Der erste Warnschuss stammt aus dem August 2017: Der für Spanien zuständige Leiter der Kommission Icomos, Ángel Morillas, kritisierte die Zustände im Weltkulturerbe Serra de Tramuntana scharf. Icomos steht für „International Council on Monuments and Sites" (deutsch: Internationaler Rat für Denkmalpflege) und ist eine internationale Nichtregierungs­organisation, die der Unesco mögliche Welterbe­stätten vorschlägt und später deren Schutz überwacht.

Speziell die Situation im Torrent de Pareis empörte Morillas. Die Zugänge zur Schlucht quollen im vergangenen Sommer aufgrund eines Kompetenz­gerangels zwischen der Gemeinde Escorca und der Balearen-Regierung um die Zuständigkeit nur so über vor Unrat. Morillas ließ sich an den Müllbergen vorbeilotsen und sich dann in einer Presseerklärung mit folgendem Satz zitieren: „Die Serra de Tramuntana läuft Gefahr, ihren Status als Welterbe wieder zu verlieren."

Dass sie unter Beobachtung steht, hat die Balearen-Regierung seit Februar auch hochoffiziell: In einem Brief an Ministerpräsidentin Francina Armengol hat Icomos davor gewarnt, dass die Serra de Tramuntana auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt werden könnte. Das ist eine Vorstufe der definitiven Aberkennung des Titels, die es bisher erst in zwei Fällen gegeben hat: Seit 2007 gehören ein Oryx-Schutzgebiet in Oman und seit 2009 das Dresdner Elbtal nicht mehr zum Welterbe.

Umweltschützer sind nicht überrascht

Mallorcas Umweltschützer waren über den Icomos-Brief wenig überrascht: „Wir hatten nichts ­anderes erwartet", sagt Gob-Sprecher Toni Muñoz. „Es liegt viel zu viel im Argen. Vor allem ist unklar, wer für was zuständig ist." Sieben Jahre sind vergangen, seit die Unesco am 28. Juni 2011 auf Betreiben der zu diesem Zeitpunkt bereits abgewählten Mitte-Links-Regierung von Francesc Antich das Gebirge im Westen der Insel zum Weltkulturerbe erklärte.

Eigentlich genug Zeit, um erste positive Auswirkungen zu bemerken. Zumal die Beteiligten auf Mallorca mit Elan loslegten und bereits vor der offiziellen Ernennung zum Welterbe einen Zehn-Punkte-Plan ausarbeiteten, in dem festgehalten wurde, wie die Serra in Zukunft geschützt werden sollte. Mehr als 50 Organisationen, Verbände und Vereinigungen hatten an diesem Plan mitgearbeitet.

Kritik auch von einer Uni-Professorin

Passiert ist indes so gut wie gar nichts. Das kritisiert auch Miquela Forteza von der Balearen-Universität. Sie ist Professorin am Lehrstuhl für Kunstgeschichte und forscht seit Jahren zur Serra de Tramuntana. „Wir stehen heute genauso oder gar schlechter da als 2011", sagt sie. Schuld sei die Politik - und das obwohl sie nicht dafür sei, „immer den einen Schuldigen zu suchen".

Die Politik, das ist in erster Linie der Inselrat, dem die Serra de Tramuntana untersteht. Dort gründete man nach der Verleihung des Welterbe-Titels zur Abstimmung mit der mittlerweile PP-geführten Balearen-Regierung das Konsortium Serra de Tramuntana und ernannte zu dessen Leiter einen erfahrenen Fremdenverkehrs-Experten, Volkswirt und Agrarunternehmer: Bartomeu Deyà aus Sóller. Als sich die Machtverhältnisse 2015 erneut änderten, sparte sich der nun wieder von den Linksparteien kontrollierte Inselrat seine Stelle ein und überließ das Konsortium ganz den eigenen Beamten. Deyà ist seit Ende 2017 internationaler Berater bei Icomos, darf sich als solcher aber nicht zu seiner Heimatlandschaft äußern.

Inselrat räumt Fehler ein

Im Inselrat für die Serra verantwortlich ist nun der Generaldirektor Miquel Vadell. Im Gespräch mit der MZ versucht er gar nicht erst, die Lage zu beschönigen: „Wir wissen, dass es noch an viel mehr Stellen hakt, als uns lieb wäre, und dass bisher deutlich weniger passiert ist, als wir gerne hätten." Wie wenig sich getan hat, ist am Zehn-Punkte-Plan abzulesen. „Leider ist keiner der zehn Punkte bisher umgesetzt worden", sagt Vadell selbst. Allerdings sind die darin enthaltenen Ziele auch nicht sonderlich präzise formuliert. Punkt 6 beispielsweise sieht vor: „Eine angemessene touristische Nutzung aus ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Sicht". Da herrscht viel Freiraum für Interpretation.

Der Zehn-Punkte-Plan sei nicht in der Schublade verschwunden, sondern immer noch maßgebend, sagt Vadell. „Ich gebe ja gerne zu, dass die Verwaltung extrem langsam ist." Zu bedenken sei aber auch, dass es sich bei dem Schutz eines ganzen Gebirges um eine „riesige Herausforderung" handele. Anders als andere Welterbestätten sei die Serra kein begrenztes Gebiet, sondern habe beträchtliche Ausmaße. „Wir sprechen immerhin von 80 Kilometern Länge und 20 Kilometern Breite mit einer Bevölkerung von etwa 20.000 Menschen."

Und dieses Gebiet ist weit davon entfernt, gemanagt zu werden, wie ein Naturpark oder ein Welterbe nun einmal gemanagt werden müssen. Als drängendstes Problem gilt der ungeordnete Besucherandrang. „Es gibt kaum noch einen Ort, und sei er noch so abgelegen, an dem es nicht von Leuten, Fahrrädern, Motorrädern, Autos und Bussen wimmelt", sagt Miquela Forteza.

Vermarktung ohne gleichzeitigen Schutz

Zumindest teilweise dürfte das auf die Vermarktung des Welterbes zurückzuführen sein. Nach Erhalt des Unesco-Titels begannen die Tourismus-Verantwortlichen damit, die Tramuntana als Alternative zum Sonne-und-Strand-Urlaub massiv zu bewerben. Das Gebirge als Destination für vermeintlich umweltbewusstere Besucher, so das Kalkül, könne dazu beitragen, die häufig beklagte Konzentration der Urlauberzahlen auf die Sommermonate zu entzerren. Noch heute seien die Verantwortlichen des Inselrates hin- und hergerissen zwischen „dem Bemühen, die Landschaft zu erhalten" und sie andererseits touristisch vermarkten zu wollen, sagt die Britin Sandy Hemingway, die vor 25 Jahren auf Mallorca die Umweltschutzorganisation Amics de la Terra gründete.

Die Erkenntnis, dass die Bremse gezogen werden muss, setzte sich bei den Verantwortlichen erst nach und nach durch. Erst seit 2017 werden auch offiziell Zugangsbeschränkungen zu besonders frequentierten Orten erwogen - private Initiativen wie die „Muntanya del Voltor" bei Valldemossa hatten sie schon zuvor eingeführt. Die Umsetzung aber ist ein mühsamer und langer Weg durch den Dschungel der Paragrafen, Ausschreibungen und Institutionen. Greifbarstes Resultat dieser Anstrengung wird wohl das angekündigte Zufahrtsverbot für den Cap de Formentor sein. Geplant ist, dass die Besucher diesen Juli und August tagsüber nur noch mit Bussen bis zum Leuchtturm können. Ob das angesichts einer ganzen Latte noch offener Fragen tatsächlich klappt, ist aber ungewiss (MZ berichtete).

Dass die Touristen an sich nicht das Problem sind, wie auch Miquela Forteza betont, sondern die Steuerung der ja auch einheimischen Besucherströme, macht ein weiterer Aspekt deutlich: das Wegerecht. Mit einem neuen Gesetz will die Balearen-Regierung die öffentliche Nutzung der historischen Wege auf Privatgrundstücken garantieren - auch das ein Punkt, den Icomos, ebenso wie den Bau einer neuen Siedlung bei Deià, in dem Brief an Armengol kritisiert. „Meiner Ansicht nach gibt es noch immer keine klare Strategie, wie in der Serra vorgegangen werden soll, und somit auch kein Ziel, auf das hingesteuert werden soll", fasst Miquela Forteza zusammen.

Nicht Weltnaturerbe, sondern Weltkulturerbe

Zumal es da noch einen weiteren, zentralen Aspekt gibt. Die Serra de Tramuntana ist nicht Weltnaturerbe, sondern Weltkulturerbe. Als einzigartig gilt nicht das Gebirge an sich, sondern was die Menschen daraus gemacht haben. Eine der wichtigsten Verpflichtungen gegenüber der Unesco ist denn auch, dieses landwirtschaftliche Erbe - seien es Trockensteinmauern, Terrassenanbau oder Oliven- und Zitronenhaine - zu bewahren. Auch hier liegt vieles im Argen, der Niedergang des landwirtschaftlichen Raumes sei „besorgniserregend", heißt es in dem Brief.

Immerhin: Man redet miteinander. Bei Icomos hat der Vorstand gewechselt. Die neuen Verantwortlichen waren dieser Tage zu Gesprächen auf Mallorca. Wohl nicht zufällig erinnerte sich der Inselrat zu diesem Anlass auch der vielen Organisationen, die bereits beim Zehn-Punkte-Plan mitgeholfen hatten. Vergangene Woche traf man sich auf dem Raixa-Anwesen, gründete einen Beirat und vereinbarte ein jährliches Treffen. Auch Icomos war dabei. „Sie haben ihre Drohung nicht wiederholt und sogar Verständnis für die Schwierigkeiten geäußert, ein so großes Gebiet zu schützen", erzählt Gob-Sprecher Muñoz, der bei dem Treffen dabei war. Es könnte ein Neuanfang gewesen sein, einer, bei dem jetzt endlich alle, wie UIB-Professorin Miquela Forteza fordert, „an einem Strang" ziehen.