Wenn Ende 2019 das neue Wort des Jahres gewählt wird, hat Flugscham gute Chancen, ganz vorne zu landen. In den Umlauf gebracht hat es die „Fridays for Future"-Bewegung der 16-jährigen Umweltaktivistin Greta Thunberg, die, um das Fliegen zu vermeiden, auch schon mal mit dem Zug von Stockholm zum Weltwirtschaftsforum nach Davos gefahren ist. Nun gestaltet es sich für Mallorca-Residenten etwas schwieriger, erst mit dem Zug und dann noch einmal sieben Stunden mit einer Fähre auf die Insel zu gelangen ­- zumal das Schiff mit Schweröl betrieben wird. Aber längst schon hat die Politik das Jugend-Phänomen Flugscham für sich entdeckt und es um das Wort Kerosinsteuer ergänzt.

Ganz konkret gab es in der vergangenen Woche eine kleine Anfrage der FDP an die Bundesregierung, wie sie einer solchen Steuer gegenüber eingestellt sei. Die Ergebnisse der Anfrage sind zwar noch nicht veröffentlicht, doch in einem Papier, das der Nachrichtenagentur Dow-Jones vorliegt, hieß es: „Die Vorschläge für eine Aufhebung der Steuerbefreiung von Kerosin" werden „geprüft". Was würde solch eine Steuer für die Flüge nach Mallorca bedeuten? Die MZ hat mit Experten und Branchenkennern gesprochen, die zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Ursprung der Steuerbefreiung

Zunächst einmal ist es nicht ganz so einfach, eine solche Steuer einzuführen. Warum? Dafür muss man 75 Jahre zurückschauen. Noch während des Zweiten Weltkriegs einigten sich im Jahr 1944 insgesamt 52 Staaten auf die Grundlage eines internationalen Luftfahrtrechts. Es sollte die Freundschaft zwischen den Völkern und den Frieden sichern und zusätzlich die Weltwirtschaft und die Luftfahrt fördern. Der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt appellierte zu Beginn der Konferenz an die Teilnehmer, zusammenzuarbeiten, damit „der Himmel vom Menschen für die ganze Menschheit genutzt werden kann". Und so steht in Artikel 24, dass bei Flügen von einem Vertragsstaat in einen anderen das Kerosin, das sich schon an Bord gelandeter Flugzeuge befindet, nicht besteuert werden darf. Eine Besteuerung nationaler Flüge oder die Betankung bei zwischenstaatlichen Flügen ist aber ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

Die Situation heute

Nun könne man eine so alte Vereinbarung natürlich ohne Probleme modifizieren, sagen Experten der Luftfahrtbranche der MZ. Schließlich hat der Flugverkehr seit dem Zweiten Weltkrieg massiv zugenommen, die Umweltschäden und der Klimawandel sind inzwischen eine nicht zu leugnende Realität, die 1944 noch niemand vorhersagen konnte. Nach Berechnungen der Nichtregierungsorganisation Atmosfair verstärkt sich durch den CO2-Ausstoß in großer Höhe die Wirkung der Schadstoffe auf das Doppelte bis gar auf das Vierfache von dem, was der Effekt am Boden wäre. Ein Flug von Düsseldorf nach Mallorca und zurück hinterlässt 0,75 Tonnen CO2 pro Person in der Luft. Nach Berechnungen der europäischen Umweltagentur könnten die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 um 300 Prozent steigen. Da hilft es nur bedingt, wenn der Bundesverband der Luftverkehrswirtschaft BDL beteuert, dass aufgrund des Emissionshandels innerhalb von Europa der Luftverkehr seit 2012 „CO2-neutral" wachse.

Angesichts der Zahlen von Atmosfair scheint es vielmehr ein Hohn, dass ausgerechnet Kerosin von einer Besteuerung ausgeschlossen ist, wo doch jeder deutsche Autofahrer gut 50 Prozent der Tankrechnung als Mineralölsteuer direkt an den Staat abführt. Doch auch hier müsse man genauer hinschauen, erklärt Luftfahrtexperte Christoph Brützel, der an der Internationalen Hochschule Bad ­Honnef Aviation Management unterrichtet. „Der Flugverkehr funktioniert im Gegensatz zu allen anderen Verkehrsmitteln ausschließlich nutzerfinanziert." Sprich: Die Airlines zahlen zwar keine Treibstoffsteuern, dafür bekommen sie aber auch keine Subventionen. Die Airlines müssen alle Flughäfen sowie die Flugsicherung und andere Dienste komplett aus eigener Tasche bezahlen. Die Bahn könne sich laut Brützel jährlich über Milliarden-Subventionen vom Bund freuen. Und die Autobahnen und Bundesstraßen in Deutschland werden vom Staat bezahlt.

Dazu kommt, dass es in Deutschland und vielen anderen Ländern in der Welt bereits Luftverkehrsabgaben gibt, die auf die Ticketpreise erhoben werden. Allein im vergangenen Jahr brachten diese Abgaben Deutschland rund 1,2 Milliarden Euro ein. Das Land könnte zwar ohne größere Hindernisse noch zusätzlich eine Kerosinsteuer einführen, doch die Folgen davon wären nach Ansicht von Luftfahrtexperten leicht vorherzusehen: Die Airlines würden einfach im Nachbarland tanken und das Kerosin mitbringen, was für die Umwelt noch schädlicher wäre. Denn es gilt derzeit zumindest noch als eher unwahrscheinlich, dass europaweit eine Einigung bei dem Thema erzielt werden kann.

Die Airlines bauen indes bereits selbst für einen derartigen Fall vor. Ein Sprecher der Fluggesellschaft Condor teilte der MZ mit: ­„Insellösungen, auch auf europäischer Ebene, bringen in einer globalen Industrie gar nichts. Das sieht man schon an der Einführung der deutschen Luftverkehrsabgabe. Zunächst als Lenkungsabgabe geplant, sollte sie Umwelt­folgen des Luftverkehrs wie Lärm oder ­Energieverbrauch, steuern. Faktisch hat sie nur dazu geführt, dass ausländische Airlines schneller gewachsen sind und wir in Deutschland ­einen Wettbewerbsnachteil erfahren haben."

Auswirkungen auf Mallorca

Angenommen, es kommt eines Tages tatsächlich zu einer europäischen Kerosinsteuer: Wie das den Flugverkehr nach Mallorca beeinflussen könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Zunächst ist unklar, wie stark das Kerosin besteuert würde. Ein Vertreter der Branche, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, macht für die MZ eine Beispielrechnung auf: „Würde man den deutschen Satz für die Energiesteuer zugrundelegen, so entstünden der Airline bei einem Hin- und Rückflug Düsseldorf-Palma Mehrkosten von rund 75 Euro pro Passagier. Aufgrund des starken Wettbewerbs im Luftverkehr ist es jedoch ungewiss, ob und wie viel von den Mehrkosten der Airline über einen höheren Ticketpreis auch an den Passagier weitergegeben werden könnte." 75 Euro - das wäre in diesen Zeiten häufig ein Vielfaches von dem, was das Ticket tatsächlich kosten würde. Das würde dann mit großer Sicherheit zu einem Nachfragerückgang führen, so der Branchenvertreter.

Brützel kommt auf andere Zahlen: „Nach meinen Berechnungen würde die Kerosinsteuer rund 15 Euro pro Passagier für einen Flug zwischen Deutschland und Mallorca und wieder zurück ausmachen." Für die Insel bedeutet eine solche Steuer laut Brützel „überhaupt nichts". Nach der Air-Berlin-Pleite seien noch so viele Überkapazitäten im Markt, dass Brützel weiterhin mit „Schleuderpreisen" für die Mallorca-Flüge rechnet. „Die Airlines werden, sollte es eines Tages eine Kerosinsteuer geben, wohl nur einen Teil an die Kunden weitergeben können, weil der Wettbewerb zu stark ist." Schließlich habe sich in den vergangenen drei Jahren der Treibstoffpreis nahezu verdoppelt, ohne dass sich an den Preisen etwas geändert habe. „Der Flugpreis basiert nun mal nicht auf reellen Kosten, sondern auf dem Markt und darauf, wie viel die Menschen bereit sind zu zahlen", erklärt Brützel.

In Spanien ist das Thema Kerosinsteuer quasi inexistent. Kein Wunder, dass man sich also auf Mallorca bisher noch eher verhalten damit auseinandergesetzt hat. So wundert sich der ehemalige Chef von Air Berlin für Spanien und Portugal und jetzige Berater von Thomas Cook Airlines Balearics, Álvaro Middelmann, am Telefon über die Frage der MZ. „Kerosinsteuer? Was soll das denn jetzt schon wieder sein?", fragt er, bevor er zu einer Einschätzung kommt: „Die etwas weiter entfernten Ziele mit vier oder fünf Flugstunden könnten von einer Kerosinsteuer etwas merken, aber Mallorca doch nicht."

Anderer Meinung ist da der Wirtschaftswissenschaftler Antoni Riera von der Balearen-Universität (UIB). Der MZ sagt er: „Eine solche Steuer wird ohne Frage Auswirkungen auf den Mallorca-Tourismus haben, weil sie mit dem Bereich Fliegen eine Branche trifft, in der viele Menschen äußerst preissensibel sind." Und da reichten schon ein paar Euro mehr pro Flug, damit die Nachfrage spürbar nachlasse, glaubt Riera. Der Experte steht einer solchen Steuer „uneingeschränkt positiv" gegenüber und ist der Meinung, dass es keine Alternative dazu gebe. „Eine Kerosinsteuer führt dazu, dass sich endlich im Bereich alternative Antriebsformen etwas tut", prognostiziert der Wissenschaftler. Das eingenommene Geld müsse in die Forschung dazu fließen. „Und wenn die Nachfrage nach Flügen insgesamt ein wenig abnimmt, dann ist doch das Ziel der Steuer erreicht, und für die Umwelt wird auch etwas getan."

Damit bewegt sich Riera nahe an den Positionen von Umweltschutzverbänden. Aus Klimaschutzgründen, so argumentieren sie, sei eine solche Steuer längst überfällig. So unter anderem auch die europäische Dachorganisation von nichtstaatlichen Organisationen aus dem nachhaltigen Verkehrsbereich, Transport & Environment. Die für Spanien zuständige Sprecherin Isabell Büschel schickt der MZ einen Brief ihres Verbandes an mehrere spanische Ministerien. Darin heißt es unter anderem, dass die spanische Luftfahrt im „Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr gering steuerbelastet" sei.

Die ersten Akteure bringen sich langsam, aber sicher auch in Spanien in Position, um das Thema auf die Agenda zu setzen.