Partymusik weht von einem Lokal über den Strand von Son Moll in Cala Ratjada im Nordosten von Mallorca, die Menschen liegen Handtuch an Handtuch, hier und da gucken Zigarettenstummel oder Plastikverpackungen aus dem Sand. Über all dem weht seit Anfang Juni eine neue Flagge. „Ecoplayas" ist auf den Stoff gedruckt, der am hölzernen Aussichtsturm der Rettungsschwimmer befestigt ist. „Ökostrände", das klingt attraktiv. Doch irgendwie nicht wirklich treffend für das Treiben am Strand vor der Ortspromenade.

Die spanienweit agierende Vereinigung Ategrus hat Son Moll das Gütesiegel verliehen, und die Gemeinde nahm es mit offenen Armen entgegen: Erst im vergangenen Jahr hatte Son Moll bis auf Weiteres seine Blaue Flagge verloren - jenes viel beachtete Qualitätssiegel der europäischen Stiftung für Umwelterziehung (FEE) -, weil die Wasserqualität zu schlecht war. „Schuld war die uralte Kläranlage. Sie leckt an manchen Tagen, genau wie die an der Playa de Palma", spielt Rathaus-Mitarbeiter Victor Riera die Angelegenheit herunter. Ein anderer Vorzeige-Banner kam da ganz gelegen. „Und für die Ecoplayas-Flagge scheint die Sauberkeit ja glücklicherweise ausreichend zu sein."

Tatsächlich: Von dreckigem Wasser ist bei der Begründung der Ategrus-Juroren zu Son Moll nichts zu lesen. Die Flagge gab es „für die zahlreichen Bemühungen, den Strand barrierefreier zu machen, zum Beispiel durch Behindertenparkplätze und Rampen". Was das mit Ökologie zu tun hat, wird nicht ausgeführt. „Wir verleihen die Flagge aus Umwelt-, aber auch aus Nachhaltigkeits- und touristischen Gesichtspunkten", weicht Ategrus-Sprecherin Esther Vecino aus. Es gehe darum, die „Exzellenz des Designs, der Ausstattung und der Instandhaltung der Strände" hervorzuheben. An der Cala Blava in Llucmajor hänge seit dieser Saison beispielsweise ebenfalls eine Ecoplayas-Flagge. Begründung: Der neue Notfallplan für Rettungskräfte werde dort vorbildlich umgesetzt.

Was ist eigentlich Sauberkeit?

Margalida Ramis vom balearischen Umweltverband Gob kann solchen Gütesiegeln nicht viel abgewinnen. „Oft geht es hauptsächlich darum, ob die Strände sicher und benutzerfreundlich sind", sagt sie. Auch deshalb sind Naturstrände wie Es Trenc, bei denen man viel eher auf ökologische Auszeichnungen tippen würde, bei der Vergabe automatisch außen vor. „Klar, Wasserqualität und Strandsauberkeit spielen als Kriterien ebenfalls eine Rolle. Aber was heißt schon Sauberkeit", so Ramis spöttisch. Für viele sei ein Strand sauber, wenn er wie geleckt aussehe. „Ökologisch ist er, wenn beispielsweise die Reste des Neptungrases nicht wahllos beiseite­geräumt werden, denn sie halten den Sand zusammen und sind wichtig für das Ökosystem."

Wie in Capdepera werden zur Reinigung der Badestrände meist Traktoren eingesetzt, die in den Sommermonaten täglich über die Strände fahren, ein spezielles Sieb im Schlepptau. Es filtert den Sand und zurück bleibt der Müll, bereit zur Entsorgung. Die Methode ist unter Umweltschützern umstritten - auf kleine Lebewesen im Sand wird keinerlei Rücksicht genommen, hinzu kommen Lärmbelästigung und Umweltverschmutzung. „Umweltfreundlicher wäre manuelles Auflesen, aber das bedeutet natürlich höhere Personalkosten und Aufwand", sagt Sebastià Sansó i Jaume, Generaldirektor für Umwelterziehung in der Landesregierung. Mit Einnahmen aus der Touristensteuer fördere die Landes­regierung Reinigungsaktionen, bei denen Langzeitarbeitslose die Strände von Müll befreien.Mikroplastik ist überall

Doch ob manuelles Aufsammeln oder Traktormethode: Mikroplastik, also winzige Rückstände von Kunststoff, können durch keine der beiden Reinigungsarten entfernt werden. Montserrat Compa forscht seit Jahren am balearischen Meeresinstitut IOE zum Thema. Im vergangenen Jahr habe sie mit ihren Kollegen an den verschiedensten Küstenzonen Mallorcas in den Sommermonaten Proben genommen. „In allen haben wir Mikroplastik gefunden", sagt sie. Auch in den Naturschutzgebieten. 80 Prozent der Abfälle an den Küsten der Balearen kämen vom Land, 20 Prozent würden vom Meer aus angeschwemmt. Ein Großteil sinke auf den Grund, zerfalle und lasse die Mikropartikel frei - eine tödliche Gefahr für Flora und Fauna im Meer.„Wenn wir den Eindruck haben, dass Strände oft verschmutzt sind, dann muss man sich mal vorstellen, wie der Meeresboden aussieht."

Compa ist sich sicher: Eine Begrenzung der Urlauberzahlen würde den Stränden und Küstenstreifen aus rein ökologischer Sicht guttun. „Es ist ein klarer ­Zusammenhang zwischen dem Tourismus und den Abfallresten zu erkennen", so die Umweltwissenschaftlerin.

Besucher-Limit am Strand

Im Naturpark Mondragó könnte eine solche Zugangsbeschränkung bald Realität werden. Das schrieb kürzlich die Zeitung „Última Hora": Die Anzahl der Touristenbusse in das Naturschutzgebiet an der Küste von Santanyí solle begrenzt, die Strandkioske wie in Es Trenc neuen, kleineren Buden weichen und das Ankern von Sportbooten verboten werden. Und: Statt der Menschenmassen, die in den vergangenen Sommern verstärkt an die Buchten drängten, solle in Zukunft nur noch eine Person pro zehn bis 15 Quadratmeter Strandfläche Platz finden.

Ist das die magische Formel, die die Nachhaltigkeit eines Strands garantiert? „So konkret können wir das noch gar nicht sagen", rudert Naturparkleiter Tomàs Bosch auf MZ-Anfrage zurück. Er wisse nicht, woher eine solche Rechnung stamme. Bisher seien die Zugangsbeschränkungen eine noch nicht spruchreife Überlegung. Fest stehe nur, dass der Besucherandrang in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen und der geltende Schutzplan aus dem Jahr 1992 längst überholt sei. „Viele Menschen bedeuten nun einmal viel Lärm und vor allem viel Müll, und der ziehe gerade in geschützten Gebieten weitreichende Folgen mit sich. Aber konkrete Studien darüber, wie viele Besucher das Strandgebiet aushält, ohne zu sehr in Mitleidenschaft gezogen zu werden, gibt es nicht", so Bosch.

„Es fehlt auf den Balearen an Information in diesen Bereichen", bestätigt auch Aniol Esteban, Leiter der Marilles Foundation, die sich für die Erhaltung der balearischen Küste einsetzt. Letztlich seien aber nicht allein die Anzahl der Strandbesucher oder die Art der Strandreinigung der springende Punkt. „Wenn man das Problem bei seiner Wurzel packen will, dann muss man verhindern, dass die Menschen den Strand überhaupt verschmutzen, vor allem mit Blick auf das Mikroplastik", so Aniol Esteban.

Er ist sich sicher: Die Balearen hätten das Zeug dazu, Vorreiter in Sachen Strandsauberkeit zu werden. „Schließlich ist die Region bereits spanienweit Pionier in der Anzahl der Meeresschutzgebiete und bei der Reduzierung von Plastikabfällen." Auch die Bereitschaft der linksgrünen Landesregierung sei hoch. Was fehle, sei die ausreichende Unterstützung der Privatwirtschaft, jener, die sich am Tourismus bereichert. Auch Unternehmer müssten bereit sein, aktiv auf Nachhaltigkeit zu setzen und letztlich die Urlauber mitreißen.

„Es gibt bereits einige Konzerne, die vorbildhaft vorangehen und sich auch um nachhaltig saubere Strände bemühen", entgegnet Sebastià Sansó i Jaume, der auch für Umwelterziehung zuständig ist. Er versucht auf zweierlei Arten, die Menschen dazu zu bringen, selbst zur Strandsauberkeit beizutragen: durch Strafen wie das geplante Verbot von Plastikstrohhalmen und durch ­Sensibilisierungskampagnen.

Auch die Anzahl nicht staatlicher Initiativen, die eben jenen Mentalitätswandel herbeiführen wollen, ist groß. Zahlreiche Umweltschutzorganisationen machten Anfang Juni unter dem Motto „Per una mar sense plàstic" (für ein Meer ohne Plastik) gemeinsam auf das Anliegen aufmerksam. Unter dem Motto „coge tres" (nimm drei) rufen zahlreiche Aktivisten seit Jahren auch auf den Balearen dazu auf, dass jeder Mensch pro Strandgang mindestens drei fremde Plastikabfälle aufsammelt.

Plastikfreie Johannisnacht

Auch für die Johannisnacht Nit de Sant Joan am 23.6. hatten sich in diesem Jahr gleich mehrere Gemeinden und Organisationen der Initiative „Residuzero" angeschlossen. Auch hier war die Botschaft klar: Lasst die Strände sauber! „Natürlich sollen die Menschen Sant Joan feiern und genießen, aber ohne die Strände dabei in Müllkippen zu verwandeln", so eine Sprecherin. Auf der Website und in den sozialen Netzwerken wird damit geworben, erst gar keine Plastik­abfälle mitzubringen, die versehentlich in der Feierlaune davonwehen könnten, sondern ausschließlich Material, das später noch einmal benutzt wird. „Es geht darum, dass möglichst viele mitmachen und diese Botschaft verbreiten und nicht darum, Strandgängern ein schlechtes Gewissen einzureden", heißt es.

„Wir haben das Gefühl, dass das Umweltbewusstsein immer weiter wächst", bewertet Sebastià Sansó i Jaume. Margalida Ramis vom Umweltverband Gob stimmt ihm zu. „Und niemand muss sich schlecht oder schuldig fühlen, wenn er zum Strand geht, das wäre ja auch traurig. Aber verantwortlich sollten sich alle fühlen." Dafür, nicht über Neptungras-Reste zu meckern, keine Kippen im Sand zurückzulassen und nicht mal eben in geschützte Dünen zu verschwinden, um sich zu erleichtern. Das sei eine Basis für einen sauberen, ja vielleicht sogar ökologischen Strand - mehr als eine wehendes Gütesiegel jedenfalls.