Es war einer der letzten großen Ausbrüche in Europa einer der gefürchtetsten Epidemien der Menschheitsgeschichte: Im Mai 1820 brach in Son Servera im Nordosten von Mallorca noch einmal die Beulenpest aus und raffte zwei Drittel der Bevölkerung hinweg. Die Infektionskrankheit breitete sich von dort auch nach Artà sowie Capdepera und, wenn auch in geringerem Maße, nach Sant ­Llorenç aus. Dass sie eingedämmt werden konnte, hing mit Sperrzonen, Aus- und ­Einreisekontrollen und drastischen Quarantäne-Bestimmungen zusammen - also, wenn auch in einem ganz anderen Maßstab, ähnlichen Maßnahmen wie jenen, die derzeit in China und anderen Ländern wegen des Coronavirus getroffen werden.

Der sogenannte Schwarze Tod war damals kein Unbekannter für Mallorca. Die Pest hat die Insel über Jahrhunderte begleitet. Die Liste der ­dokumentierten Ausbrüche ist lang: 1230, 1362, 1375, 1434, 1494. Besonders schlimm erwischte die Seuche 1348 die Insel, fast ein Fünftel der Bewohner starben. Auch im 15., 16. und 17. Jahrhundert kam es zu Pestausbrüchen. Erst die verbesserten Hygienebedingungen ließen die Krankheit nach dem Ausbruch im Osten der Insel der Vergangenheit angehören.

„Nicht einmal ein Horrorfilm könnte beschreiben, was damals vor 200 Jahren in Son Servera passiert ist", sagt Pere Salas. Er gehört, wie auch Isabel Moll, an der Balearen-Universität (UIB) emeritierte Professorin für Zeitgeschichte, zu einer Gruppe von Historikern, die seit Jahren zur „Peste de Llevant" forschen und ihre Ergebnisse nun im Gedenkjahr bekannt machen.

So kam die Pest hierher

Von den 1.684 Einwohnern Son Serveras starben 1.040. „Die Pest gelangte über Schmuggelrouten auf die Insel, wahrscheinlich mit einem Schiff, das an der Küste von Son Servera anlegte und Waren aus Nordafrika brachte. Dort war die Epidemie zuvor bereits ausgebrochen", sagt Isabel Moll.

Eine in Son Servera verbreitete Legende besagt, dass ein Hirte die Krankheit verbreitete. Er habe sich einen Umhang übergeworfen, der mit dem Schiff aus Nordafrika nach Mallorca gelangt war. Dieses Hirten wird noch heute auf der Plaza de s'Abeurador in Son Servera mit einer Skulptur von Eduard Servera gedacht, die als „Pastoret" bekannt ist und an deren Fuß eine Ratte krabbelt, die Überträgerin der Pest.

Es dürfte nur ein Legende sein. „Viel wahrscheinlicher ist, dass das Pestbakterium über vom Schiff stammende Wachsrollen ins Dorf gelangte", sagt Isabel Moll. Sie vermute, dass die ersten Infizierten Frauen und Kinder gewesen seien. Die Pest, das weiß man erst seit Ende des 19. Jahrhunderts, wird vor allem durch ­Flöhe übertragen, die auch auf Ratten leben, nicht durch menschlichen Kontakt.

So hat sie sich ausgebreitet

Die Gesundheitsabteilung der spanischen Provinzregierung in Palma de Mallorca reagierte erst spät auf den Ausbruch. Erst nachdem zwischen dem 9. und 15. Mai in Son Servera die ersten Pestfälle bekannt geworden waren und sich die Epidemie von dort aus um den 24. Mai herum nach Artà ausgebreitet hatte, beschloss die Behörde am 27. Mai, beide Gemeinden sowie die Ostküsten zu Sperrzonen zu erklären. Die Menschen durften die Dörfer nicht mehr verlassen, und es durfte auch keiner mehr dorthin. Zudem wurde der Warenhandel und Schiffsverkehr an der Ostküste untersagt. Wer sich nicht an die Verbote hielt, die unter anderem das Militär streng kontrollierte, dem drohte die Todesstrafe. Trotz der Maßnahmen breitete sich die Epidemie Anfang Juni auch nach Sant Llorenç des Cardassar und am 20. Juni nach Capdepera aus.

So gelang es, sie einzudämmen

Mitte Juni griff die Provinzregierung daraufhin zu noch drastischeren Maßnahmen. Alle Bewohner von Son Servera mussten den Ort verlassen und wurden isoliert voneinander in drei Gruppen untergebracht: Ein Lager war den Gesunden vorbehalten, eines den von der Pest Infizierten und eines den anderweitig ­Erkrankten, etwa an den damals in den Sommermonaten häufig auftretenden Magen-Darm-Infekten. „Wo sich diese Lager genau ­befanden, wissen wir nicht. Sie waren aber höher gelegen und gut belüftet", sagt Isabel Moll.

In Artà war das Vorgehen ähnlich: Die Pestkranken wurden in den Wallfahrtskirchen Santa Maria de Bellpuig und Sant Salvador untergebracht, die Gesunden hielten sich währenddessen an einem drei Kilometer vom Dorf entfernten Ort auf. „Die Ärzte der betroffenen Gemeinden mussten an die Zentrale in Palma de Mallorca täglich einen Bericht über den aktuellen Gesundheitszustand der Bewohner durchgeben", so Isabel Moll. Eine Zusammenfassung wurde dann, um die restliche Bevölkerung Mallorcas auf dem Laufenden zu halten, in Zeitungen und Aushängen veröffentlicht. Auch anderswo auf der Insel wurde die Reisefreiheit eingeschränkt. „Bewohner, die etwa von Campos nach Llucmajor fahren wollten, mussten sich einen Nachweis ausstellen lassen, dass sie gesund sind", erzählt Isabel Moll.

Noch vor diesen drastischen Maßnahmen, hatte die Zentralregierung in Madrid zudem entschieden, allen von Mallorca aus eintreffenden Schiffen eine Zwangsquarantäne aufzuerlegen. „Madrid hielt den am 10. Juni gefassten Beschluss bis Mai 1821 aufrecht, ein Jahr nach der Entdeckung der ersten Fälle", sagt Isabel Moll.

In den geräumten Dörfer wurden im Oktober 1820 alle potenziellen Infektionsherde vernichtet. Da es mehrere Theorien gab, woher die Krankheit kam, ging man auf Nummer sicher: „Katzen, Hunde und andere Haustiere wurden getötet, die Kleidung verbrannt, die Häuser gut durchlüftet. Außerdem verlegte man die Friedhöfe vom Dorfzentrum in weiter abgelegene Gebiete", sagt Pere Salas. Andere Gemeinden der Insel unterstützten derweil die in den Lagern ausharrenden Überlebenden mit Lebensmitteln und Geld.

Schließlich konnte am 31. Januar 1821 die Epidemie als überwunden erklärt werden. Einen Tag später durften 644 Bewohner von Son Servera in ihre Häuser zurückkehren. Seither begehen die serverins jeden 1. Februar mit Feiern und Gedenkveranstaltungen den Sieg über die Pest. „Das hatten die Verantwortlichen der Gesundheitsbehörden den Überlebenden schon damals versprochen", so Isabel Moll.

Dazu wird künftig geforscht

Um welche Pestvariante es sich bei dem Ausbruch gehandelt hat, ist bislang nicht bekannt. Um es herauszufinden, arbeitet ein Team aus Mikrobiologen und Archäologen gerade an einem Projekt, um den damaligen Stamm des Bakteriums Yersinia pestis zu identifizieren. Dazu wollen die Wissenschaftler auf dem Gelände der Kapelle Bellpuig bei Artà einige der Leichen der Pestopfer ausgraben. „Momentan sind wir noch dabei, herauszufinden, wo genau sie begraben sind. Das Gelände ist sehr groß. Zudem gehört ein Teil dem Inselrat, andere Teile sind in Privatbesitz", so die an dem Projekt beteiligte Archäologin Francisca Cardona gegenüber der MZ.

Sobald alle Genehmigungen eingeholt sind, sollen aus den Zähnen der Leichen und der ihren Körper umgebenden Erde DNA-Proben entnommen werden. Die werden dann mit der sogenannten qPCR-Technik (Engl.: quantitative Polymerase Chain Reaction) untersucht. Eine Identifizierung des Bakterienstamms könnte es ermöglichen, die Theorie über die nordafrikanische Herkunft der Epidemie zu verifizieren oder zu widerlegen. Zudem könnten die Forscher auch mehr über das Zusammenspiel mit anderen zur damaligen Zeit verbreiteten Krankheiten herausfinden.

200 Jahre nach dem Pestausbruch in Leichenteilen auf Spurensuche zu gehen, ist das nicht gefährlich? „Die Ausgrabungen stellen keinerlei Gefahr dar. Das Bakterium ist nicht mehr aktiv, es stirbt ab, sobald die Person tot ist", versichert Francisca Cardona.

Parallelen zum Coronavirus

Auch die Historiker verfolgen dieser Tage die Berichte über das Coronavirus. „Der Mensch, oder genauer gesagt, die Wissenschaft, kann den Tod durch verbreitete Infektionen trotz des Fortschritts immer noch nicht verhindern", sagt Pere Salas. Auch vor dem Hintergrund seiner Forschung plädiert er für strenge Kontrollen, wenn eine Epidemie auftritt. „Das war damals und ist auch heute die effizienteste Methode." Es sei stets ein Abwägen zwischen Freiheit und Sicherheit, eigene Bedürfnisse müssten für das Gemeinwohl eventuell zurückgestellt werden. Dass 1820 der Ausbruch der Pest begrenzt werden konnte, sei nur dank der Sperrzonen und einer für den damaligen Wissensstand sehr ausgeklügelten Logistik möglich gewesen. Mallorca hänge als Insel sehr von der Außenwelt, den Einfuhren von Waren und dem Reiseverkehr ab - entsprechend wachsam müsse man bei einer Epidemie sein, sagt der Historiker.

Die Leiden und Quarantäne-Zeiten der Pestkranken

Die Pest (la peste) ist eine durch das Bakterium ­Yersinia pestis ausgelöste, ­ansteckende Infektionskrankheit. Sie kann in ­verschiedenen Formen auftreten. Nach einer Inkubationszeit von zwei bis sechs Tagen setzen Fieber, Schwächegefühl sowie Kopf- und Gliederschmerzen ein. Lymphsystem und -knoten schwellen unter starken Schmerzen bis zu zehn Zentimeter großen Beulen an und füllen sich mit Eiter. 40 Tage betrug einst die Zeit, die Pestverdächtige von der Außenwelt abgeschirmt wurden, bis sich herausstellte, ob sie sich angesteckt hatten oder nicht. Daher der Begriff „Quarantäne", der vom lateinischen „quadraginta" abgeleitet ist.

Volles Programm zum 200. Jahrestag der Pest

Die Forschungsgruppe „Historia de la Salud" der UIB