"Du bist doch Journalist. Da hätte ich eine spannende Geschichte für dich, falls du dich traust, über das Thema zu schreiben." Wenn Sie einmal einen Journalisten neugierig machen wollen, benutzen Sie am besten genau diese Sätze. Biel Nicolau, mein mallorquinischer Nachbar, Glaser von Beruf, Wanderer aus Leidenschaft, schmunzelt herausfordernd. Schon immer wollte er mich zu einem Streifzug durch sein geliebtes Tramuntana-Gebirge auf Mallorca überreden. Diesmal gelingt es ihm mit einem Versprechen: "Ich zeige dir die Stellen, an denen die Autoknacker-Banden die geklauten Portemonnaies wegwerfen." Ich beiße an, wir verabreden uns fürs Wochenende. "Du brauchst gute Schuhe und eine große Tasche." Er übertreibt, denke ich. Und irre.

Samstagmorgen. Wanderwetter. Wir stellen den Wagen an einer kleinen Parkbucht der Bergstraße zwischen Sóller und Lluc ab. Etwa zwei Kilometer vor dem Tunnel in Richtung Kloster. Biel rät eindringlich: "Lass ja keine Wertsachen im Auto. Schließ am besten gar nicht ab, dann müssen sie nicht die Tür aufbrechen." Maßlos übertrieben, denke ich erneut.

Biel weiß, wovon er spricht. Während wir über die Leitplanke steigen und parallel zur Landstraße die steile Böschung in Richtung Gebirgstunnel entlangkraxeln, erzählt er mir, wie ihm vor etlichen Jahren das erste Mal sein Auto geplündert wurde. Damals hätten die Diebe nicht nur die Geldbeutel seiner Wanderfreunde geklaut, sondern auch einen noch nicht entwickelten Film mit für die Familie wichtigen Fotos. "Da hat man Filme noch entwickeln lassen, ja, ja, das ist schon ein paar Jährchen her."

Er habe damals einen ganzen Tag damit verbracht, die Autostrecke abzufahren und versucht, sich gedanklich in die Diebe hineinversetzt: "Wo würde ich die leer geräumten Brieftaschen wegwerfen?", fragte er sich. Schließlich habe er sich für jene Kurven entschieden, in denen man automatisch abbremst und der Beifahrer die Beutel möglichst weit einen unwegsamen und nicht einsehbaren Abhang hinunterwerfen kann. Genau an diesen Stellen sei er damals heruntergeklettert. Auf diese Weise fand er - neben vielen anderen geplünderten Handtaschen - auch die Ausweise seiner Frau und die einer weiteren Gefährtin wieder, seinen eigenen aber nicht. Den Film auch nicht. Aber er war davon beeindruckt, wie viele Taschen dort lagen. Und da sich die Polizisten für seine kriminologische Erkenntnis - die mit den Kurven und den steilen Böschungen - nicht interessierten, trug er das Thema jahrelang mit sich herum. Nun will er sie endlich seinem Nachbarn, dem deutschen Journalisten, eröffnen.

Und tatsächlich, nach einer halben Stunde Gekraxel findet Biel eine erste Handtasche. Ein paar Meter weiter ziehe ich - angewidert und mit spitzen Fingern - die erste vermoderte Geldbörse aus dem Laub. Darum herum liegen mehrere Ausweise im Moos. Ich stecke alles in die große Tüte. Drei Stunden später quillt nicht nur dieser Beutel über. Auch ein gefundener rostiger Eimer sowie eine weitere große Einkaufstasche sind randvoll mit Geldbeuteln und Ausweisen gefüllt. Biels Theorie bestätigt sich: In jeder steilen und schlecht einsehbaren Kehre häufen sich die Portemonnaies, Handtaschen und einzeln herumliegenden Ausweise. Die Kurve direkt vor dem Autotunnel erweist sich als ergiebigste Stelle. Hier finden wir sogar mit Ausweisen verschiedener Opfer vollgestopfte Taschen oder zugeklebte Plastiktüten voller Kreditkarten.

Die Neugier besiegt sowohl den anfänglichen Ekel als auch die Scham, in der Privatsphäre fremder Leute zu stöbern. Aus den Taschen fingern wir zwischen Nacktschnecken und modrigem Laub angegammelte Familienfotos, verklebte Naschereien, Treuepunkte der Konditorei und jede Menge Kreditkarten, Reisepässe und Ausweise aller Herren und Damen Länder hervor: Spanien und Deutschland, Griechenland und Großbritannien, Schweden und Schweiz, Frankreich und Rumänien. Aber auch Pässe weit entfernter Orte wie Argentinien und Kambodscha sind dabei. Die Insel ist auch hier im Matsch unschlagbar international.

Bass erstaunt bin ich, als ich den Dienstausweis einer Polizistin aus Brandenburg samt Fahrerlaubnis, Flughafen-Passierschein und niedlichen Kinderfotos aus dem Dickicht klaube. Ich nehme mir vor, ihr den Ausweis persönlich zuzuschicken. Bei der Gelegenheit, so denke ich, kann ich ihr auch alle Fragen stellen, die mir bei jeder Handtasche in den Sinn kommen, die ich finde. Wo wurde das geklaut? Wie lange ist das her? War viel Bargeld in der Tasche? Hat die Familie den Rückflug aus dem Mallorca-Urlaub verpasst, weil sie ohne Ausweise nicht fliegen konnte? War der ganze Urlaub ruiniert, weil sich die Ehepartner gegenseitig die Schuld dafür zuschoben, die Sachen im Auto gelassen zu haben? Meine Fantasie geht mit mir durch. Aber der Diebstahl der Urlaubskasse samt aller Papiere kann einem leicht die Stimmung vermiesen.

Daheim wird die feuchte Beute erst einmal auf einem Tisch in der Sonne ausgebreitet, getrocknet und gesichtet. Rostige Reißverschlüsse lassen sich nicht mehr öffnen. Ein Teppichmesser hilft weiter. Dann beginne ich mit

dem Sortieren. Schimmelige Visitenkarten, Kassenbons und Zehnerkarten fürs Solarium landen im Müll. Ausweise, Führerscheine, Pässe, Kreditkarten und persönliche Fotos werden taschenweise mit einem Gummiband zu kleinen Stapeln gebündelt.

Niemand will das Zeug

Ein befreundeter Ortspolizist aus Palma erklärt mir am Telefon, dass für die Landstraßen die Guardia Civil zuständig sei. Vorsichtshalber rufe ich auch noch einen Bekannten bei der Guardia Civil an, der mir wiederum sagt, ich solle das Zeug lieber zur Ortspolizei Sóller bringen. Im Prinzip könne ich es ja bei jeder beliebigen Wache abgeben. Da ich in Bunyola wohne, entscheide ich mir für die Ortspolizei Bunyola.

Die diensthabende Beamtin - es ist inzwischen Sonntagnachmittag - schaut mich strafend an. Mir ist klar, dass ich ihr mit den 73 Personalausweisen und Pässen aus 20 Ländern sowie über 200 Kreditkarten einen fiesen Batzen Arbeit aufhalse. „Warum haben Sie die nicht in den Portemonnaies gelassen? Das Sortieren der Ausweise ist nicht ihre Aufgabe", sagt sie streng. Doch als ich ihr anbiete, die feuchten Taschen nachzuliefern, winkt sie ab. Ganz geheuer ist ihr der deutsche Journalist mit dem Batzen geklauter Ausweise jedenfalls nicht. Ich muss meine Telefonnummer hinterlassen, sie wolle die Sache mit der Vorgesetzten besprechen. Dass ich den deutschen Polizeiausweis behalten habe, verschweige ich lieber.

Inhaberin des Dienstausweises ist Kristin Walter, Hubschrauberstaffel. Über einen Anruf bei ihrer Dienststelle in Brandenburg erhält sie meinen Kontakt, und tatsächlich habe ich sie am nächsten Tag am Telefon. Der Diebstahl beim Mallorca-Urlaub liegt inzwischen zwei Jahre zurück. Das Portemonnaie wurde ihr am Mirador de ses Barques aus der Handtasche gezogen. Der Verlust des Dienstausweises hatte eine internationale Fahndung und fast ein Disziplinarverfahren zur Folge. Außerdem hätte sie beinahe ihren Flug verpasst. Ausweis, Führerschein und Fotos stecke ich in einen Briefumschlag. Liebe Grüße von der Insel!

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