Auf Mallorca wächst der Unmut über Kreuzfahrtschiffe. 23 Vereinigungen haben Anfang Juni ein gemeinsames Manifest veröffentlicht, in dem die negativen Begleiterscheinungen dieser Urlaubsform aufgezählt werden (MZ berichtete). Wir haben mit Experten, Umweltschützern und Kreuzfahrt-Lobbyisten die zentralen Thesen des Manifests besprochen und daraufhin abgeklopft, ob sie haltbar sind.

1. Palma steht bei der Luftverschmutzung durch Kreuzfahrtschiffe auf Platz zwei in Europa

KreuzfahrtschiffeDas ist das Ergebnis einer Studie von Transport & Environment, der europäischen Dachorganisation von nichtstaatlichen Organisationen aus dem nachhaltigen Verkehrsbereich. Demnach ist vor allem die Schwefeldioxid-Belastung ein großes Problem. Laut dieser Studie stoßen allein die Kreuzfahrtschiffe der Reederei Carnival Cruises zehnmal mehr Schwefeldioxid im Jahr aus als alle 260 Millionen Pkw in Europa zusammen. Diese Abgase enthalten eine Menge Feinstaub.

Eine Untersuchung von drei Forschern der Bloomberg School of Public Health, die im Januar 2019 vorgestellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass die Partikelbelastung auf Kreuzfahrtschiffen zumindest zeitweise der in einer großen Industriestadt entspricht. Eine Untersuchung der balearischen Hafenbehörde und der Balearen-Universität UIB kam Anfang 2018 zu dem Ergebnis, dass sich die schlechte Luftqualität rund um den Hafen von Palma „nicht allein" durch die Anwesenheit der Kreuzfahrtschiffe erklären lässt.

Der Generaldirektor des internationalen Kreuzfahrt-Verbandes CLIA in Spanien, Alfredo Serrano, interpretiert das im Gespräch mit der MZ dahingehend, dass „Kreuzfahrtschiffe nichts mit der Verschmutzung der Luft im Hafen zu tun" haben. Man dürfe im Übrigen nicht den Fehler machen zu glauben, dass Palma nach Barcelona die zweitschlechteste Luft in Europa habe. „Das sagt die Studie nicht. Und selbst wenn die Partikelbelastung im Hafen hoch ist, dann ist diese dadurch erklärbar, dass in Palma europaweit nun mal mit die meisten Kreuzfahrtschiffe anlegen."

Das Problem beim Thema Luftverschmutzung ist, dass je nach herangezogenem Parameter dieses oder jenes Ergebnis herauskommt. Darauf macht der Referent für Verkehrspolitik beim Naturschutzbund Deutschland, Sönke Diesener, aufmerksam. Der Schiffsexperte erklärt der MZ: „In Sachen Schwefel und Feinstaubbelastung sind Kreuzfahrtschiffe sicher viel schädlicher als Verkehrsmittel an Land." Immerhin verbrennen Kreuzfahrtschiffe noch immer mehrheitlich ­ besonders giftige Schweröl. „Es sind praktisch Kleinstädte mit einem Schwerölkraftwerk. Etwas, das an Land heute undenkbar wäre", sagt Diesener. Der NABU veranstaltete vor knapp zwei Jahren Messungen in Port Pi. Bei der Anwesenheit von zwei Schiffen wurde eine Belastung von 70.000 Partikeln pro Kubikzentimeter gemessen. Vor der Ankunft der Schiffe lag die Belastung am selben Ort bei 1.500 Partikeln.

Geht es nach dem CO2-Ausstoß, stehen die großen Pötte dagegen nicht unbedingt schlecht da. „Die Klimabilanz eines einzelnen Urlaubers auf einem Kreuzfahrtschiff mit 6.000 Leuten ist relativ gut", sagt Diesener.

2. Kreuzfahrtschiffe verursachen 24 Prozent des weltweiten Abfalls im Meer

„Gütige Muttergottes", entfährt es Alfredo Serrano. „Wie kann man nur so einen Unsinn in die Welt setzen?" Angesichts von knapp 350 Kreuzfahrtschiffen weltweit, vier Millionen Betten und rund 28 Millionen Kreuzfahrturlaubern scheint die Zahl tatsächlich mehr als fragwürdig. Sie stammt von der Meeresschutzorganisation Oceana und ist bereits 15 Jahre alt. In der Zentrale in Madrid wundert man sich, dass die Zahlen heute noch verwendet werden. „Wir haben allerdings keine neueren", erklärt eine Sprecherin. Auch beim mallorquinischen Meeresforschungsinstitut Imedea ist man bisher keine Studie zu Kreuzfahrtschiffen angegangen.

Laut CLIA-Direktor Serrano leiten die modernen Kreuzfahrtschiffe heute überhaupt keinen Abfall mehr ins Meer, sondern verfügen an Bord über Recycling-Vorrichtungen. Der behandelte Abfall wird dann in den Häfen ausgeladen. Das wurde zum Teil zur Zeit der Oceana-Untersuchung 2004 noch anders gehandhabt. Sönke Diesener vom NABU kommen die 24 Prozent ebenfalls überzogen vor. „Das kann ich mir nicht vorstellen, die Kreuzfahrtindustrie ist bisher nicht als großer Verursacher von Müll im Meer aufgefallen", sagt der Schiffsexperte. „Die meisten Schiffe geben ihren Abfall an Land ab."

3. Kreuzfahrtschiffe sorgen durch ihr Gewicht für Strömungen, die den Meeresgrund zerstören

Einen wissenschaftlichen Nachweis für diese Theorie gibt es nicht. Selbst Sönke Diesener vom NABU bezweifelt, dass ausgerechnet Kreuzfahrtschiffe schädliche Strömungen verursachen. „Sie gehören eher zu den leichteren Schiffen, Frachtschiffe sind da viel schlimmer, weil sie schwerer sind und viel mehr Tiefgang haben." Trotzdem könnten auch von Kreuzfahrtschiffen Wellen ausgehen, die Sedimente an sensiblen Stellen ablagern könnten. „Das Problem ist hauptsächlich, dass Kreuzfahrtschiffe eher in ökologisch sensiblen Gebieten unterwegs sind und ihren Passagieren unberührte Natur zeigen wollen."

Deshalb komme es immer wieder zu Zusammenstößen etwa mit Korallenriffen. Im März 2017 etwa war ein Kreuzfahrtschiff in einem artenreichen Gebiet im Osten von Indonesien gegen ein Riff geprallt und hatte schwere Schäden verursacht. CLIA-Direktor Serrano streitet eine Schädigung kategorisch ab. „Diese Schiffe nehmen dieselben Routen wie die Frachtschiffe und stimmen die Strecken vorher genau mit den örtlichen Behörden ab."

4. Die Schiffe entsorgen Grauwasser vier Seemeilen vor der Küste im Meer

Grauwasser wird als fäkalienfreies, gering verschmutztes Abwasser definiert, wie es etwa beim Duschen, Baden oder Händewaschen anfällt und zur Aufbereitung zu Brauchwasser dienen kann. Es hat vor einer Aufbereitung zwar keine Trinkwasserqualität, wirklich gefährlich ist es aber nicht. CLIA-Direktor Serrano sagt: „Die Entsorgung von Grauwasser wenige Seemeilen vor der Küste ist zwar erlaubt, fast alle Kreuzfahrtschiffe aber machen das deutlich weiter von der Küste weg. 53 Prozent der Schiffe behandeln das Grauwasser inzwischen zusätzlich, sodass es nahezu schadstofffrei ist." Alle neuen Schiffe bekämen ebenfalls diese Technologie eingebaut. Sönke Diesener bestätigt, dass das Entsorgen von Grauwasser nahe der Küste erlaubt ist. „Aber wir halten das für falsch, denn im Grauwasser entsorgen die Kreuzfahrtschiffe oft auch geschredderte Küchenabfälle, die zur Überdüngung der Meere beitragen, wenn sie in großen Mengen ins Wasser gelangen."

5. An manchen Tagen sind bis zu 15.000 Kreuzfahrturlauber in Palma unterwegs

Das sind Hochrechnungen der Kreuzfahrtgegner, die zumindest derzeit nicht haltbar sind. Am Dienstag (18.6.) etwa, einem Tag mit fünf Schiffen gleichzeitig - übrigens das einzige Mal bis August - sind es bei maximaler Belegungszahl der fünf Schiffe rund 12.000 Passagiere. Am Freitag (21.6.) sind es bei drei großen Schiffen maximal rund 13.000 Passagiere. Von denen besucht allerdings nur ein Teil die Altstadt. CLIA-Direktor Serrano sagt: „Da Palma ein beliebter Start- oder Zielpunkt von Kreuzfahrten ist, kommen viele Urlauber direkt vom Flughafen zum Schiff oder andersherum, ohne in die Altstadt zu fahren." Laut der Studie zu wirtschaftlichen Auswirkungen des Kreuzfahrttourismus auf den Balearen der Balearen-Universität von November 2017 nutzt rund ein Drittel der hier ankommenden Kreuzfahrturlauber Palma auch als Start- oder Zielpunkt. Hinzu kommt, dass laut Statistiken der CLIA pro Hafentag rund 15 Prozent der Passagiere auf dem Schiff bleiben.

6. Hohe öffentliche Ausgaben sind für Infrastruktur nötig, die in den Bereichen Bildung und Gesundheit fehlen

Richtig ist, dass in den vergangenen drei Jahren allein im Hafen von Palma rund 25 Millionen Euro in den Ausbau der Infrastruktur für große Kreuzfahrtschiffe gesteckt wurden. Und richtig ist auch, dass die Hafenbehörde, die das Geld ausgegeben hat, zur spanischen Regierung gehört. Trotzdem, erklärt Sprecher Raimond Jaume, „finanziert sich die Behörde aus eigenen Einnahmen". Es sind also keine Steuergelder, die in den Ausbau der Häfen fließen. In der Studie der UIB zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Kreuzfahrttourismus heißt es, dass diese Urlaubsform im Jahr rund 256 Millionen Euro auf den Balearen umsetzt. Knapp 5.800 Familien hingen direkt oder indirekt von den Urlaubern der großen Pötte ab. CLIA-Direktor Serrano sagt: „Dass das Geld in anderen Bereichen fehlt, ist eine Mär."

7. Die Schiffe zahlen keine Steuern in Spanien

SteuernViele Kreuzfahrt-Reedereien melden ihre Schiffe in sogenannten Steuerparadiesen an. Von den 110 Anläufen von Donnerstag (20.6.) bis zum 31. Juli sind etliche von Schiffen, die unter der Flagge von Malta, den Bahamas oder den Marshall-Inseln fahren. 34 der Schiffe (Aida und Costa) sind unter italienischer Flagge unterwegs. „Die Reedereien melden ihre Schiffe in diesen Ländern nicht unbedingt aus steuerlichen Gründen an", sagt CLIA-Direktor Serrano - möchte sich aber nicht weiter zum Thema äußern. Die Reedereien müssten in ­Palma auf jeden Fall Hafengebühren zahlen, so der Hafensprecher. „Im Falle eines großen Kreuzfahrtschiffs können das rund 6.000 Euro pro Anlegetag sein." Auch um die Mehrwertsteuer kommen die Reedereien nicht herum.

8. Der traditionelle Einzelhandel wird aus der Altstadt verdrängt

Der Präsident des Einzelhandelsverbandes Pimeco, Toni Fuster, widerspricht vehement: „Das ist nicht wahr. Wir widersprechen dem Manifest entschieden." Natürlich gebe es rund um die Kathedrale viele Souvenir-Shops, sagt er de MZ. „Aber das Zentrum von Palma ist ja nicht nur dort." In den Straßen Sant Miquel oder Sindicat gebe es durchaus ein vielfältiges Einzelhandelsangebot. „Und ohne die Touristen könnten viele schon längst zumachen." Am Ladensterben einiger traditioneller Geschäfte seien jedenfalls weder der Tourismus im Allgemeinen noch die Kreuzfahrtschiffe schuld. „Diese Läden haben eben eine gewisse Lebensdauer, und oft fehlt der Nachwuchs", sagt Fuster.

9. Die Arbeitsbedingungen an Bord sind prekär

Laut einem Kreuzfahrttest der Stiftung Warentest im Dezember 2018 trifft das weitgehend zu. Untersucht wurden die Arbeitsbedingungen auf Schiffen von vier Reedereien, darunter Aida und Tui Cruises. In allen mussten die Mitarbeiter - sie kommen meist aus Billiglohn­ländern wie den Philippinen, Indonesien oder Indien - in Positionen wie Zimmermädchen oder Kellner zehn bis zwölf Stunden am Tag schuften, und das sieben Tage die Woche über mehrere Monate hinweg. Der Lohn für die ­Maloche war mit 2,65 bis 4,40 Euro pro Stunde geradezu lächerlich. Möglich ist das nur, weil die Schiffe eben unter der Flagge von Ländern fahren, in denen das Lohnniveau mit Europa nicht vergleichbar ist. „Die hohen Arbeits­zeiten streite ich gar nicht ab", sagt Verbandssprecher Alfredo Serrano. Allerdings sei das auch das, was die Mitarbeiter interessiere: ein paar Monate möglichst viel arbeiten und das ­verdiente Geld dann mit nach Hause nehmen, wo ein paar Monate Pause warten, bis die nächste Saison beginnt.