Bezug auf sexuelle Belästigung als auch auf Diskriminierung. Als junge Mutter, die Vollzeit arbeitet, spricht sie aus Erfahrung. „Von Gleichheit kann erst die Rede sein, wenn auch berufstätige Männer gefragt werden, wie sie Karriere und Familie unter einen Hut bekommen."

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