Sie heißen „Leberkäsjunkie" oder „Guglhupfgeschwader" und verkaufen sich zu Hunderttausenden. Krimis mit einem starken, lokalen Bezug - wie die bayerischen Mordsgeschichten von Rita Falk - boomen in Deutschland. Die Gesamtauflage der Bücher der einst arbeitslosen Bürokauffrau beläuft sich mittlerweile auf fast 6,5 Millionen Exemplare. Sechs ihrer Bücher wurden fürs Kino verfilmt und von 4,6 Millionen Zuschauern gesehen. Und Dutzende Autoren eifern dem Star der deutschen Krimiszenen nach. Sie schreiben Regionalkrimis, die in Düsseldorf oder auf den Nordseeinseln spielen - und immer häufiger auch auf Mallorca. Bis zu drei Mallorca-Krimis erscheinen zurzeit im Monat, im Selbstverlag, aber auch in großen Publikumsverlagen.

Die Drahtzieherinnen

„Heimat ist wieder angesagt - und für viele Deutsche ist auch Mallorca Heimat oder zumindest ein Sehnsuchtsort", resümiert Lianne Kolf. Sie arbeitet seit 50 Jahren als Literaturagentin, betreibt seit 38 Jahren eine Verlagsagentur in München und ist mit ihren ­Autorinnen und Autoren nicht ganz unbeteiligt am Boom der Heimatkrimis. Kolf ist sich sicher, dass noch viele Bücher folgen werden. „Die Welle ist noch ungebrochen", sagt sie.

So sieht das auch Stefanie Rahnfeld, die seit 25 Jahren als Lektorin bei Emons arbeitet. Der Kölner Verlag hat sich auf Regionalliteratur spezialisiert, Rahnfeld ist die Krimispezialistin - ihre Masterarbeit trug den Titel „Darstellung und Funktion deutscher Städte in Kriminalromanen". Lokale Krimis, sagt sie, zeichneten sich dadurch aus, dass der Mord in einer vertrauten Umgebung, sozusagen vor der eigenen Haustür stattfindet. Das sorge für Gänsehaut. „Dabei sollte es aber nicht zu düster zugehen, und am Ende wird das Verbrechen in der Regel gelöst", so Rahnfeld.

Der Hype um den Mallorca-Krimi, er hat gewissermaßen auf ihrem Schreibtisch angefangen. „Ich will nicht sagen, dass wir den ersten Mallorca-Krimi überhaupt veröffentlicht haben. Aber wir haben als Erste den Trend

erkannt", sagt sie.

Der Pionier

„Tod oder Finca", so heißt der bei Emons erschienene Krimi, der 2009 gewissermaßen den Anfang machte. Geschrieben hatte ihn, ­Andreas Schnabel, ein Briefträger aus Dansweiler bei Köln, der sich zuvor in Santanyí von einer Herzattacke erholt hatte. „Es hat mir Spaß gemacht, über die Eigenheiten der Inselbewohner zu schreiben", sagt der heute 66-Jährige, der auch schon als Rundfunkreporter und TV-Produzent gearbeitet hat.

Dabei sei er mit wachen Augen über die Insel gegangen, habe über Immobilienbetrug und Fälle von korrupten Ortspolizisten recherchiert. „Meine Frau hat mich gefragt, ob ich verrückt geworden sei." So etwas zu thematisieren, das habe sich zuvor kein Deutscher auf der Insel getraut, meint Schnabel. Mehr als 40 Verlagen habe er seinen ersten Krimi angeboten, alle lehnten ab. „Dann habe ich irgendwann über einen Freund die Schwester des Verlegers Hejo Emons kennengelernt. Die hat ihm das Buch unter die Nase gehalten, und ihm hat's gefallen." Sechs ­weitere Mallorca-Krimis von ­Andreas Schnabel sind seither erschienen, der letzte 2016. Dann zog sich Schnabel von der Insel zurück. „Damals war ich als Mallorca-Krimi-Autor allein auf weiter Flut, heute wäre ich einer unter vielen." ­Andreas Schnabel schreibt derzeit Unternehmen-Krimis oder Theaterstücke. „Einen halb fertigen Mallorca-Krimi habe ich aber noch in der Schublade", sagt er am Telefon.

Die Selfmade-Frau

Eine Trendsetterin war auch Elke Becker. Die frühere Vorstandssekretärin begann 2011 damit, die damals bei Amazon neu geschaffene Möglichkeit zu nutzen, Bücher im Selbstverlag hochzuladen, darunter auch Krimis wie „Das Mallorca-Kartell". „Damals war die Sichtbarkeit als Selbstverleger noch nicht so ein Problem", sagt Becker. Um heute wahrgenommen zu werden, nutzt sie die sozialen Netzwerke.

„30 bis 40 Blogger lesen und rezensieren meine neuen Bücher." Elke Becker fährt mit manchen von ihnen dann auch zu den Orten, an denen ihre Krimis spielen, schließlich ist sie eine der wenigen deutschen Krimi-Autoren, die tatsächlich auf der Insel leben, in Llucmajor. „Man bekommt ein anderes Verständnis dafür, wie die Polizeistrukturen auf der Insel funktionieren, wer sich um die Forensik kümmert und wie es an den Handlungsorten aussieht und riecht", sagt sie.

Die Gesamtauflage ihrer auch unter Pseudonymen veröffentlichten Bücher beläuft sich mittlerweile auf 250.000 Exemplare, Elke Becker schreibt neben Krimis auch Frauen- oder Fantasyromane. „Wenn man im Selbstverlag veröffentlicht, ist es für die Sichtbarkeit wichtig, alle drei bis vier Monate etwas Neues zu veröffentlichen", sagt sie. Als Selbstverleger verdiene man besser als bei den Verlagen. Liegt der Nettoverkaufspreis unter 2,99 Euro, bekommen die Autoren 35 Prozent davon. Liegt er darüber, sind es 70 Prozent. Allerdings sollte man pro Buch damit rechnen, 5.000 Euro zu investieren, sagt Elke Becker. „Das braucht man fürs Lektorat, Korrektorat, Grafikdesign und Marketing." Für die Recherche aufwendigerer Bücher arbeitet sie mit Verlagen zusammen, da man dort mehr Zeit hätte. Ihr neuester Kriminalroman erscheint denn auch am 6. April bei Pendo, einem Verlag der Piper-Verlagsgruppe, unter dem Pseudonym Elena Bellmar: „Toni Morales und die Töchter des Zorns" (15 Euro, 12,99 als E-Book).

Der Wettbewerb

Ihren Teil zur Krimiwelle beigetragen hat auch diese Zeitung. Ende 2016 rief die MZ zusammen mit Literaturagentin Lianne Kolf und dem Emons-Verlag einen Mallorca-Krimiwettbewerb aus. „So ist es uns gelungen, noch mehr Nachwuchsautoren aus dem stillen Kämmerlein zu locken", sagt Lektorin Stefanie Rahnfeld. 29 Einsendungen gingen damals ein. Die im Oktober 2017 bekannt gegebene Gewinnerin war die Journalistin Christina Gruber für „Das seltsame Mädchen". Die Aufklärung ­zweier Morde durch „eine Groß­mutter mit Geheimnissen, einen verliebten Polizisten und ein ­seltsames Mädchen" erschien 2018 unter dem ­verkaufsträchtigen Titel „Mandelblütenmord". Auch die anderen beiden Finalisten - „Mallorca bis in alle Ewigkeit" von Klaus Späne und „Der Tote von Santanyí" von Claudia Wenk - sind als Buch erschienen.

Grubers „Mandelblütenmord" soll nun von der UFA verfilmt werden, denn auch das ist ein Trend: regionale, bestenfalls im Ausland spielende Krimiserien. Gruber, die früher bei RTL tätig war und nun für den Mediendienst Kress arbeitet, schreibt derweil weiter. „Es ist meine Exit-Strategie aus dem Berufsalltag", sagt sie. Und sie läuft gut an. Der Nachfolge­roman von „Mandelblütenmord" heißt „Der Teufel von Mallorca" und erscheint am 9. April wieder bei Emons (12 Euro, 9,49 Euro als E-Book). Ein weiterer Krimi sei bereits in Arbeit und vom Verlag bestellt. Die zunehmende Konkurrenz auf dem Markt bewertet die Autorin als ein gutes Zeichen. „Das zeigt doch, dass viel Interesse da ist."

Die Geniesserin

Gut dabei ist auch ­Brigitte Lamberts (59), die ihre ­Mallorca-Krimis mit kuli­narischen Streifzügen ver­bindet. 2017 erschien bei ­Amazon ihr Mallorca-Krimi-­Debüt „El Gustario de Mal­lorca und das tödliche Elixier", 2019 gab es eine Fortsetzung. „In meinen Krimis soll der Journalist Sven Ruge einen gastro­nomischen Reiseführer über ­Mallorca schreiben und gerät in mörderische Geschichten", sagt sie. Lamberts ist promovierte Kunst­historikerin, arbeitet als PR-Beraterin und hat als ­Autorin bereits drei Krimis ­geschrieben, die in ihrer Heimatstadt Düsseldorf spielen. „Ich schreibe über Orte, die ich kenne. Mallorca besuche ich seit 30 Jahren." In sämt­lichen Restaurants, die in ihren Geschichten vorkommen, habe sie selbst gegessen und die Gerichte probiert. Eine aufwendige Recherche, zumal Lambert auch in die Geschichte der Insel eintaucht. Für ein Buch benötige sie gut eineinhalb Jahre, das nächste ist bereits in ­Arbeit. Von ihren Krimis ­leben kann sie noch nicht.

Die Newcomerin

Kurz davor bei einem großen Publikumsverlag ihren ersten Mallorca-Krimi zu veröffentlichen, steht indes Lisa Herding. Die 37-Jährige, die ab dieser Woche auch für die Mallorca Zeitung schreibt, ist in Sóller aufgewachsen, hat Jura studiert, als Anwältin in Palma und Felanitx praktiziert und vier Jahre lang als Cruise Director auf einem Luxusschiff in Indonesien gearbeitet. Dort fing sie auch an, Bücher zu schreiben. „Ich lese viel. An die 60 Bücher im Jahr. Irgendwann fand ich nicht mehr viel Neues, also fing ich an, selbst zu schreiben." So entstand ein Gegenwartsroman, den sie an ­Literaturagentin Lianne Kolf schickte. Die schlug vor, einen Krimi zu schreiben, der auf Mallorca spielt. „Bis dahin war mir gar nicht bewusst, dass so viele ­Insel-Krimis erscheinen", sagt Lisa Herding.

Am 2. März erscheint ihr erstes Buch, der zweite Teil ist bereits in der ­Mache. „Comisaria Fiol und der Tod im Tramuntana" ist der Auftakt zu einer Reihe, in der eine Mallorquinische Kommissarin mit einer Ex-Kommissarin aus Deutschland Mörder jagt (Knaur, 9,99 Euro). Lisa Herding schreibt ­unter dem Pseudonym Lucía de la Vega. „Der spanische Name ist gut fürs Marketing", sagt sie.

Der Kolumnist

Gar auf einen spanischen ­Titel setzt noch ein weiterer MZ-Mitarbeiter: Kolumnist Roland Winterstein ­ver­öffentlicht seinen Mallorca-Krimi „Mariposa" (Schmetterling) am 1. März (Verlag Schardt, 12,80 Euro). Sagen wir es mal so: Dieses Jahr ist für Lesestoff gesorgt.