Am 9. Oktober 2018 tötete eine Sturzflut 13 Menschen und verwüstete Sant Llorenç und den Osten von Mallorca. Ein Jahr danach ist davon nur noch wenig zu sehen. Zumindest äußerlich

Die Bäckerin

Angela Jacome Ribas steht hinter der Theke ihrer kleinen Bäckerei Forn Pastisseria Ca n'Angelita an der Carretera de Son Servera im Zentrum von Sant Llorenç. Die Ecuadorianerin bedient am Donnerstagvormittag (26.9.) ihre Kunden, schneidet Brot, packt empanadillas ein. Das ist alles andere als selbstverständlich. Vor fast genau einem Jahr stand Angela Jacome an derselben Stelle vor dem Nichts. Das Unwetter am 9. Oktober 2018, das im Osten der Insel 13 Menschen das Leben kostete, hatte ihren Laden komplett verwüstet. Mit den Ersparnissen aus 20 Jahren Arbeit in ihrem Heimatland hatte sich Jacome die ­Bäckerei vor 13 Jahren aufgebaut, ihre Tochter lebt hier und ist mit einem Mallorquiner verheiratet. Am Abend des 9. Oktober 2018 sperrte sie ihren Laden zu und fuhr zum Einkaufen nach Manacor. Es regnete zwar schon stark, aber dass sie eine Stunde später nicht mehr nach Sant Llorenç zurückkommen würde, hätte Jacome zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht.

„Um fünf Uhr morgens hatte ich keine Ruhe mehr und wollte nach Sant Llorenç zurück, um zu schauen, wie es um den Laden stand. Meine Tochter meinte, ich solle Gummistiefel mitnehmen. Das hielt ich für völlig übertrieben." Nachrichten gesehen hatte Jacome in dieser Nacht nicht, und als sie auf der Straße nach Son Carrió aufeinandergestapelte Autos sah, dämmerte ihr, dass es kein normales Unwetter war, das sich da über Sant Llorenç entladen hatte. „Das schien das Ende der Welt zu sein." Der Laden selbst, nur etwa zehn Schritte vom Sturzbach d'en Begura de Saumá entfernt, stand rund eineinhalb Meter unter Wasser, Brot und süße Teilchen schwammen in der braunen Brühe, die Theke, die ­Regale, alles lag umgestürzt im Wasser. „Der Strom funktionierte noch, deshalb gab es ständig Kurzschlüsse, und es zischte. Wir konnten gar nicht hinein, bis der Elektriker den Strom abgestellt hatte."

Dankbar ist Angela Jacome, der im Gespräch immer wieder die Tränen in die Augen schießen, über die Hilfe, die sie in den Tagen darauf erfahren hat. „Mein Schwiegersohn Sebastián hat unglaublich geackert hier, dank ihm und weiterer freiwilliger Helfer war nach ein paar Tagen das Chaos beseitigt." Dass sie weitermachen würde, war für sie keine Frage, auch wenn sie noch Monate nach der Katastrophe psychologische Hilfe in Anspruch nehmen musste. „Dafür macht mir meine Arbeit viel zu viel Spaß." Aus Ecuador kam ihr Mann zur Unterstützung, auch Hilfsgelder waren nach ein paar Wochen da, sodass sie ihren Laden bereits im Januar wieder einräumen und am 15. Februar wieder eröffnen konnte. Heute ist nichts mehr zu sehen von Schlamm oder Feuchtigkeit.

Der Schreiner

Ein paar Meter weiter die Straße runter in Richtung Ortsausgang sieht die Sache etwas anders aus. In der Schreinerei von Bernardo Rosselló sind die Spuren jener verhängnisvollen Nacht noch gegenwärtig. „Komm mal mit", sagt der 55-Jährige zum Reporter und schließt die Tür eines Nebenraumes auf. Die Bodenplatten wölben sich, an der Holzwand sind deutlich die Feuchtigkeitsflecken auszumachen. „Bis knapp unter den Hals stand das Wasser hier drin", sagt Rosselló. In dem Nebenraum hatte er gerade eine Ausstellung mit sechs Küchen fertiggestellt, vielleicht zwei Monate vor der Katastrophe. „Die konnte ich alle wegschmeißen." Genauso wie fünf weitere, an denen er gerade in seiner Produktionshalle nebenan ­arbeitete. Auch sie waren fast fertig.

Rosselló ist ein großer, kräftiger Mann, den so schnell nichts aus der Fassung bringt. Er deutet auf seine Maschinen, die er nach dem Unwetter alle neu anschaffen musste: „Hier 40.000 Euro, hier 35.000 Euro, hier 15.000 Euro", zählt er auf. Knappe 100.000 Euro Schaden hatte er nach dem 9. Oktober 2018 in seiner Schreinerei zu beklagen. Rosselló hatte sich gegen Mitternacht noch einmal auf den Weg zu seiner Firma gemacht. „Ich habe das Tor geöffnet - und gleich wieder verrammelt." Wie bei Angela Jacome nebenan stand der gesamte Raum unter Wasser.

„Ich wusste sofort, ich musste das alles wieder aufbauen. Um in den Ruhestand zu gehen, war ich ein paar Jahre zu jung", sagt Bernardo Rosselló. Zumal die Hilfen von der balearischen Landesregierung recht zügig kamen. „Die haben sich wirklich vorbildlich verhalten." Wie viel genau er an Hilfen erhalten hat, will oder kann er nicht sagen. „Die Buchhaltung macht meine Frau."

Die Hilfen

Die Landesregierung hatte damals „innerhalb einer vernünftigen Frist" 2,5 Millionen Euro eingezahlt, wie es der Bürgermeister von Sant Llorenç, Mateu Puigròs, bei einer Pressekonferenz Mitte September ausdrückte. Bereits 14 Tage nach der Katastrophe kam damals bei den ersten Betroffenen das Geld an. Zusätzlich gab es rund 2,8 Millionen Euro Spenden von Privatpersonen, darunter von Tennis-Ass ­Rafael Nadal, der eine Million Euro für die Flutopfer spendete und selbst mit Schaufel und Gummistiefeln in der Katastrophenregion mit anpackte.

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez indes versprach 20,1 Millionen Euro, als er wenige Tage nach der Sturzflut durch die verwüsteten Straßen von Sant Llorenç spazierte. Von diesem Geld ist bis heute kein Cent angekommen, kritisierte der Bürgermeister. Die Hilfen seien „längst überfällig", sagte Puigròs, zumal sie im Ministerrat vor langer Zeit ­abgesegnet worden seien. „Das Einzige, was noch fehlte, war ein verwaltungstechnischer Schritt, von daher gibt es keine Rechtfertigung für diese Verzögerung."

Wobei es sich bei diesem Geld nicht um Hilfen für Privatleute handelt, erklärt Barbara Servera, die Vorsitzende der nach der Sturzflut gegründeten Vereinigung der Flutopfer. „Das ist lediglich Geld für zerstörte Straßen, ­Stromleitungen und andere Infrastruktur. Das Geld bekommt das Rathaus." Viele Menschen brächten das durcheinander. Nur teilweise zufrieden ist Servera indessen mit der Ausschüttung der Hilfen an Privatpersonen. „Es ist zwar richtig, dass inzwischen alle Betroffenen Geld bekommen haben oder zumindest eine schriftliche Mitteilung, mit welchem Betrag sie rechnen können", sagt sie. Der Verteilungsschlüssel habe sich aber als ungerecht herausgestellt.

Das Rathaus in Sant Llorenç legte für die Auszahlung ein kompliziertes Punktesystem zugrunde, bei dem unter anderem der Katasterwert des Hauses, die Frage, ob es bewohnt oder unbewohnt war, oder der Wasserstand nach dem Unwetter zum Tragen kam. „Das führte dazu, dass häufig nicht diejenigen das meiste bekommen haben, die die größten Schäden hatten." Gerade der Katasterwert älterer Immobilien bilde häufig nicht den tatsächlichen Wert ab. Positiv sei allerdings, so Servera, dass die Hilfen für beschädigte Fahrzeuge und für Geschäftsleute bereits alle angekommen sind.

Der Fotograf

Einiges von diesem Geld abbekommen hat Ignasi García, der ein Fotogeschäft im Carrer Major in der Fußgängerzone des Ortes betreibt. Dort verkauft er unter anderem auch Uhren und Schmuck. Er hatte nach der Flut einen Schaden von rund 41.000 Euro an Kameras, Zubehör, Vitrinen und Computern. „Ich habe zunächst 30.000 Euro aus einem Topf bekommen und hätte kurz darauf aus einem zweiten noch einmal 30.000 Euro haben können. Ich habe dann nur 11.000 Euro genutzt, und hatte damit alle Schäden ersetzt", sagt García. Obwohl er finanziell gesehen glimpflich davongekommen ist, hätte er in der Unwetternacht beinahe sein Leben verloren. „Ich bin abends aus dem Geschäft gegangen, zu meinem Auto gelaufen, das ein paar Meter entfernt in Richtung Sturzbach stand. Beim Losfahren hat mich eine Welle erfasst, ich bin ohne Kontrolle durch die Straßen geschwommen." Immer wieder sei er auf seiner Odyssee gegen andere Autos und Verkehrsschilder gedrückt worden. Bis er irgendwann zwischen mehreren Autos eingekeilt zum Stehen kam. „Das war mein Glück. Sonst wäre ich jetzt wohl tot", sagt er. Durch ein Seitenfenster konnte Ignasi García aussteigen und sich in ­Sicherheit bringen.

Die Erinnerungen an die Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 2018 werden immer da sein. Sichtbare Spuren im Ortsbild von Sant Llorenç finden sich aber nicht mehr. In den Bachbetten der beiden Sturzbäche ist kein Tropfen Wasser zu sehen, Gestrüpp oder Müll wie in manchen anderen torrentes auf der Insel liegt nicht darin. Im Zentrum ist gerade Markttag, Urlauber schlendern durch die Fußgängerzone. Die Hauptstraßen im Ort sind alle neu asphaltiert. Rathaus und Inselrat sind in Vorleistung gegangen, bis das Geld aus Madrid da ist.

Die Lehren

Bleibt das Thema Vorsorge: Laut Mateu Puigròs hat die Gemeindeverwaltung einiges getan, um künftige Flutkatastrophen zu verhindern. So habe man acht Grundstücke, die im Bett eines Sturzbaches lagen, enteignet. Weitere acht sollen in Kürze folgen. Auch habe ein Geografie-Professor der UIB, Miquel Grimalt, in einer Studie die wichtigsten Gefahrenpunkte identifiziert. Zum einen rät er dazu, den Lauf des Sturzbaches Seragall d'es Puig de s'Esquerda nach außerhalb des Ortes zu verlegen. In diesem Sturzbach nahm die Tragödie ihren Lauf. Das zweite Projekt betrifft drei Brücken im Ort, vor allem das Bauwerk der Landstraße Ma-15A nahe des Kreisverkehrs nach Son Carrió. Hier müsse unter der Brücke die Durchflussmenge um rund 300 Prozent erweitert werden, was mit drei neuen Abflüssen geschehen soll. Bisher gibt es hier nur einen. Damit könne verhindert werden, dass der Kreisverkehr bei starkem Regen einem Schwimmbad gleich.

Sagt der Wetterbericht heute Starkregen vorher, geht in Sant Llorenç bei vielen die Angst um. Bei Angela Jacome kommen dann wieder die Bilder aus dem vergangenen Jahr hoch. In solchen Momenten hilft ihr dann ihr Gottvertrauen. „Manchmal hat Gott andere Pläne als wir Menschen. Das müssen wir akzeptieren." Bernardo Rosselló in seiner Schreinerei dagegen winkt ab. „Wetterwarnungen können mir nichts mehr anhaben. Was soll denn noch Schlimmeres passieren? Wir haben doch schon die Hölle erlebt."