Bis zu 4.000 PCR-Corona-Tests pro Tag werden im Labor im Landeskrankenhaus Son Espases ausgewertet, bei Bedarf wären auch mehr drin. Diese Kapazität aufzubauen, war zu einem guten Teil das Werk von Mariló Macià (44), die im Team unter Antonio Oliver den Fachbereich Molekulare Mikrobiologie leitet. Das Interview gibt sie der MZ in einem gut quergelüfteten Wintergarten bei einem Sicherheitsabstand von gut dreieinhalb Metern. Die Maske setzt sie zum Gespräch ab.

Wie müssen wir uns Ihren Job vorstellen, wie sah Ihr Alltag vor der Pandemie aus? Und wie hoch war Ihr Stressfaktor in Zeiten vor Corona?

Die Molekulare Mikrobiologie ist so eine Art Sammelbecken, in das alles Mögliche fällt. Mit Labortests beobachten wir die Viruslast in Patienten mit HIV, Hepatitis C, Hepatitis B, Epstein-Barr, dem BK-Virus, dem JC-Virus, die Genotypifizierung von humanen Papillomviren € Über all diese Krankheiten, Therapien und neuen Testverfahren müssen wir auf dem Laufenden bleiben. Schon vor Corona war ich eigentlich immer im Stress, also acht bis neun auf einer Skala bis zehn. Ich doziere an der UIB - Medizin und Biologie - und gehöre zur europäischen Forschergruppe für Biofilm.

Beim Vor-Corona-Wert von acht bis neun bleibt nicht viel Luft nach oben.

(Längere Pause, atmet tief durch.) Der Stress hat schon zugenommen, jetzt liegt er in der Skala wohl bei zehn. Vor allem hat sich aber die Arbeitslast erhöht, Extrastunden, Wochenendschichten, Kollegen unterstützen. Und die Prioritäten haben sich geändert. Vorher hatte jeder seine eigenen Projekte, und plötzlich, ab März, gab es nur noch ein einziges Thema. Am Anfang dachten wir noch, dass es schon nicht so schlimm werden würde, bis es wirklich irgendwann das einzige Monothema war. Im Beruf, im Privatleben, im Radio €

Wann wurde auf Mallorca der erste Test auf SARS-CoV-2 durchgeführt?

Am Anfang wurden die Proben alle nach Madrid geschickt, in die Universität Carlos III. Erst nach dem ersten bestätigten Fall auf Mallorca, am 9. Februar , bekam ich den Auftrag: „Mariló, das müssen wir hier machen!" Das zeigt auch, wie naiv wir waren und dass niemand wirklich wusste, was auf uns zukommen würde. Ich weiß genau, dass ich am 13. Februar dabei war, den Test hier im Labor einzurichten. Die Materialien hatten wir schon parat, aber wir mussten lernen, sie zu benutzen. Ich fühlte mich krank an dem Tag, und ich wusste, dass ich mir irgendein Virus eingefangen hatte. Die Symptome wurden über den Tag während der Arbeit am neuen Testverfahren stärker. Fieber, Niesen, Husten.

Dann haben Sie den Test gleich mal an sich selbst ausprobiert?

Nein, ich hatte keine Sorge, dass es das Coronavirus sein könnte. Es gab noch so wenig Fälle, das alles noch sehr weit weg war. Am Ende des Tags war der Test einsatzbereit, und ich lag eine Woche krank zu Hause, mit Grippe A. Danach führten wir die ersten Tests durch, aber es gab nur wenige Proben, vielleicht 30 oder 40 am Tag. Das Extrahieren der RNA war noch ein langwieriger Prozess, 45 Minuten für zwölf Proben. Bald brauchten wir schnellere Tests, die wir von den Pharmaanbietern kauften.

Wie kommt so ein neuer Test, mit einer Gebrauchsanweisung?

Die Firmenvertreter besuchen uns und stellen ihre Verfahren vor. Wir müssen entscheiden, welches wir kaufen, und die Anwendung ­lernen. Die Einführung eines neuen Verfahrens dauert sonst oft Monate, jetzt geht es in wenigen Tagen. Seit Februar haben wir zehn Verfahren eingeführt. Zusätzlich mehrere Schnelltests, die sich teilweise als wenig effektiv erwiesen. Das ist auch eine der Lektionen dieser Zeit, dass der Mensch in außergewöhnlichen Momenten sehr viel mehr leisten kann, als er glaubt. Dass wir flexibler und kreativer sind, als wir denken. Und dass Arbeit im Team sehr effizient sein kann.

Wie viele Tests wurden während der ersten und der zweiten Welle pro Tag gemacht?

Von wenigen Dutzend im Februar mussten wir im März sehr schnell auf 3.500 pro Tag steigern. Der Rekord lag dann Mitte August bei etwa 4.000 am Tag. Aber es gäbe Kapazität für mehr, vielleicht 5.000 oder 6.000. Bei Bedarf könnten wir die Nachtschichten ausweiten.

Wo waren die Engpässe während der ersten Welle, wo sind sie jetzt?

Erst ging es darum, die Techniken zu ent­wickeln und umzusetzen. Und aufgrund der hohen internationalen Nachfrage mangelte es an Material. Jetzt liegt der Engpass eher in den Gesundheitszentren. Aber auch hier wurde schnell reagiert und eine neue Einheit für Kinder zwischen drei und 14 Jahren im Kongresspalast eingerichtet, um dort potenziell infizierte Schulkinder zu testen und so die ­Gesundheitszentren zu entlasten.

Inwieweit können neue Schnelltests künftig PCR-Tests ersetzen?

Im Moment wird geprüft, in welchen konkreten Bereichen sie eingesetzt werden können. Sie können ein sehr praktisches Hilfsmittel sein und in bestimmten Fällen die PCR-Test ersetzen. Vorläufig werden sie aber nur einen zusätzlichen Teil der Diagnosemöglichkeiten darstellen, die allesamt von Mikrobiologen ­interpretiert werden müssen.

Wo sehen Sie im Umgang mit Covid-19 Handlungsbedarf?

Ich weiß nicht, ob mir diese Bewertung zusteht, aber insgesamt läuft es nicht schlecht. Luft nach oben gibt es immer. Vor allem im Bereich der Vorbeugung und des Antizipierens neuer Ansteckungen. Mit Abwasseruntersuchungen könnte man neue Ansteckungswellen schneller feststellen und gezielt Maßnahmen ergreifen. Bei der Vorbeugung sollte man darauf reagieren, dass immer mehr Studien der Übertragung durch den Luftweg, durch Aerosole zunehmende Bedeutung zumessen. Man müsste mehr Aktivitäten ins Freie verlegen und stärker auf die Belüftung achten.

In diesen Monaten haben wir Epidemio­logen wie in Spanien Fernando Simón oder ­Virologen wie in Deutschland Christian ­Drosten öfter im Fernsehen gesehen. Sind Sie dann stolz auf Ihre Kollegen?

Ich schaue kein Fernsehen, aber ich höre die Kollegen im Radio. Und ich finde es richtig, dass man die entsprechenden Fachleute interviewt, wenn es um ihren Bereich geht, vor ­allem in einer Situation, wie wir sie gerade ­erleben. Aber ich weiß nicht, inwieweit die ­Botschaft beim Publikum ankommt. Es gibt so viele Leute, die sich anscheinend über ­Videos in sozialen Netzwerke informieren, und es gibt sehr viele Falschinformationen. Im letzten europäischen Mikrobiologie-Kongress haben wir deshalb auch festgestellt, dass wir viel mehr in die Medien gehen müssen.

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