Die Mallorquiner sprechen von vins de portassa, „Hintertür-Weinen"; auf Deutsch ist eher von Garagenweinen die Rede. Eigentlich gibt es sie schon seit Menschengedenken. Überall dort, wo Wein angebaut wird, wird auch Wein für den Hausgebrauch gemacht. Jedem sein eigener Tropfen. Auf Mallorca sind zu diesen glücklichen Menschen in den vergangenen Jahren immer mehr Ausländer hinzugekommen. Viele von ihnen geben sich längst nicht mehr mit „Hintertüren" oder „Garagen" zufrieden und tätigen teils gewaltige Investitionen. Biniagual, Es Fangar oder Castell Miquel - das sind große unternehmerische Würfe. Derzeit sind 17 der 82 in den Herkunftsbezeichnungen D.O. Binissalem, D.O. Pla i Llevant und Vi de la terra Mallorca registrierten Weingüter in der Hand von Deutschen, Schweizern, Österreichern, Franzosen. Daneben gibt es viele Projekte, die gar nicht mitgezählt werden. Der Traum vom eigenen Wein auf Mallorca, er ist weit verbreitet.

Nicht alle, aber doch sehr viele von denen, die ihn träumen, sind ältere Männer, „die es zu etwas gebracht haben im Leben und sich nun weiter verwirklichen wollen", sagt Henri Fink. Er muss es wissen: Als Geschäftsführer der Firma WeinWert bewirbt er sich bei ihnen als ihr Dienstleister. Klaus Heinemann, 67, einst Vorstand des größten Flugzeug-Verleihers der Welt und noch immer Aufsichtsrat in großen Unternehmen, muss lächeln, als er das hört. „Wer eine erfolgreiche unternehmerische Karriere hinter sich hat, setzt sich im Ruhestand nicht mit einem Buch in die Ecke", stimmt Heinemann zu.

So jemand macht weiter, Wein zum Beispiel. Zusammen mit zwei mallorquinischen Partnern, den Familien Buades und Garau, stellt Heinemann gerade einen neuen Tropfen her: GHB, benannt nach den Nachnamen der Teilhaber. Den Rosé gibt es schon, der Weiße kommt demnächst auf den Markt. Heinemann hat dafür auf seinem 2011 erworbenen Landgut bei Montuïri sechs Hektar Chardonnay angebaut. Streng organisch, der Ehrgeiz besteht darin, einen Spitzenwein herzustellen, der sich auch verkauft.

DER MACHER

Ohne die Hilfe von Einheimischen, die sich wirklich auskennen, geht das nicht. Hier kommt ein Mann ins Spiel, der viele der ausländischen Neu-Winzer an die Hand nimmt - auch Klaus Heinemann. Eigentlich wollte

Carlos Feliu nur eine grüne Oase für sein Agroturismo, sein Landhotel in der Nähe von Porreres schaffen. „Gerade im Sommer ist es hier höllisch heiß, da tut ein wenig Grün gut", sagt Feliu. Es war das Jahr 2003 und der Landwirt, der eigentlich auf Heilpflanzen für die Pharmaindustrie spezialisiert war, pflanzte Weinreben an. „Es kam ein sehr guter Wein heraus, ohne dass wir besonders viel dafür getan hatten", erzählt er.

Im ersten Jahr waren das 900 Liter. Für das folgende Jahr verzehnfachte Feliu die Produktion. Doch er hatte ein Problem: „Weinbau ist teuer, vor allem die Fässer. Ich hatte nicht die finanziellen Mittel, um solch eine Produktion zu stemmen." Also hatte er eine Idee: Was wäre, wenn er andere Leute einladen würde, ihren eigenen Wein aus den vorhandenen Trauben auszubauen? „Sie mussten nur das Fass kaufen und den Wein bezahlen, um alles andere habe ich mich gekümmert", beschreibt Feliu die Anfangszeit von Can Feliu, einer Bodega, in der man sich auch heute noch seinen eigenen Wein ausbauen lassen kann. Mit einem kleinen Unterschied: Hatte Feliu 2004 noch sechs Hektar Anbaufläche, sind es heute an die 26.

Am Anfang seien es nur Freunde und Bekannte gewesen, die mitmachten. Ein Nachbar aus Österreich konnte in seiner Heimat die Flaschen verkaufen. Ein Artikel in der MZ sorgte für ein paar zusätzliche Kunden. „Im ersten Jahr hatten wir zehn Fässer für Leute, die ihren eigenen Wein machen wollten. Dieses Jahr sind es um die hundert." Rund vierzig Prozent des auf Can Feliu angebauten Weines geht derzeit an die Eigenkreationen. „Aber es gab Jahre, da lag der Anteil schon bei 70 Prozent." Die meisten seiner Kunden seien Mallorquiner, Deutsche und Schweizer.

Einige von ihnen waren zunächst verunsichert: Was, wenn ihnen das Endergebnis nicht schmeckt? Feliu hat da eine einfache Lösung gefunden. „Entweder sie nehmen einen der Weine, die wir ausgebaut haben, oder sie warten ein Jahr und versuchen es noch einmal. Wenn's beim zweiten Mal auch nicht klappt, gibt's das Geld zurück." Keiner solle mit einem Wein nach Hause gehen, der ihm nicht schmeckt.

Die Qualität des Weins sei eine Frage des Geldes, sagt Feliu. „Es fängt bei der Anpflanzung an, wie viele Trauben pro Quadratmeter wachsen. Dann kommen die Fässer - will man die Guten für 900 Euro oder nimmt man eins für 300 Euro? Benutzt man ein Fass drei Jahre oder zehn Jahre? Klar wird der Wein in alten Fässern billiger, aber damit sinkt auch die Qualität."

Nach dem Preis frage aber kaum einer seiner Kunden. „Sie wollen auf ihren Wein stolz sein", sagt Feliu. Die Weinliebhaber verbrächten viel Zeit bei ihm, wollten an allen Schritten beteiligt sein. „Sie haben häufig eine klare

Vorstellung von dem, was sie sich wünschen." Wer Beratung brauche, kriege sie aber natürlich. „Der Kunde wird, was seinen Wein angeht, zum Chef dieser Bodega." Wobei natürlich auch Feliu hinzulernt, etwa wie wichtig den Deutschen und Schweizern leichte Weißweine und Rosés für den Sommer sind. Den Wein, den er für GHB macht, ist so konzipiert, daher die Chardonnay-Trauben auf Heinemanns Landgut. Was die Rotweine betrifft, baute Feliu ursprünglich Cabernet Sauvignon, Merlot, Syrah und die einheimische Callet an. „Allerdings haben meine ausländischen Kunden den Callet nicht verstanden. Die Schweizer wollten Merlot, die Deutschen Cabernet Sauvignon." Also habe er nach und nach die Callet-Produktion runtergefahren. „Seither sind unter anderem Cabernet Franc und Petit Verdot dazugekommen."

Wirklich Ahnung von Wein müsse man nicht haben, um sein eigenes Bouquet zu kreieren, sagt Feliu. Man probiere die Weine und lege dann gemeinsam das Mischverhältnis fest. „Es geht hier um Geschmack. Ich sage meinen Kunden immer: Wenn man einen guten Wein mit einem anderen guten Wein mischt, bekommt man immer einen guten Wein. Aber manchmal kann es sein, dass ein noch viel besserer Wein herauskommt."

DEN HÜHNERN SEI DANK

Auch Kurt Schultz aus Schleswig-Holstein baut in der Nähe von Colònia de Sant Pere seinen eigenen Wein an - und lässt ihn dann von Carlos Feliu keltern und lagern. Der norddeutsche Landwirt geht die Sache nicht ganz so

ambitioniert an wie Klaus Heinemann. „Wein war schon immer mein Traum", sagt er. „Finanziell ist das natürlich ein Desaster, aber das ist bei Hobbys ja häufig so." 1992 erwarb er seine Finca, seit 2004 baut er seine eigenen Reben an - ein Viertel Monastrel und drei Viertel Syrah. Feliu habe ihm damals beim ersten Anbau geholfen, bei der Pflege helfe ihm ein Nachbar. „Wir kommen bei der Lese auf rund 1.000 Kilo - das macht zwei bis drei Barrique-Fässer von je 225 Litern", sagt Schultz. Der norddeutsche Landwirt benutzt Fässer aus französischer Eiche, die mindestens einmal gebraucht worden sind. „Bei neuen Fässern ist mir häufig zu viel Holz im Geschmack."

Die meisten Flaschen gehen nach Deutschland, allerdings gibt es den Wein unter dem Namen „Els Cabanellins" auch im Restaurant Els Vivers in Colònia de Sant Pere zu kosten. „Auf das Etikett haben wir die Silhouette eines Huhns gedruckt, was uns daran erinnert, wer den Spaß finanziert: die Hühner auf dem Hof in der Heimat."

JEDEM SEINE REBE

Den Traum der Wein-Enthusiasten zum Lebensunterhalt zu machen, das versuchen auch Deutsche. Ja, er sehe sich durchaus als Mitbewerber von Carlos Feliu, sagt Henri Fink, Geschäftsführer und Chefwinzer des Unternehmens WeinWert. Er bietet Fincabesitzern an, für sie Wein zu pflanzen, ihn zu pflegen und dann auch auszubauen. Er tue das bereits auf über 40 Parzellen auf der Insel, sagt er, auf über 20 Hektar. Die Vertragsmodalitäten sind komplex, die einfachste Variante bestehe darin, dass der Kunde 9.000 Euro zahle und 1.000 Quadratmeter Brachfläche für den Wein zur Verfügung stelle. Ansonsten brauche man sich „um nichts zu kümmern", verspricht Fink. Ab dem dritten Jahr sei der Weinberg bereit zur Weinlese, und auch bei der Vermarktung könne man zusammenarbeiten. Seine Kunden kämen „quer aus der Residenten-Welt Mallorcas". Manche Beratungsgespräche endeten auch mal „feuchtfröhlich".

Die erste Lese steht 2019 an. Fink plant, eine größere Bodega zu bauen, noch aber würden die Weine bei Resident, einem deutschen Weingut mit Landhotel bei Binissalem gekeltert. Finks Geschäftspartner bot dort in in der Vergangenheit auch schon mal „Weinaktien" in Form von Reben an. Etwas Ähnliches schwebt auch Alex und Sören Grahe vor. Das Hamburger Ehepaar hat vor knapp zwei Jahren ein Grundstück außerhalb von Sineu gekauft und dort Anfang des Jahres 2.450 Reben gepflanzt. Hier wachsen nun die Rotweinreben Cabernet Sauvignon, Mantonegro und

Syrah sowie Malvasia Aromatica und Macabeo für die Weißweine.

Gelernte Winzer sind die Grahes nicht, sie lassen sich von Fink unterstützen. Finanziert werden soll das „WeinFeldSineu", so heißt das Projekt, über Rebenpatenschaften. Je nach Dauer der Patenschaft und Anzahl der Reben zahlt man einen einmaligen oder jährlichen Betrag. Dafür gibt es eine entsprechende Anzahl Flaschen. Los geht es bei 80 Euro für eine dreijährige Patenschaft. „Wir würden gern damit eine Community an Weinliebhabern gründen", sagt Alex Grahe. Die Paten sollen vorbeikommen und mit den Grahes ein Glas Wein auf der Terrasse des Grundstücks trinken.

Jeder der Kunden bekommt an seinen Reben ein Holzschild mit dem Namen. Auf der Website können die Rebenpaten auf ihre Website verlinken. „Auch wollen wir zum Beispiel einen Wettbewerb für die Gestaltung des ersten Etiketts veranstalten", sagt Grahe. Bevor es so weit ist, müssen aber noch einige Reparaturen auf dem Grundstück erledigt werden, ­unter anderem muss die Zisterne auf ­Vordermann gebracht werden. Deshalb haben die Grahes - ganz im Sinne eines Community-Gedankens - eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Als „Dankeschön", wie bei dieser Art von Finanzierungsmodellen üblich, gibt es - Rebenpatenschaften. 2020 soll der erste Jahrgang im „WeinFeldSineu" entstehen. Im Gegensatz zu anderen Hobbywinzern haben die Grahes einen eher bescheidenen Anteil an Reben für sich selbst reserviert: eine einzige Rebe. „Die Nummer 13, das ist unsere Glückszahl."

Hoffentlich ist sie das auch für ihre Geldgeber. Vertretern einheimischer Winzer auf Mallorca sind derlei deutsche Geschäftsmodelle nicht bekannt. Weder Antoni Bennàssar von der D.O. Pla i Llevant noch Andreu Oliver, lang­jähriger Vorsitzender der Vereinigung Petits Cellers haben davon gehört. Im Prinzip, so sagen sie, würden sie den ausländischen Enthusiasmus begrüßen. Das sei doch „fantastisch", sagt Oliver. Er fügt aber sogleich hinzu, dass ihm die immer größeren Landkäufe ausländischer Investoren Sorgen berieten. Auch Bennàssar warnt vor „Spekulation" und hofft darauf, dass die Neu-Winzer sich tatsächlich auf die Insel einlassen, auch längerfristig dabei bleiben und keine verbrannte Erde hinterlassen.

Der Faktor Zeit ist auch für Klaus Heinemann, den von schnellen Renditen erfolgsverwöhnten Luftfahrt-Manager, der sich erst nach dem Kauf seiner Finca überlegte, was er mit ihr anfangen sollte, in dieser Hinsicht eine neue Erfahrung. „In der Landwirtschaft muss man anfangen, in längeren Zeiträumen zu denken. Beim Weinanbau vergehen vor dem ersten Ertrag fünf Jahre - wenn denn alles gut geht." Einen eigenen Wein anzubauen, sei für ihn eine Frage der „Leidenschaft - mit etwas wirtschaftlichem Verstand."