Ceuta hat praktisch zwei Grenzwälle. Zum einen den hohen, abgesicherten Zaun, der die spanische Exklave in Nordafrika zu Marokko abgrenzt und damit, zusammen mit der anderen Exklave Melilla, die einzige Landgrenze der Europäischen Union zu Afrika bildet. Zum anderen trennt die imposante Muralla Real, eine Befestigungsanlage aus dem 16. Jahrhundert, die auf einer Halbinsel gelegene historische Altstadt von den umgebenden Stadtteilen. Das Zentrum sieht aus wie die meisten spanischen Provinzstädte. Manche der Außenstadtteile, vor allem das Barrio del Príncipe Alfonso, haben dagegen einen eindeutig marokkanischen Einschlag.

Etwa die Hälfte der 85.000 Einwohner Ceutas sind Spanier marokkanischen Ursprungs. Die Stadt weist mit Melilla die höchste Arbeitslosenquote Spaniens aus, besonders unter jungen Leuten. Trotz gelegentlicher Zwischenfälle ist das Zusammenleben in Ceuta jedoch gut. Problematisch wird es nur, wenn die Exklave hin und wieder zum Spielball politischer Interessen der spanischen und marokkanischen Politik wird. Die jüngste Krise begann im Mai, als die Regierung in Rabat ihre Landsleute dazu animierte, illegal nach Ceuta auszuwandern. Mehr als 10.000 Menschen, darunter viele Minderjährige, folgten dem Aufruf und riskierten ihr Leben, indem sie über das Meer die Küste Ceutas anschwammen.

Bis auf einige Minderjährige sind die meisten dieser Migranten wieder nach Marokko zurückgeschickt worden oder freiwillig gegangen. Doch die politischen Wogen dieser Krise wirken bis heute nach. Das gilt sowohl für die diplomatischen Spannungen zwischen Madrid und Rabat, als auch für die spanische Innenpolitik. Am Freitag (23.7.) erklärte das Stadtparlament von Ceuta den Parteichef der rechtsextremen Vox, Santiago Abascal, zur persona non grata, mit den Stimmen der Sozialisten (PSOE), zwei kleiner Parteien marokkanischstämmiger Einwohner – MDyC und Cabala – sowie der Enthaltung der in Ceuta regierenden konservativen Volkspartei (PP). Die Opposition, die den Antrag gestellt hatte, wirft Abascal vor, das friedliche Zusammenleben in der Stadt zu gefährden.

Brandstifter Abascal

Der Vox-Führer war nach dem Ansturm der Migranten im Mai zweimal nach Ceuta gereist. Dort beschuldigte er MDyC und Cabala, als Agenten die Interessen Marokkos in Ceuta zu wahren, was diese weit von sich weisen. Der Regierungschef der autonomen Stadt, Juan Jesús Vivas von der PP, verurteilte ebenfalls die Aussagen von Abascal, weil diese „das Zusammenleben gefährden, Ceuta in Brand stecken und die Bewohner spalten“. Beide Parteien der marokkanischstämmigen Einwohner bekennen sich klar dazu, dass Ceuta eine spanische Stadt ist, und halten sich in keiner Weise für Verwalter der Interessen Marokkos.

Vivas, seit zwei Jahrzehnten an der Macht, erklärte so die Enthaltung seiner neun Abgeordneten im Stadtparlament, die den Erfolg des Antrags zur Erklärung von Abascal zur persona non grata ermöglichte. Dafür erhielt er viel Kritik aus den eigenen Reihen der PP. Vox reagierte ungestüm und erklärte zunächst, dass man sämtliche Kontakte zu den Konservativen abbrechen werde. Die Rechtsextremen, die PP-Regierungen in drei Regionen stützen, ruderten dann jedoch zurück.

Die beschädigten diplomatischen Beziehungen zwischen Madrid und Rabat haben sich von der jüngsten Krise dagegen noch nicht wieder erholt. Rabat versuchte gar nicht zu vertuschen, dass der Ansturm der Migranten auf Ceuta im Mai ferngesteuert war. Es sollte ein Zeichen des Protestes gegen die Entscheidung der spanischen Regierung sein, den Führer der Befreiungsbewegung der Westsahara, Brahim Gali, in einem spanischen Krankenhaus behandeln zu lassen. Rabat hat die langjährige Forderung der Anerkennung seiner Hoheitsrechte über die Westsahara zuletzt intensiviert, nachdem US-Präsident Donald Trump in einer seiner letzten Amtshandlungen diesen Schritt gegangen war. Die Vereinten Nationen und die Mehrheit der westlichen Staaten beharren jedoch auf einem Referendum in der ehemaligen spanischen Kolonie.

Marokko zog im Mai seine Botschafterin in Madrid ab. Die Regierung von Pedro Sánchez erhielt in dem Streit die Unterstützung der Europäischen Union. Immer wieder kommt es zwischen beiden Nachbarländern zu Spannungen über die Rolle der Westsahara oder den Status von Ceuta und Melilla, Rabat stellt territoriale Ansprüche. Der dramatische Höhepunkt in den Beziehungen war ein bizarrer Kampf um die Isla Perejil, einen spanischen Felsen vor der Küste Marokkos, die 2002 von marokkanischen Nationalgardisten eingenommen und von der spanischen Armee wieder befreit wurde.

Marokko ist ein bedeutender Nachbar für Spanien, nicht nur wegen wirtschaftlicher und politischer Interessen. Rabat spielt eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der Migration, wofür es Geld von Madrid und der EU erhält. Auch wenn offiziell weiter Funkstille zwischen beiden Ländern herrscht, reagierte Premier Sánchez bei der jüngsten Regierungsumbildung auf die Krise. Ausgetauscht wurde etwa Außenministerin Arancha González Laya, die offenbar die Einreise von Polisario-Führer Gali genehmigt hatte. Ihr Nachfolger José Manuel Albares bezeichnete Marokko bei seinem Amtsantritt als „großen Freund“. Doch seine ersten Auslandsreisen führten nicht nach Rabat, sondern nach London und Lima.

Spanische Medien berichten jedoch, dass es hinter den Kulissen rege Kontakte gebe, um die Wogen bald wieder zu glätten. Dabei spielen auch Überlegungen über die Rolle von Ceuta und Melilla eine wichtige Rolle. In Madrid möchte man die beiden Exklaven wirtschaftlich stärker in deren marokkanische Umgebung einbinden. Das könnte dazu führen, dass beide Städte in die europäische Zollunion und den Schengenraum aufgenommen würden. Bisher müssen Reisende zwischen Ceuta und Melilla und dem spanischen Festland Grenzkontrollen erdulden.