Passagiere deutlich verspäteter Flüge können künftig bis zu 600 Euro als Ausgleich von ihrer Fluglinie verlangen. Das folgt aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Donnerstag (19.11.). Erstmals hat der Gerichtshof in Luxemburg anerkannt, dass Fluggästen pauschale Zahlungen von - je nach Distanz - 250, 400 oder 600 Euro zustehen, wenn ihr Flug mindestens drei Stunden verspätet ist. Das folgt laut EuGH aus einer seit 2005 geltenden EU-Verordnung. Nur wenn die Verspätung auf "außergewöhnliche Umstände" zurückgeht, müssen die Fluggesellschaften nicht zahlen.

Bisher gab es pauschale Ansprüche nur bei "Annullierung" oder "Nichtbeförderung" des Fluggasts - weshalb vor den Gerichten heftig um die Auslegung dieser Begriffe gestritten wurde. Bei großen Verspätungen mussten die Fluggesellschaften bisher lediglich für Mahlzeiten oder Hotelunterbringungen sorgen oder - ab fünf Stunden - den Flugpreis erstatten. (Rechtssachen C-402/07 und C-432/07).

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) wertete das Urteil als großen Erfolg für Flugreisende. "Dies ist auch gerecht, denn es ist nicht einzusehen, warum Fluggäste bei kurzfristigen Annullierungen eine Entschädigung bekommen sollen, aber nicht bei großen Verspätungen", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin.

Dagegen kritisierte der Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften (BDF) das Urteil als "Wettbewerbsverzerrung". Durch die Verbraucherregeln müssten europäische Fluggesellschaften drastische Kompensationen leisten, von denen andere Fluggesellschaften verschont bleiben. Oft liege der Grund für Flugverspätung nicht bei der Airline, sondern bei äußeren Einflüssen.

Das EuGH-Urteil geht unter unter anderem auf einen 2007 vom BGH vorgelegten Fall zurück. Dort hatte sich ein Flug von Toronto nach Frankfurt um 25 Stunden verzögert. Geklagt hatte ein Paar aus Neustadt an der Weinstraße, das bei der Fluggesellschaft Condor für Juli 2005 einen Charterflug nach Kanada gebucht hatte. Der Rückflug verschob sich wegen technischer Defekte der Maschine, die Gäste bekamen ihr Gepäck zurück und wurden zur Übernachtung in ein Hotel gebracht.

Nach der früheren Lesart hätten sie - falls es sich nur um eine "Verspätung" gehandelt hätte - lediglich etwaige Kosten ersetzt bekommen, aber keinen pauschalen Ausgleich. Der EuGH entschied nun, dass sich die Reisenden eines verspäteten Flugs in einer vergleichbaren Lage befinden wie Fluggäste, die wegen Annullierung ihres Flugs kurzfristig umgebucht wurden und damit ebenfalls verspätet ankommen. Deshalb sei es nicht gerechtfertigt, "Annullierung" und "große Verspätung" unterschiedlich zu behandeln.

Keine Zahlungspflicht besteht laut EuGH, wenn die Fluggesellschaft "außergewöhnliche Umstände" als Ursache nachweisen kann - zu denen aber technische Defekte im Normalfall nicht zählen. Nur wenn eine Panne auf Umstände außerhalb des üblichen Flugbetriebs zurückgeht, können sich die Linien darauf berufen.

Derweil hat am Donnerstag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ebenfalls über die Ansprüche von Fluggästen verhandelt. Dort ging es um einen Flug vom Frankfurter Flughafen auf die Malediven im März 2008, der nach einer Zwischenlandung in den Vereinigten Arabischen Emiraten abgebrochen wurde, so dass die Reisenden 30 Stunden zu spät ankamen. Umstritten ist, ob dies nach der EU-Verordnung als "Annullierung" einzustufen ist.