Die Finca liegt verlassen da, am Rande der Ortschaft Establiments, einem Stadtteil von Palma. Das Haupthaus aus dem Jahr 1232 strahlt eine kühle Strenge aus, wirkt unneinnehmbar. Besitzerin von Bunyolí, wie das Herrenhaus samt Ländereien an den Ausläufern der Serra de Tramuntana heißt, ist eine ältere Dame. Stirbt sie, geht die 376 Hektar große Finca in den Besitz ihrer fünf Kinder über. Würden sie Bunyolí verkaufen, könnten sie alle Millionäre werden.

Antònia Rosselló (Name von der Redaktion geändert) ist bereits Millionärin. Die Mallorquinerin lebt mit ihrem Mann in einer kleinen, geradezu bescheidenen Wohnung in Palma. Auf ihrem Konto türmt sich Bargeld in Höhe von sieben Millionen Euro. Daneben ist sie Besitzerin mehrerer Immobilien auf der Insel im Wert von weiteren sieben Millionen Euro. Das Erbe stammt von ihrem Vater, der als Kaufmann im Wassersportsektor ein Vermögen verdient hat. Die inzwischen pensionierte Frau und ihr Mann haben zwei Kinder, die beide mitten im Berufsleben stehen - und bislang kein Interesse an dem Erbe haben. „Sie haben sich ihr Leben selbst aufgebaut und wollen auch jetzt, wo sie erben könnten, nichts daran ändern", sagt Alejandro del Campo, Anwalt und Spezialist für Erbrecht in der Kanzlei DMS Consulting in Palma, der die Geschichte von Antònia Rosselló erzählt. Das gehe so weit, dass beispielsweise die Tochter für den Kauf ihrer Wohnung einen Kredit aufgenommen habe.

So unterschiedlich die beiden Fälle gelagert sind, gemeinsam ist ihnen, dass bei beiden viel Geld im Spiel ist. Alejandro del Campo kommen Erbschaftsfälle dieser Größenordnung auf Mallorca jeden Monat mehrfach unter. Klar: Die Multimillionärsfamilien aus der Hotelbranche sind bekannt, seien es die Fluxàs, die Escarrers, die Rius oder die Meliàs. Aber daneben gibt es auf der Insel viele, denen man ihr Vermögen nicht ansieht. Die äußerst diskret mit ihren Besitztümern umgehen und die häufig einem ganz normalen Job nachgehen, obwohl sie mehrere Millionen Euro auf dem Konto haben. „Oder die, die von ihren Einnahmen aus Vermietungen leben, aber trotzdem nur in einem kleinen Apartment wohnen", erzählt Carlos Anglada, Anwalt bei Monereo Meyer Abogados in Palma. „Das Phänomen der Menschen, die ausschließlich von Mieteinnahmen leben - und das nicht schlecht - gibt es in der Häufigkeit wohl an keinem anderen Ort in Europa", sagt Anglada.

So wie der Mann mittleren Alters aus Cala Ratjada. Er ist einer der Mallorquiner, die mehrere Immobilien geerbt und vermietet haben. Auch ihm sieht man sein Vermögen nicht an. Im Gegenteil: Er führt einen kleinen, beinahe schäbigen Lebensmittelladen und kleidet sich unprätentiös. Wohl nur wenige Kunden würde auf die Idee kommen, dass sie gerade bei einem reichen Erben einkaufen.

Europaweit spitze

Dass es auf Mallorca ordentlich was zu erben gibt, bestätigt eine aktuelle Statistik des spanischen Finanzamtes von Mitte November, nach der die Insulaner mehr erben als die Bewohner aller anderen Regionen in Spanien. Im Durchschnitt sind es 150.082 Euro. Nimmt man die Erben, die über 21 Jahre alt sind, sind es sogar 161.687 Euro. Im vergangenen Jahr wurden laut der Statistik auf Mallorca 19.199 Erbschaften von den Notaren auf der Insel in die Wege geleitet. Und die Summe nimmt jährlich zu: Allein in den vergangenen drei Jahren stieg das Pro-Kopf-Erbe um 14.000 Euro an.

Was die Zahlen von Mallorca noch eindrucksvoller macht: Laut einer Studie der OECD aus dem Jahr 2015 liegt das durchschnittliche Erbe in Spanien an der Spitze der europäischen Länder, nur übertroffen von Österreich. Dass Mallorca wiederum im spanienweiten Vergleich an der Spitze rangiert, liegt laut Miquel Àngel Mas von der Kanzlei DMS Consulting zu einem großen Teil an den in den vergangenen Jahren rasant gestiegenen Immobilien- und Grundstückspreisen auf der Insel. Daneben gibt es laut Mas noch einen zweiten Faktor: „Die Leute lassen sich inzwischen immer detaillierter beraten und merken, dass es sich oft anbietet, bei ihren Nachlässen den wahren Wert der zu vererbenden Immobilien anzugeben." Noch vor einigen Jahren sei es gang und gäbe gewesen, den Wert mit Tricks zu verringern, um steuerliche Vorteile zu ergattern. Das Problem allerdings ergibt sich bei einem Verkauf der Immobilie: Sollte der Verkäufer dann nicht den reellen Wert der Immobilie eingetragen haben, droht eine Nachzahlung der sogenannten Wertzuwachssteuer, der plusvalía, die dreimal so hoch ist wie die Erbschaftssteuer.

Eine weitere Erklärung der hohen Erbschaften auf Mallorca ist in der steuerlichen Behandlung der Nachlässe zu suchen: Auf den Balearen liegt der Steuersatz auf Erbschaften von Verwandten ersten Grades bis zu einem Wert von 700.000 Euro gerade einmal bei einem Prozent - so niedrig wie in kaum einer anderen Region des Landes. Eine Schenkung hingegen wird derzeit mit 7 Prozent für die ersten 700.000 Euro besteuert. Daher greifen in den vergangenen drei Jahren immer mehr Insulaner auf Erbschaften zu Lebzeiten zurück, die sogenannten pactos sucesorios. Nach einem Urteil des Obersten Spanischen Gerichtshofs im Jahr 2016 sind diese Erbschaften zu Lebzeiten möglich, wenn der Erbende schriftlich auf seinen ihm gesetzlich zustehenden Teil der Erbmasse (la legítima) verzichtet. Dann ist der Weg frei für die Transaktion, die im Grunde eine Schenkung ist, aber nur mit einem Steuersatz von einem Prozent zu Buche schlägt.

Clever heiraten

Nun ist es keine neuere Entwicklung, dass auf Mallorca reichlich Geld und andere Güter, wie Immobilien oder auch Antiquitäten, vererbt werden. Dass es in der Vergangenheit überhaupt zu der für die Insel typischen Anhäufung von großen Vermögen kommen konnte, ist laut dem Historiker Pep Villalonga vor allem zwei Gründen geschuldet. „Eine wichtige Rolle spielten die strategisch eingefädelten Hochzeiten zwischen Vertretern der finanzkräftigsten Familien, die vor allem darauf aus waren, ihr Vermögen mit der Eheschließung weiter zu vermehren." Über Generationen hinweg seien auf der Insel Hochzeiten in den begüterten Kreisen auf diese Weise abgehalten worden. „Die einzige Herausforderung bestand darin, einen Partner zu finden, der das eigene Vermögen noch vermehrte." Ein zweiter Grund dafür, dass viele Familien über Jahrhunderte ihre riesigen Ländereien tatsächlich aufrechterhalten konnten, war eine vertragliche Figur, die sich fideicomiso nennt. Mithilfe eines derartigen Vertrages sicherten die Erblasser schriftlich ab, dass die Besitztümer der Familie erhalten blieben und nicht verkauft werden durften. So blieb den Nachkommen nichts anderes übrig, als die Herrenhäuser und Land­güter zu unterhalten, ohne damit aber ein ­Geschäft machen zu können.

Das Glück der Erstgeborenen

Wie die Erbschaften über die Bühne zu gehen hatten, war in den traditionellen Familien der Insel klar definiert: Der erstgeborene Sohn bekam alles. Hatte die Familie ausschließlich Töchter oder keine Nachkommen, bedachte sie oft einen nahestehenden männlichen Verwandter mit dem Nachlass. Der erstgeborene Sohn oder der nahestehende Verwandte teilten dann auf die restlichen Geschwister die sogenannte legítima auf. „Das war laut Gesetz ein Drittel des Gesamtvermögens, aber bei beispielsweise drei Geschwistern war es dann eben nur noch ein Neuntel", sagt Historiker Tomàs Vibot. Die geringen Summen führten häufig dazu, dass der erstgeborene Sohn ein ­finanziell sorgenfreies Leben führen konnte, seine Geschwister allerdings im Extremfall etwa den Gang ins Kloster vorzogen. „Das ist nicht selten vorgekommen", sagt Vibot.

In den vergangenen 70 Jahren hat sich das Los in einigen Familien mit dem einsetzenden Tourismus-Boom auf der Insel radikal gewendet. „Bevor die Küste interessant wurde, waren die Ländereien im Inneren der Insel viel begehrter, weil sie landwirtschaftlich nutzbar waren", erklärt Juan Franch Fluxà, Tourismusexperte und Professor an der Balearen-Universität. Gemäß der Erbphilosophie bekamen die Erstgeborenen die vermeintlich wertvollen Ländereien im Inselinneren, während man die jüngsten Kinder mit den versalzenen und unbrauchbaren Besitztümern am Meer abspeiste, sagt Franch Fluxà. Als der Urlauberandrang in den 1950er-Jahren begann, mussten Hotels und Apartmentanlagen gebaut werden. Plötzlich waren die Landstriche an der Küste heiß begehrt. Und die Erben, die die Ländereien verkaufen konnten, gemachte Leute.

Bloß kein Herrenhaus

Nicht immer aber macht es Freude, großen Immobilienbesitz zu erben. Viele der Nachkommen der großen Herrenhäuser müssen mit ganzem Einsatz für ihren Besitz kämpfen. So wie die Familie Fortuny auf der Finca Comassema in der Nähe von Orient. Die Possessió ist äußerst weiträumig, die Gebäude verwinkelt. Sie auch nur rudimentär zu heizen, kostet ein kleines Vermögen. Und so steht die Familie zwar mit einem riesigen Immobilienbesitz da, steckt aber einen großen Teil ihres Bargelds in den Erhalt der Finca. Manchen Besitzern von Possessions gelingt es, etwa ein Landhotel aus dem Herrenhaus zu machen oder das Gebäude für Feierlichkeiten, wie etwa Hochzeiten oder große Geburtstagsfeiern, zu vermieten. Oft scheidet diese Option aber auch aus, weil die Possessions denkmalgeschützt sind. Bauliche Veränderungen dürfen nur selten vorgenommen werden. Bliebe noch der Verkauf, aber die Fortunys wollen erst verkaufen, wenn es gar nicht mehr anders geht.

Im Falle der Finca Bunyolí nahe Establiments ist die Entscheidung längst gefallen. Die Besitzerin versucht seit Jahren verzweifelt, die Immobilie an den Mann oder die Frau zu bringen. „Està venal que bota", sagt etwa der Verwalter der Finca. Den Ausdruck verwenden Fischverkäufer für ihre Ware, wenn sie sagen wollen: „Der ist so frisch, der hüpft sogar noch."